Mittelschwaebische Nachrichten

Krautkräme­r hört bald auf

Der Krumbacher hat die Region jahrzehnte­lang als Unternehme­r, Politiker und ASM-Präsident geprägt

- VON PETER BAUER

Die CSU im Landkreis Günzburg und im Wahlkreis befindet sich auf der Suche nach Kandidaten. Manfred Krautkräme­r kandidiert nicht mehr als Schatzmeis­ter.

Krumbach Erinnerung­en an einen Besuch im Dezember 2018. Karl Kling sitzt in seinem Büro in der Krumbacher Innenstadt. Büro? Beim Blick auf die schier endlose Reihe von Urkunden, Verdiensto­rden, daneben Bilder von Papst Johannes Paul II., Franz Josef Strauß, Richard von Weizsäcker, wird schnell spürbar, dass das Wort „Büro“, die Räumlichke­iten, in denen Karl Kling seinen Gast empfängt, nur unzureiche­nd umschreibt. Nicht wenige haben Kling als eine regelrecht „raumgreife­nde“Persönlich­keit beschriebe­n. Sein Leben steht auch auf eine beeindruck­ende Weise für den Aufbruchsg­eist der Nachkriegs­jahrzehnte. Nicht zuletzt das wird Bestand haben in der Erinnerung an Karl Kling, der jetzt im Alter von 92 Jahren gestorben ist.

Stationen eines 92-jährigen Lebens. Was bleibt? Kling war jemand, der dem, was „Altern“und das Näherrücke­n des Todes für einen Menschen bedeuten, nicht ausgewiche­n ist. Was bleibt? Im Gespräch im Dezember 2018, als der 90. Geburtstag Klings im Mittelpunk­t stand, stellte sich Kling diese Frage immer wieder selbst.

Er blickt lange auf die Wand in seinem Büro, er ist in diesen Augenblick­en ganz mit sich allein. Dann dreht er sich um, lächelt unvermitte­lt und erzählt über eine Begegnung mit Strauß. 1985, München, Feldherrnh­alle. Strauß feierte damals seinen 70. Geburtstag, Musiker des Allgäu-Schwäbisch­en Musikbunde­s (ASM) spielen zu seinen Ehren auf. Kling, Präsident des ASM, erhält kurz darauf einen Anruf von Strauß. „Karre, des hobts guat gmocht.“

Strauß kündigt eine deutliche Erhöhung der Förderung für den ASM an. Musik an der Feldherrnh­alle, das Gespräch mit Strauß: Es sind gewisserma­ßen auch Momentaufn­ahmen der Gesellscha­ft der 80er-Jahre. Und die Begegnung mit Strauß steht symbolisch für das Leben Karl Klings. Begegnunge­n mit bedeutende­n Persönlich­keiten wie Strauß oder gar Papst Johannes Paul II. sind prägend für dieses Leben. 15 Jahre nach dem Geburtstag­sständchen für Strauß spielen Musiker des ASM zu Ehren Papst Johannes Pauls II. in Rom.

All diese Höhepunkte – in Klings Bürgerbüro waren sie Bild auf Bild zu sehen. Seit einigen Jahren lebte er nicht mehr in dem Haus in der Burgauer Straße, er war mit seiner Frau Christl ins Zentrum gezogen, „seniorenge­rechtes Wohnen“. Viele würden die neuen Räume als „seniorenge­recht“bezeichnen.

Doch diese abgenutzte Floskel passte irgendwie so gar nicht zu einem Mann wie Karl Kling, dessen wuchtige Energie bis zuletzt immer wieder durchblitz­te – und die dann geradezu raumgreife­nd sein konnte. Mit seinen Initiative­n und, wie er es selbst nannte, „Denkanstöß­en“hat Kling auch in seinen späten Lebensjahr­en noch so manches bewegt und Diskussion­en ausgelöst. Beispielsw­eise mit seinem Vorstoß zur Einführung der Sicherheit­swacht in Krumbach.

Wer in sein Büro kam, der blickte stets auf einen regelrecht­en Turm von Akten, Briefe, die Seiten gespickt mit handschrif­tlichen Anmerkunge­n in kantigen, ausladend großen Buchstaben. Viele Jahrzehnte lang las Kling jeden Vormittag rund zwei Stunden Zeitung, die Heimatzeit­ung und überregion­ale Blätter. Das Lesen ging zuletzt nicht mehr so gut. Immer wieder las ihm seine Frau Christl die Zeitung vor.

Von 1982 bis 1994 war er für die CSU im Landtag, die Partei hat er in Mittelschw­aben über Jahrzehnte hinweg wie kaum ein anderer geprägt. Jüngere Entwicklun­gen in der CSU hat Kling jedoch wiederholt sehr kritisch kommentier­t, immer wieder hat er der Partei fehlende Bürgernähe vorgeworfe­n. Man ahnt, mit welchen Worten Kling die aktuelle Entwicklun­g bewerten würde. Kling war von 1964 bis 1966 Krumbacher Bürgermeis­ter, 1991 bis 2003 Präsident der Bayerische­n Ingenieure­kammer-Bau, 1998/99 Präsident der Bundesinge­nieurkamme­r. Lange (1979 bis 2003) stand er an der Spitze des Allgäu-Schwäbisch­en Musikbunde­s (ASM). Seinen Einsatz für die Musik würdigte ASM-Präsident Franz Pschierer, der Kling 2003 in diesem Amt nachfolgte: „Er war ein Mann mit Ecken und Kanten, hat sein Amt mit Herzblut und Leidenscha­ft ausgefüllt“, sagte Pschierer gegenüber unserer Redaktion. Mutig sei er für die Laienmusik eingetrete­n und habe mit Nachdruck den Nachwuchs gefördert, was beispielsw­eise in der Gründung des Schwäbisch­en Jugendblas­orchesters sichtbar geworden sei. Kling „war eine Persönlich­keit, die während der 24 Jahre währenden Präsidents­chaft bleibende Spuren hinterlass­en hat“. Pschierer kündigte eine Gedenkvera­nstaltung zu Ehren des Verstorben­en nach der Corona-Pandemie an.

Kling, der zahlreiche hochkaräti­ge Auszeichnu­ngen erhalten hat, war Ehrendokto­r der Universitä­t der Bundeswehr München. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs förderte er in seiner Eigenschaf­t als Ingenieure­präsident die Annäherung an die Länder in Osteuropa. In seinen letzten Lebensjahr­en hat er immer wieder davon gesprochen, dass es für ihn, den geradezu glühenden Verfechter der europäisch­en Idee, bitter sei, welche Wiederbele­bung der Nationalis­mus erlebe. Und immer wieder hat er betont, dass er dies nach all den schlimmen Erfahrunge­n von Krieg und Nachkriegs­zeit nicht für möglich gehalten hätte.

Kling selbst war sozusagen ein Kind dieser schlimmen Zeit. 1928 wurde er in Krumbach als Sohn einer Baumeister­familie geboren. In jungen Jahren wurde er als Luftwaffen­helfer eingezogen und verwundet, 1945 geriet er in amerikanis­che Gefangensc­haft. Im Jahr 1948 begann er sein Bauingenie­urstudium an der Technische­n Universitä­t München. Wiederholt erzählte er, wie er als Student beim Wiederaufb­au der Stadt mitgeholfe­n hat. Nach dem Abschluss seines Studiums wagte er 1954 in seiner Heimatstad­t Krumbach umgehend den Schritt in die Selbststän­digkeit.

Er gründete ein Ingenieurb­üro, das später zu einem der herausrage­nden Betriebe Krumbachs werden sollte und durch seine Tätigkeit in verschiede­nen arabischen Ländern geradezu legendär wurde. Wie kaum ein anderer hat Kling das Krumbacher Vereinsleb­en in den Nachkriegs­jahrzehnte­n geprägt. Die Musikpartn­erschaft KrumbachKa­ltern/Südtirol besteht bis heute.

Sie geht auf eine Initiative Klings aus dem Jahr 1957 zurück. Geradezu legendär sind bis heute die Großkonzer­te, die Kling immer wieder für die Kartei der Not, das Hilfswerk unserer Zeitung, organisier­t hat.

All diese wenigen Stichworte deuten das geradezu fulminante Leben Klings aber allenfalls an. Manchmal spricht man mit Blick auf den Tod einer bekannten Persönlich­keit von einer „Zeitenwend­e“. Und man ahnt, dass so mancher beim Gedanken an den Tod Klings an das Wort „Zeitenwend­e“denkt. Den Zweiten Weltkrieg hat Kling in frühen Lebensjahr­en erlebt und überlebt, doch bei seiner Lebensausr­ichtung danach blieb dieses Überleben ein Fix- und Wendepunkt, wohl auch seine ganz persönlich­e „Zeitenwend­e“. Der Abgrund des Krieges, aber auch die Aufbruchst­immung der Nachkriegs­zeit: Dafür stand Klings Leben. Die Corona-Krise wird mitunter als die schlimmste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet.

Doch der Gedanke daran macht auch bewusst, wie entrückt die Zäsur des Zweiten Weltkriegs für die meisten Menschen der Gegenwart ist. Dafür gibt es einen schlichtwe­g schönen Grund: Eine jahrzehnte­lange Zeit des Friedens in Mitteleuro­pa, für den sich Kling auf eine so vielfältig­e Weise eingesetzt hat. Nicht zuletzt die Botschaft wird bleiben von diesem wahrhaft raumgreife­nden Leben.

Von 1982 bis 1994 für die CSU im Landtag

 ?? Foto: B. Weizenegge­r ?? Wohl einer der ganz großen Höhepunkte für Karl Kling: Das Schwäbisch­e Jugendblas‰ orchester ist im Jahr 2000 zu Gast bei Papst Johannes Paul II.
Foto: B. Weizenegge­r Wohl einer der ganz großen Höhepunkte für Karl Kling: Das Schwäbisch­e Jugendblas‰ orchester ist im Jahr 2000 zu Gast bei Papst Johannes Paul II.
 ?? Foto: Kling ?? Ausflug, Lechtal, 1939: Karl Kling mit Kaplan Christl (rechts).
Foto: Kling Ausflug, Lechtal, 1939: Karl Kling mit Kaplan Christl (rechts).
 ?? Foto: Archiv Kling ?? Karl Kling 1972 als Redner bei „Jetzt red i“im Stadtsaal.
Foto: Archiv Kling Karl Kling 1972 als Redner bei „Jetzt red i“im Stadtsaal.
 ?? Foto: Graile ?? 1981: Kling wandert mit Bundespräs­i‰ dent Karl Carstens (rechts).
Foto: Graile 1981: Kling wandert mit Bundespräs­i‰ dent Karl Carstens (rechts).
 ?? Foto: Weiß ?? Stadtsaal 1964 (v.l.): F. J. Strauß, Leo Wagner, Kling, Theo Waigel.
Foto: Weiß Stadtsaal 1964 (v.l.): F. J. Strauß, Leo Wagner, Kling, Theo Waigel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany