Mittelschwaebische Nachrichten
„Ostern kommt, und es fällt nicht aus“
Günzburgs Stadtpfarrer Christoph Wasserrab erklärt, wie die Kirche in der Corona-Krise an die Menschen herankommt und welche Auswirkungen der Missbrauchsskandal hat. Was es bedeutet, dass Gottesdienste an Ostern erlaubt sind
Herr Pfarrer Wasserrab, die CoronaPandemie dauert nun schon seit einem Jahr an. Wie erleben Sie diese Krise als Pfarrer?
Christoph Wasserrab: In den Gottesdiensten merkt man sehr, wie distanziert alles ist. Ich bin selbst hinund hergerissen. Auf der einen Seite können wir froh sein, dass Gottesdienste, wenn auch eingeschränkt, möglich sind. Es ist besser als gar nichts. Auf der anderen Seite ist es bei Weitem nicht das, was wir uns wünschen würden. Das zwanglose Aufeinanderzugehen, das fehlt mir persönlich sehr. Man muss ständig überlegen, was man verantworten kann. Aber ich muss auch sagen, man lernt, damit umzugehen. Am Anfang fand ich es furchtbar, in lauter vermummte Gesichter zu blicken. Ich hatte das Gefühl, ich mache eher ein Schutzkonzept als einen Gottesdienst. Daran hat man sich inzwischen gewöhnt. Und es gibt trotz allem immer wieder berührende Momente in Gottesdiensten, die schön und zugleich traurig sind.
Eigentlich müsste man meinen, dass die Menschen in einer solchen Krise sich besonders Gott zuwenden, oder? Wasserrab: Dass seitdem vermehrt Leute in die Kirche kommen, stelle ich nicht fest. Das ist ja unter diesen strengen Regeln auch gar nicht möglich. Eine Pandemie ist vielleicht nicht die Zeit, in der die Leute in die Kirche strömen. Vielleicht ist es eher so, dass die Menschen selbst, nicht über die Kirche, mit Gott in Berührung kommen. Es ist alles stiller, man ist auf sich zurückgeworfen, kommt ins Nachdenken. Ich merke, dass es vielschichtig ist, es gibt darauf keine einfache Antwort.
Es werden immer wieder Stimmen laut, dass die Kirche in der CoronaKrise versagt hat. Hat sie sich zu wenig zu Wort gemeldet?
Wasserrab: Natürlich gibt es Menschen, die mir sagen, wir hätten am Anfang mehr kämpfen müssen, wir hätten es nicht so einfach hinnehmen dürfen, dass keine Gottesdienste stattfinden dürfen. Die andere Sichtweise ist, dass die Kirche ein Teil der Gesellschaft ist und Verantwortung übernehmen und auf Kontaktreduzierung achten muss. Es stimmt, es hat uns anfangs überrollt. Aber man kann uns nicht vorwerfen, dass wir überhaupt nicht präsent waren. Wenn ein Sterbenskranker den Wunsch hatte, einen Pfarrer zu sehen, bin ich immer unter Einhaltung der Schutzauflagen zu ihm. Natürlich war es nicht so, wie wir uns das wünschen würden, ich war auch nicht immer zufrieden. Aber es war kein totaler Rückzug der Kirche. Die Frage ist ja auch, was Menschen mit Kirche verbinden. Kirche ist nicht gleichbedeutend mit Pfarrer. Helfer der Wärmestube haben beispielsweise Essen für Bedürftige ausgefahren. Das ist auch Kirche.
Kirche verbinden viele im Moment aber auch mit den Missbrauchsfällen. Da gibt die katholische Kirche ein ganz schlechtes Bild ab. Macht sich das auch hier bemerkbar? Gibt es deshalb mehr Kirchenaustritte?
Wasserrab: Wir kriegen Kirchenaustritte versetzt mitgeteilt. Wenn welche auf unserem Tisch landen, dann schreiben wir die Leute an, welche Gründe sie haben. Das machen wir seit Jahren so. Der Rücklauf ist sehr gering, aber in letzter Zeit stelle ich fest, dass Menschen öfter ihre Gründe benennen. Einzelne sind dabei, die den Gesamtweg der Kirche nicht mehr mitgehen wollen, sich aber sehr wertschätzend über die Kirche vor Ort äußern. Das schmerzt sehr, da ist man fast ohnmächtig.
Was müsste die Kirche denn tun, um wieder Vertrauen zurückzugewinnen? Es heißt immer, sie muss sich erneuern, aber wie?
Wasserrab: Es ist völlig klar, dass nur eine Vertrauensbasis da ist, wenn absolute Transparenz herrscht. Es geht nur durch eine schnelle und zielführende Aufarbeitung der Missbrauchsfälle. Der Gedanke, die Institution Kirche zu schützen, ist katastrophal und macht mehr kaputt. Es braucht eine klare Benennung der Fehler. Ich denke, dass noch einige schwere Dinge auf uns zukommen werden. Das ist ein harter Weg, aber da muss die Kirche jetzt durch und muss es aushalten. Mir kommt dabei das Bild von Ostern in den Sinn. Es ist jetzt wie Karfreitag für die Kirche. Der Kreuzweg endet am Kreuz, aber dann folgt die Auferstehung. Wir müssen alles aufarbeiten, dann kann ein bisschen Ostern entstehen, das ist meine Hoffnung. Ich kann nicht nur darüber sprechen, dass wir jetzt glaubwürdiger werden, das geht nur durch Taten. Dazu sind viele kleine Schritte nötig.
Aber wie wollen Sie die Leute denn überhaupt noch erreichen? Es finden seit Monaten ja ohnehin nur Gottesdienste mit eingeschränkten Besucherzahlen statt. Kindergottesdienste, Seniorenkreise, Jugendgruppen gibt es nicht mehr.
Wasserrab: Wir müssen versuchen umzudenken. Weg von der Quantität, hin zu Qualität. Qualität im Glauben heißt, dass ich berührt bin. Wir haben zum Beispiel jetzt in der Fastenzeit überlegt, wie wir die Menschen berühren können. Wir haben unterschiedliche Gebetsformen angeboten, mit denen wir speziell Familien einladen wollten. Und wir haben auch Fastensuppe gekocht, in Gläser abgefüllt und nach dem Gottesdienst bereitgestellt, da wir nicht in Gemeinschaft essen können. Es sind viele kleine Schritte. Aber wir sind überzeugt, dass Gott uns etwas zu sagen hat, und wir wollen die Menschen mit Gott in Berührung bringen. Wenn uns das gelingt, sind wir auf dem richtigen Weg.
Was ist mit den Jugendlichen? Auf der evangelischen Landessynode wurde davor gewarnt, dass die Jugendlichen zwischen zwölf und 16 verloren gehen, wenn sie jetzt nicht aufgefangen und gefördert werden. Ist die katholische Kirche noch an den Jugendlichen dran oder gingen durch die Krise viele verloren?
Wasserrab: Ich kann nur von unseren Ministranten sprechen, da ist der Dienst ja eingeschränkt. Normalerweise gibt diese Regelmäßigkeit Halt. Das fällt jetzt weg, es ist schwer, den Kontakt zu halten. Das gelingt manchmal aber nicht immer. Bei älteren Menschen ist die Kirche ein fester Bestandteil im Leben. Bei Jugendlichen ist das nicht mehr so.
Die Kirche geht ja inzwischen auch neue Wege, um an die Leute heranzukommen. Da werden Gottesdienste im Internet gestreamt oder Predigten auf Youtube gestellt. Kann man die Begegnungen in der Kirche durch so etwas ersetzen?
Wasserrab: Ich glaube es nicht, zumindest nicht auf Dauer. Man kann vieles digitalisieren, aber ich brauche einfach die Begegnung. Wir haben zwar auch immer mal wieder Videobotschaften gesendet, aber darauf verzichtet, ganze Gottesdienste live im Internet zu übertragen. Wir sind damit zurückhaltender, es gibt professionellere Anbieter als uns. Wir haben das ein oder andere digitale Angebot, jeden erreichen wir damit nicht. Wir sind froh, dass wir bisher die Möglichkeit hatten, Gottesdienste, wenn auch in eingeschränkter Form, zu feiern.
Das wird wohl auch an Ostern so sein, dem wichtigsten und höchsten Fest im katholischen Kirchenjahr. Zum Glück gibt es kein Gottesdienstverbot wie im vergangenen Jahr. Was sagen Sie dazu?
Wasserrab: Als letzte Woche die Bundesregierung von einer Osterruhe sprach und davon, dass die Präsenzgottesdienste in den Kirchen nicht stattfinden sollten, war ich wirklich überrascht. Wir hatten uns darauf eingestellt, dass wir, so wie an Weihnachten, wo eine ganz kritische Zeit war, Gottesdienste mit vorheriger Anmeldung anbieten können. Seit Mai haben wir es geschafft, die Kirchen offen zu halte. Jetzt ausgerechnet an Ostern hätten wir wie im vergangenen Jahr keine gemeinsamen Gottesdienste anbieten dürfen. Ostern mit Tod und Auferstehung ist unser zentrales Fest, noch wichtiger als Weihnachten. Wenn wir es ein zweites Mal in Folge nicht mit Gottesdiensten hätten feiern können, wäre das sehr bitter gewesen. Die Pfarreiengemeinschaft hat seit ihrem Bestehen noch kein Osterfest feiern können, wie sie es gerne hätte. Als ich im vergangenen Jahr stellvertretend für alle alleine in der Kirche die Kar- und Ostertage begangen habe, war das sehr schmerzhaft. So etwas wollte ich nicht wieder erleben. Nach den Gesprächen mit Kirchen und Regierung ist es Gott sei Dank möglich, miteinander zu feiern, mit allen Einschränkungen und der gebotenen Vorsicht. Und eines ist sicher: Ostern kommt, und es fällt nicht aus. Ostern machen ohnehin nicht wir, indem wir schöne Gottesdienste feiern. Ostern ist da, wo wir den Gedanken zulassen, dass Jesus gelitten, aber nicht aufgegeben hat. Er ist auferstanden, er lebt, das ist doch unglaublich tröstlich.
Interview: Heike Schreiber
Christoph Wasserrab, 38, wurde 2010 zum Priester geweiht. 2014 wurde er Stadtpfarrer in St. Martin in Günzburg. 2018 wurde Wasserrab zum Prodekan ernannt, seit September 2019 leitet er die neue Pfarreiengemeinschaft Günzburg.