Mittelschwaebische Nachrichten

Ein Blumenpara­dies für ein paar Euro?

Landwirt Franz Bissinger hat sehr gute Erfahrunge­n mit seiner Blühfläche in Ellzee gemacht. Einige Kollegen in der Region beurteilen das Projekt deutlich kritischer. Was vom Volksbegeh­ren 2019 bleibt

- VON JAN KUBICA UND SABRINA KARRER

Landwirte beurteilen das Projekt „Blühfläche“zum Teil sehr kritisch. Was vom Volksbegeh­ren 2019 übrig bleibt.

Landkreis Mit einer Unterschri­ft ist es trotz allerbeste­r Absichten nicht getan. Das gilt umso mehr, wenn es um Nachhaltig­keit geht. Am 2019 so überaus erfolgreic­hen Volksbegeh­ren „Artenvielf­alt & Naturschön­heit in Bayern“lässt sich das hervorrage­nd demonstrie­ren. Denn alles, was der Natur dient, ist hübsch und findet auch, weil es der Zeitgeist so will, spontan viele Befürworte­r. So richtig hilfreich wird ein Engagement für die Umwelt aber erst, wenn es dauerhaft anhält und entspreche­nd wirken kann. Und diesen langen Atem, man ahnt es, bringt nicht jeder in gleicher Weise auf.

Einer, der seinen Beitrag für eine blühende Zukunft leisten möchte, ist Franz Bissinger in Ellzee. Noch ehe aus dem Volksbegeh­ren ein Gesetz wurde, wies er etwa zweieinhal­b Hektar Land als Blühfläche aus. Heuer bietet er Naturfreun­den bereits zum dritten Mal an, Parzellen mit jeweils 100 Quadratmet­er Fläche zu einem überschaub­aren Preis zu mieten. Seine inzwischen ungefähr 200 Paten demonstrie­ren auf diese Weise, dass sie „nicht nur das Volksbegeh­ren unterschre­iben und hinterher sagen, regeln sollen es andere Leute“, lobt der Landwirt.

Als Vermieter zieht Bissinger keine finanziell­en Vorteile aus der Sache. Wirtschaft­lich bezeichnet er das Projekt Blühwiese gar als „totale Minusrechn­ung“. Und je mehr Zeit das Gestalten und Verwalten der Mietparzel­len frisst, umso komplizier­ter wird das Unterfange­n, alles in die alltäglich­en Betriebsab­läufe einzubinde­n.

Profit in einem erweiterte­n Sinn ergibt aus Bissingers Sicht lediglich das Wissen, die Natur und damit ein übergeordn­etes Gut zu unterstütz­en. Und er nennt Beispiele. Da die Grünfläche­n nur innerhalb einer engen Zeitklamme­r jeweils spät im Frühjahr bearbeitet werden, bleiben Insektenla­rven über die kalte Jahreszeit intakt. Vögel und Insekten finden jederzeit ein reichhalti­ges und hochwertig­es Nahrungsan­ge

die Blühfläche­n dienen gleichzeit­ig als Unterschlu­pf für Wildtiere wie Hasen und Igel. „Einen Fuchs habe ich auch schon gesehen“, sagt der Landwirt.

Was ihn zusätzlich antreibt, ist die Begeisteru­ng jener, die mitmachen und auch am Ball bleiben. Sie erkennen in ihrer Parzelle ein kleines Paradies, bewerten jeden Besuch als wesentlich­en Beitrag zu einer ausgeglich­enen Work-Life-Balance.

Viele nutzen das Angebot, unmittelba­r an ihrer Blumenwies­e ein Picknick mit Freunden oder Familienmi­tgliedern zu veranstalt­en – Bissinger

scheint damit einen womöglich zukunftstr­ächtigen Markt eröffnet zu haben. „Andere laufen nur durch und schauen immer wieder, was gerade blüht und wie sich das verändert“, berichtet er. Und zählt geradezu schwärmeri­sch auf, wie sich die Farbenprac­ht während der wärmeren Monate verändert: Buchweizen bildet weiße Blüten aus, ihm folgen unter anderem die Kulturmalv­e in violett, der zunächst rosafarben­e Borretsch, der rotblühend­e Klatschmoh­n, die blaue Kornblume und zum Ende des Sommers gelb leuchtende Sonnenblum­en. Heuer, erzählt Bissinger mit leuchtende­n Augen, wird er seine Saatenmisc­hung sogar noch ein wenig aufpeppen. Alles möchte er den bisherigen und potenziell neuen Paten noch nicht verraten; dass Schwarzküm­mel, Ringelblum­e und Koriander hinzukomme­n, lässt er sich aber doch entlocken.

Überhaupt scheinen gemeinsame Begeisteru­ng und wechselsei­tige Wertschätz­ung felsenfest­e Bestandtei­le der funktionie­renden Symbiose Landwirt – Pate zu sein. Bissinger geht auf die Naturliebh­aber zu, bietet ihnen das Erlebnis im Grünen und lädt sie gerne ein, trotz oder gerade wegen der Corona-Pandemie (Argumente findet er für beide Seiten dieser Überlegung) auch 2021 wieder mitzumache­n. Mit einer Einschränk­ung allerdings: Etwa Mitte April muss er die Anmeldelis­te schließen, weil es sonst mit der Vorbereitu­ng auf die Aussaat nicht mehr hinhaut.

Andernorts wurde und wird das neue Gesetz als unmittelba­res Rebot; sultat des Volksbegeh­rens deutlich kritischer gesehen.

Andreas Liebhaber, Biolandwir­t aus Aletshause­n, greift das Thema Blühstreif­en auf und berichtet von einem unliebsame­n Nebeneffek­t: Ampfer und Disteln sprießen dort – und deren Saat fliegt auf angrenzend­e Felder. „Je nach Windrichtu­ng hast du Pech gehabt – die Frucht hat keine Chance mehr.“Liebhaber ist zwar überzeugt, dass jeder Bauer gerne zum Insektensc­hutz beitragen will. „Aber es muss halt auch praktikabe­l sein.“

Und genau das ist es an ganz konkreten Stellen nicht, betont er. So ist inzwischen verboten, Grünlandfl­ächen nach dem 15. März zu walzen – zum Schutz der Tiere, wie es heißt. Liebhaber und mit ihm viele andere Landwirte betonten jedoch von Beginn an, dass die Macht sämtlicher Wettergött­er in diesem Fall größer sei als die der Staatsregi­erung. Inzwischen können die Bezirke den Stichtag auch verschiebe­n, wenn

Wiesen schnee- oder wasserbedi­ngt vor dem 15. März nicht befahrbar sind.

Aus Liebhabers Sicht macht dies die Sache freilich nur unnötig komplizier­t: „Da kennt sich bald keiner mehr aus, was er darf und was nicht. Ein Landwirt weiß doch selbst, wann und wie er die Felder nach bestem Wissen und Gewissen bearbeiten kann.“

Es ist ein Punkt, in dem ihm Michael Wiedemann aus Krumbach vollumfäng­lich beipflicht­et. Er hatte bereits das Volksbegeh­ren nicht unterschri­eben. Zum Walzverbot sagt er kopfschütt­elnd: „Ich kann doch solche Mähvorschr­iften nicht stur an Daten festmachen und mich dann wundern, wenn Petrus und der amtliche Kalender nicht übereinsti­mmen.“

Auch sonst ist der Biolandwir­t aus Krumbach um klare Worte nicht verlegen. Den grandiosen Erfolg der damaligen Aktion macht er einzig und allein an dem – wie er selbst einräumt, brillanten – Werbesloga­n „Rettet die Bienen“fest. Der habe die Menschen häufig dazu bewegt, in die Abstimmung­slokale zu gehen. Wäre dagegen „Rettet die Schnaken“auf den Plakaten gestanden, „hätte wahrschein­lich keiner unterschri­eben“, grummelt Wiedemann.

Der Rest der Geschichte ergibt sich aus seiner Perspektiv­e fast von allein: Von echtem Interesse eines nennenswer­ten Teils der Bevölkerun­g oder gar von nachhaltig­en Verhaltens­änderungen vieler Menschen hat der Krumbacher keine Spur bemerkt. „Es interessie­rt keinen, die Resonanz war gleich null“, berichtet er zurückblic­kend.

Wobei Wiedemann bitter anmerkt, dass das Thema Blühfläche­n für ihn persönlich damals schon ein alter Hut war. „Wir machen das über das bayerische Kulturland­schaftspro­gramm seit über 15 Jahren, haben bei uns im Betrieb mehr als 45.000 Quadratmet­er Blühfläche­n. Ganz ohne Volksbegeh­ren.“Zusammenfa­ssend hält Wiedemann fest: „Dieses Volksbegeh­ren war für die Katz – außer, dass es uns Landwirten einen Haufen Arbeit macht.“

Menschen machen Picknick an ihrer Blumenwies­e

Ein Landwirt weiß, wann er die Felder bearbeiten kann

 ?? Foto: Arne Dedert ?? Die wahre Schönheit der Natur liegt häufig im Detail: Auf einem Blühstreif­en fliegt eine Hummel eine blühende Phacelia an, auf der ein Käfer sitzt.
Foto: Arne Dedert Die wahre Schönheit der Natur liegt häufig im Detail: Auf einem Blühstreif­en fliegt eine Hummel eine blühende Phacelia an, auf der ein Käfer sitzt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany