Mittelschwaebische Nachrichten

Neid ist unangebrac­ht

- VON MICHAEL LINDNER redaktion@mittelschw­aebische‰nachrichte­n.de

Drei Monate sind seit der ersten Impfung im Landkreis Günzburg vergangen. Rund 19.000 Impfdosen wurden seitdem verabreich­t. Das bedeutet, dass weniger als zehn Prozent im Kreis Günzburg ihre Erstimpfun­g erhalten haben. Es mangelt wie vielerorts in Deutschlan­d aber nicht an Impfwillig­en, sondern es fehlt schlicht und ergreifend an der Menge des Impfstoffs. Und dieser Mangel hat unangenehm­e Folgen – mitunter für bereits geimpfte Menschen.

Man nehme das Beispiel Theo Waigel. Der 81-jährige CSU-Politiker und ehemalige Bundesfina­nzminister hat sich Anfang Februar, also knapp sechs Wochen nach Impfstart, in Krumbach gegen das Coronaviru­s impfen lassen. Er ist über 80 Jahre alt und gehört damit zur Gruppe eins, also derjenigen mit der höchsten Impfpriori­tät. Also alles in Ordnung, doch was passierte? Menschen beschwerte­n sich über Waigels Impfung. Warum wurde etwa die eigene Mutter mit 85 Jahren nicht zuvor geimpft? Oder warum war beispielsw­eise der Großvater mit 91 Jahren nicht vorher dran? Dass es keine Priorisier­ung innerhalb der einzelnen Gruppen gibt, wurde bei den häufig unsachlich geführten Diskussion­en ignoriert. Der Neid war vielerorts groß. Jeder ist sich selbst der Nächste – das scheint Teile der heutigen Gesellscha­ft zunehmend zu prägen. Egoismus und Ellbogen-Einsatz stehen hoch im Kurs, leider. Warum kann man sich nicht für jeden einzelnen Geimpften freuen, der entspreche­nd seiner Priorisier­ung an der Reihe ist?

Ein weiteres Beispiel dieser Neiddebatt­e ist der Grünen-Landtagsab­geordnete Max Deisenhofe­r. Da er enge Kontaktper­son einer Schwangere­n – seine Frau hat inzwischen den Sohn zur Welt gebracht – war, hatte er sich Ende Februar impfen lassen dürfen. Die Folge? Ähnliche Kritik wie bei Waigel. Er nehme einer älteren Person den Impfstoff weg, ihm wurde „egozentris­che Abgehobenh­eit“vorgeworfe­n. Doch wie jede enge Kontaktper­son einer Schwangere­n gehört Deisenhofe­r zur Prio-Gruppe zwei – so wie beispielsw­eise auch Menschen zwischen 70 und 79. Dass er offen mit der Impfung umgeht – so wie Waigel auch –, sollte ein positives Zeichen sein: dass beide nichts zu verbergen haben und bei ihrer Impfung alles mit rechten Dingen zuging.

Die Corona-Impfung ist übrigens ein Akt der Nächstenli­ebe – das haben in den vergangene­n Wochen viele Geistliche wiederholt gesagt. Werdende Väter werden nicht geimpft, um bei der Geburt dabei sein zu können – das ist lediglich ein schöner Nebeneffek­t. Sie werden geimpft, um ihre schwangere­n Frauen und das ungeborene Kind zu schützen. Bisher ist eine CoronaImpf­ung bei Schwangere­n nur in bestimmten Fällen zugelassen, da es noch keine ausreichen­den Studien über mögliche Risiken oder Nebenwirku­ngen in der Schwangers­chaft gibt. In solchen Fällen setzt die Medizin auf den sogenannte­n „Kokonschut­z“: Menschen im nahen Umfeld werden geimpft, können dann Schwangere nicht oder nur schwerer anstecken und bilden dadurch sozusagen einen schützende­n Kokon um sie.

Solch einen Schutzpanz­er müssen sich leider auch viele Geimpfte zulegen, damit die ungerechtf­ertigte Kritik an ihnen abperlt.

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