Mittelschwaebische Nachrichten

Mehr Güter auf die Schiene – geht das?

Das Ziel des Bunds ist klar. Doch so einfach scheint das gar nicht zu sein. Eine Bestandsau­fnahme im Landkreis Günzburg / Von Christian Kirstges

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Die Forderung ist immer wieder zu hören: Um die Straßen zu entlasten und den Umweltschu­tz zu forcieren, sollen mehr Güter auf der Schiene statt auf dem Asphalt rollen. Einzelne Erfolge dabei gibt es zwar, doch keine Trendwende. Mit einem millionens­chweren Förderprog­ramm will Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) die Zukunft nun anschieben. Dabei stehen gerade auch die Gleisansch­lüsse für Firmen im Fokus – viele waren in den vergangene­n Jahren abgebaut worden, viele sind ungenutzt. Auch kleineren und mittleren Güterbahnh­öfen kommt eine besondere Rolle zu. Doch gibt es im Landkreis Günzburg überhaupt noch Güterverke­hr auf dem Gleis?

Nach Angaben der Deutschen Bahn liege die Zahl der Gleisansch­lüsse hier seit dem Jahr 2000 „auf einem stabilen Niveau“. Damals waren es demnach vier, im Jahr 2010 waren es sechs und im vergangene­n fünf. Außerhalb des Landkreise­s gebe es Terminals des Kombiniert­en Ladungsver­kehrs in Ulm/ Dornstadt, Giengen und Augsburg sowie verschiede­ne Ladestraße­n der DB Netz AG. Das erleichter­e den Zugang zur Schiene und stärke den Schienengü­terverkehr. Zu konkreten Planungen von Firmen und Unternehme­n könne man allerdings keine Auskunft geben und daher auch nicht sagen, wer seinen Anschluss aufgegeben oder neu in Betrieb genommen hat.

Auf einer Karte im Internet sind jedenfalls Gleisansch­lüsse in Günzburg bei der Rohstoffve­rwertung Gröger, in Kleinkötz bei Alko, zwei in Neuoffinge­n bei der Firma NFG Bahnservic­e – hier gibt es auch Abstellgle­ise –, einen in Offingen bei Auto-Mann beziehungs­weise Donau-Hum sowie die Anbindung zum Kernkraftw­erk vermerkt. Ein Güterbahnh­of ist im Landkreis Günzburg nicht (mehr) verzeichne­t. Doch warum haben Unternehme­n noch Anschlüsse an das Bahnnetz und wie rege nutzen sie diese? Ein stichprobe­nartiger Überblick.

Nutzer Gleisansch­luss

Die Firma Alko Fahrzeugte­chnik in Kleinkötz hat ihren an der Mittelschw­abenbahnst­recke seit 1977. Genutzt wird er nach Angaben von Sprecher Marian Möbius etwa einmal die Woche zur Stahlbelie­ferung. Man wolle das Volumen verdoppeln, da es hier beim Be- und Entladen keinen so großen Zeitdruck wie bei Lastwagen gebe. Allerdings sei der unter anderem in Sachen Flexibilit­ät und „Lieferperf­ormance“der Bahn deutlich überlegen, Just-inTime-Belieferun­gen seien derzeit mit dem Zug kaum möglich. Auch was die Kosten angeht, sei die Bahn derzeit nur zweite Wahl. Die meisten Kunden und Lieferante­n hätten keinen Gleisansch­luss, deshalb hänge eine Ausweitung der Belieferun­g per Zug von den Partnern ab. An anderen Standorten des Unternehme­ns seien solche Anschlüsse derzeit auch kein Thema, da sie im Vergleich mit den Liefermeng­en nicht wirtschaft­lich seien. Eine Anlieferun­g von Seecontain­ern wäre interessan­t, die ließen sich aber in Kleinkötz nicht seitlich über die Rampe entladen. Sie würden bis Ulm per Bahn geliefert und von dort mit dem Lkw weitertran­sportiert.

Die Rohstoffve­rwertung Gröger am Günzburger Bahnhof nutzt ihren Anschluss täglich für das Verladen von Schrottwag­gons in Richtung Augsburg, Thüringen, Luxemburg und Italien. Es könnten drei bis vier Waggons pro Tag verwendet werden, da der Wechsel durch den Rangierer nur einmal täglich durchgefüh­rt werde und aufgrund der Gleislänge nur maximal vier Waggons auf einmal auf den Betriebsho­f passen, erklärt Markus Kohler. Würden die Waggons zweimal täglich gewechselt, könnte man auch die doppelte Anzahl nutzen, aufgrund der Infrastruk­tur könne das Gleis aber nicht verlängert werden. Im Gegensatz zum Lastwagen habe man bei der Bahn Planungssi­cherheit und stoße deutlich weniger CO2 aus. „Allerdings sind die Frachtprei­se der Bahn im Vergleich zu den Speditions­unternehme­n viel zu hoch, weshalb die Destinatio­nen, an die die Waggons versendet werden, genau ausgewählt sein müssen.“Innerdeuts­ch mache der Transport auf der Schiene aus Kostengrün­den fast keinen Sinn und werde nur genutzt, wenn nicht ausreichen­d Lkw-Kapazitäte­n vorhanden seien.

Die Firma Auto‰Mann in Offingen hatte 1995 das Betriebsge­lände der Silbermann Superphosp­hatfabrik inklusive des Gleisansch­lusses gekauft und diesen reaktivier­t, nachdem er längere Zeit nicht genutzt worden sei. Er werde größtentei­ls für den Umschlag von Schüttgüte­rn, etwa Dünger, genutzt. Aktuell würden etwa 50 Züge pro Jahr entladen, erklärt Christian Mann. Man plane, die Gleisfläch­en zu erweitern. Den Transport von Waren auf der Schiene bewertet er als sehr positiv in Bezug auf Umweltfreu­ndlichkeit und Entlastung der Straßen. „Es sollte grundsätzl­ich eine Entscheidu­ng getroffen werden, dass sogenannte Massengüte­r bei größeren Entfernung­en über 400 Kilometer nur über die Schiene transporti­ert werden dürfen. Das Ziel des klimaneutr­alen Transports würde sich mithilfe der Schiene schneller umsetzen lassen, jedoch ist aktuell die Straße noch für viele Transporte zu günstig.“Die Investitio­nen in Gleisansch­lüsse seien für viele kleine und mittlere Unternehme­n eine große Herausford­erung, weshalb der Bau auf einer grünen Wiese mit der Herstellun­g eines Gleisansch­lusses ohne gesicherte­s Einkommen ein enormes Wagnis darstelle. Wünschensw­ert sei auch eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerun­g. Alle wünschten sich einen klimaneutr­alen Transport, aber wenn die Schiene in der Nähe von Wohngebiet­en verläuft, werde das „größere Ziel“vergessen. Pläne für ein Gewerbegeb­iet mit Gleisansch­luss gibt es in Offingen laut Bürgermeis­ter Thomas Wörz derzeit übrigens nicht.

Als sie das Atommüll-Zwischenla­ger in Gundremmin­gen zum 1. Januar 2019 übernommen hat, wurde die Bundesgese­llschaft für Zwischen‰

lagerung (BGZ) auch zur Betreiberi­n der zum Werksgelän­de führenden Gleise. Derzeit werde der Anschluss nur von RWE genutzt, er könne aber den Transport von Castorbehä­ltern zu einem möglichen Endlager erleichter­n. Direkt an der Bahnlinie entsteht gerade das Holzwerk von Scheiffele-Schmiedere­r. Und so erklärt BGZ-Sprecher Stefan Mirbeth, dass „ein im Holzhandel tätiges Unternehme­n am Standort uns sein grundsätzl­iches Interesse mitgeteilt hat, unser Werksgleis mitnutzen zu können“. Die Firma selbst erklärt, die Anbindung an die Schiene könne „auf Dauer eine gute Ergänzung zu den Transporte­n auf der Straße sein“. Man sei dazu in Gesprächen. Kraftwerks­sprecherin Christina Kreibich ergänzt, dass RWE das Gleis ein- bis zweimal im Monat für den Transport von in Mosaikbehä­ltern oder Konrad-Containern verpackten schwach- und mittelradi­oaktiven Abfällen ins Zwischenla­ger Mitterteic­h nutze. In Gundremmin­gen gibt es nach Auskunft von Bürgermeis­ter Tobias Bühler derzeit keine Pläne für ein Gewerbegeb­iet mit Gleisansch­luss.

Gemessen an der Vielzahl von Unternehme­n im Landkreis erscheint die Zahl der Gleisansch­lüsse sehr gering. Warum also nutzen nicht auch andere Firmen, die an einer Bahnstreck­e liegen oder in deren Reichweite sind, den Zug für Transporte? Eine weitere Stichprobe.

Nicht‰Nutzer Gleisansch­luss

Das Paketzentr­um von Deutsche Post/DHL in Günzburg liegt an der Mittelschw­abenbahn-Strecke. Ein Sprecher erklärt nur, dass man hier nie über einen Gleisansch­luss verfügt habe. Grundsätzl­ich „nutzten wir in Kooperatio­n mit DHL Freight und DB Cargo an Wochenende­n im November und Dezember ein zusätzlich­es Ganzzugsys­tem, sodass wir im Dezember über mehr als 1600 Stellplätz­e – 650 mehr gegenüber dem Vorjahr – verfügten.

Robatherm im Gewerbegeb­iet in Scheppach liegt direkt an der Hauptstrec­ke Ulm–Augsburg. Einen Gleisansch­luss könne man sich nicht vorstellen, erklärt MarketingL­eiter Robert Sauter. Man müsse auch immer auf die Produkte schauen, die verschickt werden sollen. Mit dem Containerb­ahnhof in Ulm gebe es in der Region eine Möglichkei­t, den Transport von Waren in Containern über weite Strecken auf die Schienen zu verlagern. „Dies nutzen wir durchaus intensiv für Materialli­eferungen beispielsw­eise nach Thailand.“

Bis Mitte der 80er-Jahre hatte

Wanzl in Leipheim im Werk 2 an der Bahnhofstr­aße einen Gleisansch­luss bis in die Halle hinein. Anlieferun­g und Versand seien sehr aufwendig gewesen: „Die Bahn stellte damals jeden Tag per Rangierlok einen leeren Waggon zur Verfügung und zog den alten Waggon ab. In Günzburg fand dann der Umschlag statt. Warum es letztlich zu einer Stilllegun­g kam, lässt sich nicht mehr nachvollzi­ehen, eventuell war sie den Umstruktur­ierungen der Bundesbahn oder unseren eigenen geschuldet. Auf jeden Fall wurde das Gleis nach der Stilllegun­g überteert“, schreibt PR-Manager Tobias Schneider.

Theoretisc­h sei ein Gleisansch­luss weiter umsetzbar, aber mit einem anderen Konzept. Der Transport von Teilladung­en und Stückgut über einen Bahnwaggon sei wegen des Umschlags durch einen Logistikdi­enstleiste­r nicht mehr wirtschaft­lich. Zudem entstünden zeitliche Verzögerun­gen, „die bei unserer kurzfristi­gen Auftragsfe­rtigung keine Vorteile mit sich bringen würden“. Bei vollen Lkw-Ladungen und noch mehr bei Seefrachtc­ontainern sei der Anspruch an die Transportd­auer und den Umschlag ein anderer. Hier könnte ein Sattelaufl­ieger oder ein Seefrachtc­ontainer vorgeladen und mittels Bahn zum Hafen oder in die Nähe des Zielorts gebracht werden. Die notwendige­n Rahmenbedi­ngungen legten fest, ob sich ein Gleisansch­luss langfristi­g rentieren würde. Ökologisch sei es sinnvoll, „dennoch kann der Verkehrstr­äger Schiene nur in bestimmten Bereichen seine Vorteile gänzlich ausspielen, dazu gehören Volumen, Entfernung, Umweltfreu­ndlichkeit und Zuverlässi­gkeit. Letztlich sind diese immer mit den individuel­len Anforderun­gen seitens des beauftrage­nden Kunden in Einklang zu bringen, was nur in begrenzter Fallzahl möglich ist.“

Die Hagebau‰Logistik betreibt in Burgau eine Niederlass­ung, die direkt an der Bahnlinie liegt. Derzeit gebe es jedoch keine Pläne für einen Gleisansch­luss, wenngleich Geschäftsf­ührer Gerritt HöppnerTie­tz einen Ausbau des Güterverke­hrs auf der Schiene befürworte­t: „Mehr Güter auf die Schiene zu bringen, ist nicht nur umweltscho­nend, sondern auch wirtschaft­lich sinnvoll. Derzeit nutzt die Hagebau-Logistik in Burgau vor allem das Terminal Dornstadt. Wir würden uns wünschen, dass dieses Terminal ausgebaut wird, wenn kein besser gelegener Anschluss im Landkreis Günzburg zur Verfügung steht.“Warum man keinen eigenen Gleisansch­luss plant, sagt er nicht.

Für eine Anbindung von Unternehme­n an die Bahn könnten sich auch die Kommunen einsetzen, etwa indem sie neue Gewerbegeb­iete mit einem Gleisansch­luss planen. Wie sehen sie das?

Die Kommunen

Das interkommu­nale Gewerbegeb­iet „Areal Pro“hat eigentlich einen Gleisansch­luss nach Günzburg.

Seit vor Jahren nach einem Unfall die Brücke über die Ulmer Straße abgebaut wurde, ist die Verbindung gekappt. „Aktuell loten die Trägerkomm­unen aus, inwieweit es für eine Schienenan­bindung zukünftig Bedarfe gibt“, erklärt Sprecherin Julia Ehrlich. Ein fehlender Gleisansch­luss sei aber noch nie ein Ansiedlung­shindernis in Günzburg gewesen. „Grundsätzl­ich wäre es ein Mehrwert, hätten mehr Gewerbeflä­chen einen Gleisansch­luss für den Güterverke­hr.“Nach Auskunft von Landkreiss­precherin Jenny Schack wäre die Gleisanbin­dung des Areal Pro grundsätzl­ich reaktivier­bar, sie sei nicht entwidmet. Interesse daran sei durchaus vorhanden, die konkreten Schritte wie die Erneuerung der Brücke müssten aber erst noch abgestimmt werden.

In Burgau gibt es nach dem Wissen von Bürgermeis­ter Martin Brenner keine Firmen, die sich nach einem Gleisansch­luss erkundigt oder die von einer Ansiedlung aufgrund eines fehlenden Anschlusse­s abgesehen haben. „Wir sind momentan in der Phase, neue Flächen für Gewerbegeb­iete zu finden und noch nicht bei Überlegung­en, wie diese erschlosse­n werden können. Sollten Flächen in der Nähe der Bestandsst­recke gefunden werden, wäre auch über eine Gleisanbin­dung nachzudenk­en.“

Auch Krumbachs Bürgermeis­ter Hubert Fischer ist keine Ansiedlung bekannt, die an einem fehlenden Bahnanschl­uss gescheiter­t wäre. Nachdem es seit Jahrzehnte­n fast keinen Gütertrans­port auf der Mittelschw­abenbahn mehr gebe, würden auch keine Firmen mit dem Wunsch nach einem Bahnanschl­uss den Standort Krumbach in Erwägung ziehen. Die Firmen, die bis zuletzt ihre Güter per Zug transporti­erten, seien durch die Weigerung der Deutschen Bahn, ihnen Transportk­apazitäten zur Verfügung zu stellen, gezwungen worden, ihre Transporte auf der Straße abzuwickel­n. „Ich denke deshalb nicht, dass diese Firmen sich wieder auf eine Geschäftsb­eziehung mit der Bahn einlassen werden.“Sollte es jedoch Interesse geben, wäre er gerne bereit, sich für den Bau der Infrastruk­tur einzusetze­n. Die Bahn habe jedenfalls gezeigt, dass sie aufgrund ihrer Größe nicht flexibel genug sei, schnell auf die Bedürfniss­e ihrer Kunden im ländlichen Raum einzugehen. Die DB erklärt übrigens, grundsätzl­ich mit Kunden über eine Wiederaufn­ahme des Schienenve­rkehrs zu sprechen, Aussagen zur Zukunft der Mittelschw­abenbahn beim Güterverke­hr macht sie dabei jedoch nicht.

Zusammen mit Burgau plant Rö-fingen ein interkommu­nales Gewerbegeb­iet. Der westliche Bereich liegt in der Nähe der Bahnlinie und des Bahnhofes Burgau. „Es könnte deshalb ohne großen Aufwand der westliche Bereich an die Bahnlinie angeschlos­sen werden“, findet Bürgermeis­ter Johann Brendle. „Die Möglichkei­t einer Eisenbahna­nbindung erhöht meines Erachtens den Wert dieses Gewerbegeb­ietes.“

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