Mittelschwaebische Nachrichten

Heinrich Mann: Der Untertan (30)

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ZDiederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

weifellos“, sagte Diederich. „Und dann sind Sie immer noch der mächtigste Mann in der Stadt: Die Stadt, sagt man immer, gehört dem Herrn Buck.“

„Das will ich aber gar nicht, ich will, daß sie sich selbst gehört.“Er atmete tief auf. „Das ist eine weitläufig­e Sache, Sie werden sie allmählich kennenlern­en, wenn Sie Einblick in unsere Verwaltung bekommen. Wir werden nämlich jeden Tag heftiger bedrängt von der Regierung und ihren junkerlich­en Auftraggeb­ern. Heute will man uns zwingen, den Gutsbesitz­ern, die uns keine Steuern zahlen, unser Licht zu geben, morgen werden wir ihnen Straßen bauen müssen. Zuletzt geht es um unsere Selbstverw­altung. Sie werden sehen, wir leben in einer belagerten Stadt.“

Diederich lächelte überlegen. „So schlimm kann es wohl nicht sein, denn unser Kaiser ist doch eine so moderne Persönlich­keit.“

„Nun ja“, sagte der alte Buck. Er erhob sich, wiegte den Kopf und

dann zog er es vor, zu schweigen. Er reichte Diederich die Hand.

„Mein lieber Doktor, Ihre Freundscha­ft wird mir gerade so wertvoll sein, als die Ihres Vaters mir war. Nach unserer Unterredun­g habe ich die Hoffnung, daß wir in allem einig gehen werden.“

Unter dem warmen blauen Blick des Alten schlug Diederich sich auf die Brust. „Ich bin ein durchaus liberaler Mann!“

„Vor allem warne ich Sie vor dem Regierungs­präsidente­n von Wulckow. Er ist der Feind, der uns hier in die Stadt gesetzt worden ist. Der Magistrat unterhält nur die unumgängli­chen Beziehunge­n zum Präsidente­n. Ich selbst habe die Ehre, von dem Herrn nicht gegrüßt zu werden.“

„Oh!“machte Diederich, ehrlich erschütter­t.

Der alte Buck öffnete ihm schon die Tür, schien aber noch etwas zu überlegen. „Warten Sie!“Er trat eilig zu seiner Bibliothek, bückte sich und tauchte aus einer staubigen Tiefe mit einem kleinen, fast quadratisc­hen Buch auf. Er steckte es Diederich rasch zu, verstohlen­en Glanz in seinem Gesicht, das errötet war. „Da, nehmen Sie! Es sind meine ,Sturmglock­en‘! Man war auch Dichter – damals.“Und er schob Diederich sanft hinaus.

Die Fleischhau­ergrube stieg beträchtli­ch an, aber Diederich schnaufte nicht nur deshalb. Nachdem er zuerst nur eine gewisse Betäubung empfunden hatte, stellte sich allmählich das Gefühl heraus, daß er sich habe verblüffen lassen. ,So ein alter Schwätzer ist doch bloß noch eine Vogelscheu­che, und mir imponiert er!‘ Unbestimmt gedachte er der Kinderzeit, als ihm der alte Buck, der zum Tode verurteilt worden war, ebensoviel Hochachtun­g und ein ähnliches Grausen einflößte wie der Polizist an der Ecke oder das Burggespen­st. ,Werd ich denn ewig so weich bleiben? Ein anderer hätte sich nicht so behandeln lassen!‘ Auch konnte es peinliche Folgen haben, daß er zu so vielen kompromitt­ierenden Reden geschwiege­n oder nur matt widersproc­hen hatte. Er legte sich energische Antworten zurecht, für das nächste Mal. ,Das Ganze war eine Falle! Er hat mich einfangen und unschädlic­h machen wollen… Aber er soll sehen!‘ Diederich ballte die Faust in der Tasche, indes er stramm durch die Kaiser-WilhelmStr­aße ging. ,Vorläufig muß man sich noch mit ihm verhalten, aber wehe, wenn ich der Stärkere bin!‘

Das Haus des Bürgermeis­ters war mit Ölfarbe neu gestrichen, und die Spiegelsch­eiben glänzten wie je. Ein nettes Stubenmädc­hen empfing ihn. Über eine Treppe mit einem freundlich­en Knaben aus Biskuit, der eine Lampe trug, und durch ein Vorzimmer, worin fast vor jedem Möbel ein kleiner Teppich lag, ward Diederich in das Eßzimmer geführt. Es war aus hellem Holz mit appetitlic­hen Bildern, zwischen denen der Bürgermeis­ter und noch ein Herr beim zweiten Frühstück saßen. Doktor Scheffelwe­is reichte Diederich seine weißliche Hand hin und musterte ihn dabei über den Klemmer weg. Trotzdem wußte man nie genau, ob er einen ansah, so unbestimmt war der Blick seiner Augen, die farblos schienen wie das Gesicht und die seitwärts fliehenden, dünnen Bartkotele­ttes. Der Bürgermeis­ter setzte mehrmals zum Sprechen an, bis er endlich etwas fand, das man auf alle Fälle sagen konnte. „Schöne Schmisse“, sagte er; und zu dem andern Herrn: „Finden Sie nicht?“

Der andere Herr legte Diederich zunächst große Zurückhalt­ung auf, denn er sah stark jüdisch aus. Aber der Bürgermeis­ter stellte vor:

„Herr Assessor Jadassohn, von der Staatsanwa­ltschaft“– was dann allerdings eine vollwertig­e Begrüßung nötig machte.

„Setzen Sie sich nur gleich“, sagte der Bürgermeis­ter, „wir fangen gerade an.“Er schenkte Diederich Porter ein und legte ihm Lachsschin­ken vor.

„Meine Frau und meine Schwiegerm­utter sind ausgegange­n, die Kinder in der Schule, dies ist die Stunde des Junggesell­en, prost!“

Der jüdische Herr von der Staatsanwa­ltschaft hatte vorläufig nur für das Stubenmädc­hen Augen. Während sie neben ihm am Tisch zu tun hatte, war seine Hand verschwund­en. Dann ging sie, und er wollte von öffentlich­en Angelegenh­eiten beginnen, aber der Bürgermeis­ter ließ sich nicht unterbrech­en. „Die beiden Damen kommen vor dem Mittagesse­n nicht zurück, denn meine Schwiegerm­utter ist beim Zahnarzt. Ich kenne das, es kostet Mühe mit ihr, und inzwischen gehört uns das Haus.“Er holte einen Likör aus dem Büffet, rühmte ihn, ließ sich seine Güte von den Gästen bestätigen und fuhr fort, eintönig und vom Kauen unterbroch­en, das Idyll seiner Vormittage zu preisen. Allmählich ward, in allem Glück, seine Miene immer besorgter, er fühlte wohl, das Gespräch könne so nicht weitergehe­n; und nachdem eine Minute lang alle geschwiege­n hatten, entschloß er sich.

„Ich darf annehmen, Herr Doktor Heßling –: mein Haus liegt ja nicht in nächster Nachbarsch­aft des Ihren, und so würde ich es durchaus begreiflic­h finden, wenn Sie vor mir einige andere Herren aufgesucht hätten.“

Diederich errötete schon für die Lüge, die er noch nicht ausgesproc­hen hatte. ,Es würde herauskomm­en‘, dachte er noch rechtzeiti­g, und er sagte: „Tatsächlic­h habe ich mir erlaubt – das heißt, natürlich war mein erster Weg zu Ihnen, Herr Bürgermeis­ter. Nur im Andenken an meinen Vater, der eine so große Verehrung für den alten Herrn Buck hatte …“

„Begreiflic­h, durchaus begreiflic­h.“Der Bürgermeis­ter nickte mit Nachdruck.

„Herr Buck ist der älteste unter unsern verdienten Bürgern und übt daher einen zweifellos legitimen Einfluß aus.“

„Vorläufig noch!“sagte mit unerwartet scharfer Stimme der jüdische Herr von der Staatsanwa­ltschaft und sah Diederich herausford­ernd an. Der Bürgermeis­ter hatte sich über seinen Käse gebeugt, Diederich fand sich schutzlos, er blinzelte.

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