Mittelschwaebische Nachrichten
Jüdische FußballLiga im Land der Täter
Jüdische Fans und Spieler wurden 1933 aus den Vereinen ausgeschlossen. Den Überlebenden des Holocaust aber gab der Sport nach 1945 wieder eine Perspektive
Ichud Landsberg heißt der Sieger. Die Fußballmannschaft aus dem DP-Camp Landsberg der „Displaced Persons“, also der heimatlos gewordenen Shoah-Überlebenden, gewann am 29. November 1947 das Match im Münchner Stadion an der Grünwalder Straße vor den Lagermannschaften aus Ulm, Feldafing und Frankfurt. Das waren „die vier besten Mannschaften der 1. jüdischen Fußball-Liga in der amerikanischen Zone“, berichtete die Jidisze Sport Caitung.
Jüdische Fußball-Liga? Im Land der Täter, kurz nach dem Holocaust? Von dem außergewöhnlichen und heute aus der kollektiven Erinnerung verschwundenen Phänomen berichtet der Nürnberger Historiker Jim G. Tobias im neuesten Band der Reihe „Irseer Dialoge“. In dem geht es um „Sportler jüdischer Herkunft in Süddeutschland“, und man liest verwundert, wie junge Menschen, die das große Morden überlebt hatten, in ihren Camps nicht nur auf die Ausreise nach Palästina oder Amerika warteten, sondern die Zeit auch nutzten – für Lernen, Ausbildung, die Gründung von Zeitungen und Parteien, und eben für Sport.
Vereine gab es 1946 im jüdischen Fußballverband der amerikanischen Besatzungszone, dazu Boxklubs, denn außer dem Kicken erschien den Überlebenden das Boxen wichtig, um wehrhafte Menschen zu bilden, die sich nicht noch einmal wie von den Nazis zur Schlachtbank würden führen lassen. Vor allem aber sollte der Sport die traumatisierte Seele heilen – wenigstens die 90 Minuten, die man dem Ball hinterherrannte, musste man nicht an Qualen und Sterben denken. Auch eine reiche Presselandschaft entstand – nicht weniger als 150 Zeitungen in jiddischer Sprache berichteten über die Wettkämpfe. Mitte 1948, nachdem der Staat Israel proklamiert war, wanderten viele Bewohner der Lager aus, und die jüdische Sportkultur in Deutschland fand ihr Ende.
Auch in den Jahren nach 1933 war der Sport für junge jüdische Menschen wichtig, bot Trost und Gemeinschaft wie auf einer „Insel im braunen Meer“. Die Augsburger Juden bauten ihre Private Tennisgesellschaft zu dieser Insel aus, damit ihre Söhne und Töchter noch Sport treiben konnten, wo sie sonst auf Sportplätzen zu hören bekamen: „Du bist ein Jud. Mach, dass du heimkommst!“, wie es die Kemptener 100-Meter-Läuferin Traudel Kuppe-Löw erlebt hat. In „eilfertigem Gehorsam“, schreibt Benigna Schönhagen, schlossen die schwäbischen Sportvereine 1933 ihre jüdischen Mitglieder aus. So verlor das Fußballtalent Isi Einstoss kurz nach der Machtübertragung seine Mitgliedschaft im BC Augsburg.
Auch in Memmingen und Nördlingen, in Nürnberg und Fürth drängten die Vereinsvorstände die jüdischen Mitglieder aus den Sportvereinen; in einer „Stuttgarter Erklärung“vom 9. April 1933 sprachen sich die Spitzenvereine explizit für „Gleichschaltung und Arisierung“aus. Markwart Herzog, der Irseer Experte für NS-Sportgeschichte, gibt darüber einen kundigen und detailreichen Überblick. Und Georg Feuerer berichtet, wie der Augsburger Sportreferent Willy Förg die Ziele der Nazis gegenüber den Vereinen durchsetzte.
Dabei hatten jüdische Bürger vielerorts die Sportvereine mit aufgebaut und großzügig unterstützt, galt ihnen doch der Sport als „wirksames Medium, ihren Platz in der deutschen Gesellschaft zu finden“, so Herzog und sein Mitherausgeber Peter Fassl. Wer mitspielt, der gehört auch dazu – das galt offenbar damals wie heute. Viele der jüdi80 schen Sportmäzene waren deutschnational eingestellt, wie etwa der Kaufmann und begeisterte Fußballer Alfred Heilbronner aus Memmingen, der nach dem Ersten Weltkrieg Mitglied des paramilitärischen Freikorps Schwaben wurde, um die Münchner Räterepublik zu bekämpfen. Weder sein Kampf gegen die Revolution noch sein Einsatz für den Sport schützten ihn vor Verfolgung durch die Nazis. Heilbronner wurde 1938 inhaftiert, konnte dann in die USA emigrieren.
Nach all der Ausgrenzung und Verfolgung erscheint es mehr als erstaunlich, dass die Überlebenden nach 1945 zu ihren Vereinen zurückkehrten. Der jüdische Franke Jean Mandel, der im ukrainischen Versteck überlebt hatte, war nach 1945 wieder aktiv bei der Spielvereinigung Fürth, die ihn zuvor nicht mehr hatte haben wollen. Auch Henry Kissinger, der aus Fürth emigrieren konnte (und später US-Außenminister wurde), hielt zu dem Verein, ebenso wie Kurt Landauer, der nach dem Krieg wieder für den FC Bayern tätig war.
» Markwart Herzog/Peter Fassl (Hrsg.): Sportler jüdischer Herkunft in Süddeutschland, KohlhammerVerlag, 326 Seiten, 29 Euro.