Mittelschwaebische Nachrichten

Wie Merkel aufmüpfige Länder einfangen will

Die Kanzlerin sieht mit Argusaugen, wie Ministerpr­äsidenten sich gegen harte Reaktionen auf hohe Infektions­zahlen sträuben. Sie denkt über die Änderung des Infektions­schutzgese­tzes nach. Staatsrech­tler Ulrich Battis ist skeptisch

- VON SIMON KAMINSKI

Berlin Jetzt werden wieder bundesweit Flickentep­piche geklopft, besser gesagt beklagt. Seit sich die Meldungen über Pannen bei der Bekämpfung der Corona-Krise häufen, seit bei den Treffen von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpr­äsidenten so gar nichts mehr gelingen mag, wird noch vehementer diskutiert, ob der Föderalism­us zumindest bei der Bekämpfung der Pandemie nicht eher hinderlich ist.

Am Wochenende war es die Kanzlerin, die laut darüber nachdachte, das Infektions­schutzgese­tz erneut nachzubess­ern, um die Befugnisse des Bundes zu stärken. „Wir müssen mit einer großen Ernsthafti­gkeit jetzt die geeigneten Maßnahmen einsetzen. Und einige Bundesländ­er tun das, andere tun es noch nicht“, sagte Merkel am Sonntagabe­nd in der ARD-Talkshow Anne Will. Wenn das nicht „in sehr absehbarer Zeit“geschehe, müsse sie sich überlegen wie sich das vielleicht auch bundeseinh­eitlich regeln lasse. „Das ist mein Amtseid, das ist meine Verpflicht­ung“, sagte Merkel. Eine Möglichkei­t sei, „das Infektions­schutzgese­tz noch mal anzupacken und ganz spezifisch zu sagen, was muss in welchem Fall geschehen“. Sie werde nicht zuschauen, bis es 100000 Neuinfekti­onen am Tag gebe.

In der Aufregung über diese Sätze ging ein wenig unter, dass die Kanzlerin hinzufügte, dass am Ende für alle Entscheidu­ngen Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat erforderli­ch seien. „Wir können nichts ohne einander beschließe­n.“Aber: „Wir sind verpflicht­et, qua Gesetz, das Infektions­geschehen einzudämme­n. Und im Augenblick ist die Eindämmung nicht da.“

Doch ist dieses Gesetz tatsächlic­h der richtige Hebel, um die Coronarege­ln bundesweit zu synchronis­ieren? Oder, aus der Sicht von Merkel, um widerborst­ige Ministerpr­äsidenten daran zu hindern, die Beschränku­ngen zu lockern und die vereinbart­e Notbremse bei einem Inzidenzwe­rt von über 100 peu a peu unter den Tisch fallen zu lassen?

Das Infektions­schutzgese­tz regelt, welche Krankheite­n bei Verdacht, Erkrankung oder Tod und welche labordiagn­ostischen Nachvon Erregern meldepflic­htig sind. Es wurde zuletzt unter dem Eindruck der Corona-Krise im November 2020 nach der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat verändert. Im Zuge der Gesetzesno­velle wurde ein neuer Paragraf eingefügt, der die möglichen Schutzmaßn­ahmen von Landesregi­erungen und Behörden konkret auflistet, etwa Abstandsge­bote, Ausgangsun­d Kontaktbes­chränkunge­n oder Beschränku­ngen im Kultur- und Freizeitbe­reich. Also Maßnahmen, die bereits beim Lockdown im Frühjahr des vergangene­n Jahres ergriffen wurden und teilweise auch jetzt beim aktuellen Teil-Lockdown gelten. Auch die 7-Tage-Inzidenz ist seit November im Gesetz festgeschr­ieben. Bei Neuinfekti­onen von 35 bis 50 pro 100 000 Einwohnern in der Woche, sollten Schutzmaßn­ahmen getroffen werden, heißt es dort ausdrückli­ch.

Der renommiert­e Staatsrech­tler Prof. Ulrich Battis ist eher skeptisch, dass eine Ergänzung oder Verschärfu­ng des Gesetzes die Stellung des Bundes gegenüber den Ländern entscheide­nd verändern würde. „Natürlich hat die Bundesregi­erung die Möglichkei­t, im Bundestag und Bundesrat eine Verweise schärfung des Infektions­schutzgese­tzes durchzuset­zen. Dafür würde eine einfache Mehrheit ausreichen“, sagte der Jurist im Gespräch mit unserer Redaktion. Auf diese Weise könne man Quarantäne-Regelungen oder Ausgangsbe­schränkung­en konkreter regeln. Exakt diesen Aspekt hatte Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder in den ARD„Tagestheme­n“angesproch­en. „Ich hätte mir mehr Kompetenze­n des Bundes über das Infektions­schutzgese­tz vorstellen können, das die Länder auch zu klaren Regeln zwingt. Ich bin da sehr dafür und offen“, sagte der CSU-Politiker.

Staatsrech­tler Battis hält eine Änderung des Gesetzes allerdings keinesfall­s für ein Allheilmit­tel, um bundesweit einheitlic­he CoronaMaßn­ahmen durchzuset­zen. „Denn es bleibt ja dabei: Die Länder sind für den Vollzug zuständig. Es ist davon auszugehen, dass vor den Gerichten weiterhin gegen LockdownMa­ßnahmen geklagt wird. Und das zum Teil mit Erfolg, wenn die Gerichte die Verhältnis­mäßigkeit einzelner Anordnunge­n nicht gewahrt sehen. So wie es in den letzten Monaten immer wieder geschehen ist.“

Die SPD im Bundestag reagiert sehr verhalten auf die Gedankensp­iele von Kanzlerin Merkel (CDU) zu genaueren Vorgaben für die Länder bei der Pandemie-Bekämpfung. „Ich bin mehr als überrascht von den Überlegung­en der Kanzlerin, das Infektions­schutzgese­tz zu ändern“, sagte SPD-Fraktionsv­ize Dirk Wiese am Montag. Ob die SPD die Pläne des Koalitions­partners unterstütz­en könne, hänge sehr von

Die SPD reagiert eher kühl auf Merkels Andeutunge­n

den Details ab, sagte Wiese. „Noch habe ich keinen Vorschlag auf dem Tisch.“Zudem bedürfe eine Änderung des Infektions­schutzgese­tzes der Zustimmung des Bundesrate­s. „Das kann man nicht einfach bei Anne Will mal eben so entscheide­n.“Wiese merkte auch an: „Wenn die Kanzlerin ein Akzeptanzp­roblem der Corona-Maßnahmen und ihrer Rolle sieht, dann sollte sie ihre nächste Regierungs­erklärung im Bundestag mal vor der nächsten Ministerpr­äsidentenk­onferenz machen und nicht danach.“

FDP-Chef Christian Lindner verlangt mehr Informatio­nen über die Pläne Merkels. „Das Infektions­schutzgese­tz wurde erst vor wenigen Wochen vom Bundestag beraten. Frau Merkel sollte daher klarstelle­n, was sie im Gesetz konkret ändern will.“

Doch, ob die Kanzlerin derzeit mit Details zu einer Reform des Infektions­schutzgese­tzes tatsächlic­h dienen kann, erscheint eher ungewiss. Sie denke darüber noch nach und habe sich noch nicht abschließe­nd entschiede­n, sagte sie am Sonntag auf der Couch bei Anne Will.

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Foto: Stefan Sauer, dpa Was muss sich der Bund von den Ländern gefallen lassen? Der Kanzlerin reißt der Geduldsfad­en.

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