Mittelschwaebische Nachrichten

„Alle Straßen führen auf einen Acker“

Der Autor Marco Maurer kurvte in einem Cinquecent­o 7000 Kilometer durch Italien und schrieb über seine Erfahrunge­n. Vom Autoschieb­en, topfweise Olivenöl und überrasche­nden Parallelen zu seiner Nördlinger Herkunft

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Marco Maurer, in Ihrem neuen Buch „Meine Italienrei­se“nehmen Sie und der Fotograf Daniel Etter die Leser und Leserinnen in einem alten Fiat Cinquecent­o mit durch Sizilien, das südlichste Ende Italiens, über Landstraße­n und kleine Dörfer – bis nach Deutschlan­d zurück. Hatten Sie in dem kleinen Auto überhaupt Platz? Marco Maurer: Ja, gut sogar. Ich bin 1,84 Meter und Daniel etwa zehn Zentimeter größer. Wir saßen 7000 Kilometer in dem kleinen Fiat – und nur ein einziges Mal hat es zwischendu­rch im Rücken gezwickt.

Warum der Cinquecent­o?

Maurer: Ich bin in einem Dorf aufgewachs­en und wir wohnten an einem Berg. Ich kann mich gut erinnern: Es gab einen Mann, der täglich mit seinem alten, kleinen Fiat an uns Kindern vorbeigero­llt ist. Das war immer ein besonderer Moment, die Zeit stand still, das Eis in meiner Hand tropfte herunter. Ich war verknallt.

Was macht den Charme des Autos aus? Maurer: Es hat alles, was ein Auto braucht, ein Lenkrad, vier Reifen, eine Bremse. Ich habe mir das Modell Giardinier­a (dt. Gärtnerin) zugelegt, ein Auto von Handwerker­n und Bauern. Heutzutage sind die Autos groß und breit, mein Auto, Baujahr 1968, verbraucht weniger Sprit als ein durchschni­ttlicher deutscher Neuwagen, ist klitzeklei­n, kann alles, ist Kombi und Cabrio zugleich. Und es fährt sich mit seinen 14 PS sehr gut.

Naheliegen­d ist es nicht, damit 7000 Kilometer durch Italien zu fahren. Was haben Sie sich davon versproche­n?

Maurer:

Ich war auf der Suche nach ursprüngli­chen Italien. Kaum ein Auto steht so für das Land wie der Cinquecent­o. Viele Italiener und Italieneri­nnen haben sich gefreut, als sie uns mit dem Auto gesehen haben, weil irgend eine Tante oder Onkel früher es auch fuhr. Darüber hinaus waren wir hauptsächl­ich auf Landstraße­n unterwegs, abseits von Touristenr­outen, das war ein einfaches, langsames Reisen, wie früher.

Haben Sie das ursprüngli­che Italien gefunden?

Maurer: Ich habe das gute Italien gefunden. Seit meiner Kindheit liebe ich das Land: Meine erste Amore war Luana aus Mailand, die Fußball-WM in Italien 1990 und die Musik und Filme der 60er und 80er Jahre haben mich geprägt. Wir haben wahnsinnig tolle und schöne Menschen getroffen, mit ihnen gedem die mangelnde Chancenger­echtigkeit in Deutschlan­d. „Meine italienisc­he Reise – oder wie ich mir in Sizilien ei‰ nen uralten Cinquecent­o kaufte und einfach nach Hause fuhr“mit Fotos von Daniel Etter ist sein zweites Buch und erschien am 15. März 2021 beim Prestel Verlag. redet und gekocht. Es hat uns überrascht, wie landwirtsc­haftlich geprägt viele Gegenden sind und wir haben festgestel­lt: Alle Straßen führen nicht nach Rom, sondern auf den Acker. Das hat mich stark an das Ries erinnert, aus dem ich stamme.

Wie das?

Maurer: Das Ries hat fast mehr Ähnlichkei­t mit Italien als mit Schwaben, wie ich finde. Es war früher die Kornkammer Roms, die Mühlen haben die Römer dorthin gebracht – noch heute gibt es sie. Alte römische Straßen führen hindurch, manche enden sogar vor dem Haus meiner Großmutter. Im Krater, in dem das Ries liegt, ist es durch den Einschlag des Meteoriten wesentlich wärmer als darum herum. Es wachsen dort Dinge, die außerhalb des Kraters schwer zu finden sind: Thymian, Wacholder, wilde Kräuter.

Welche Rolle spielte das Essen und Kochen auf Ihrer Reise?

Maurer: Es gibt für Essen kein besseres Land als Italien, so viele Geschmäcke­r und Düfte, Amalfi-Zitronen, Meeresfrüc­hte, Mozzarella – und Olivenöl. Ich kochte vorher bereits, aber von den Nonnas und Pizzabäcke­rn habe ich mir so viele Kniffe abschauen können. Olivenöl ist das verbindend­e Glied: Wenn eine Nonna sagt, viel Olivenöl, meint sie einen Topf voll! Ich habe eine Frau in Kalabrien getroffen, Maria Luisa. Sie verbraucht fast 400 Liter im Jahr für ihre Familie, Deutsche im Durchschni­tt nur einen Liter.

Welche Momente oder Situatione­n haben Sie auf Ihrer Reise noch überrascht?

Maurer:

Mein Auto! Es hat richtig gut funktionie­rt. Ab und zu hat es uns aber auch im Stich gelassen. Einmal waren wir gerade auf dem Weg zum Fiat-Werk in Turin. Es regnete wie aus Kübeln und das Auto funktionie­rte nicht mehr, als hätte es gemerkt, dass es gleich repariert wird. Wir haben es klatschnas­s durch das Werkstor reingescho­ben. Eine Italieneri­n hat uns fotografie­rt dabei. Das Foto hätte ich gerne, Signora!

Klingt nach einer ganz anderen Art des Reisens. Was haben Sie daraus für sich mitgenomme­n?

Maurer: So gut es geht, nicht zu planen, einfach losfahren. Wir wussten oft nicht, wo wir am Abend schlafen, und es hat immer geklappt. Sich abseits von bekannten Routen bewegen, kleine Dörfer besuchen, sich überrasche­n lassen. Es war immer wunderschö­n, die Orte ebenso wie die Menschen. Alle haben gerne mit uns geredet und sogar ihre Rezepte mit uns geteilt, man muss einfach nur fragen.

Helfen Ihnen die Erinnerung­en an Ihre Reise über die Lockdowns hinweg? Maurer: Für mich geht die Reise noch weiter. Nach meinem Buch gestalte ich hier in Hamburg für zwei Monate lang eine Art Museum, ein Little Italy, in der Besucher die Reise nachempfin­den können. Die Italiener und Italieneri­nnen, die ich getroffen habe, haben Gegenständ­e ihres Lebens geschickt, ein Raum ist eine kleine Nachbildun­g des Bauernhof-Cafés meiner Großmutter aus dem Ries. In so einer Zeit, in der wir nicht reisen können, soll der Ort eine Art kulturelle­s Gegengift sein, an dem sich die Menschen entspannen können – wie Urlaub in Italia.

Interview:Anna Katharina Schmid

 ?? Foto: Daniel Etter ?? Marco Maurer in seinem Fiat Cinquecent­o Giardinier­a (zu dt. Gärtnerin) auf der Ita‰ lienreise.
Foto: Daniel Etter Marco Maurer in seinem Fiat Cinquecent­o Giardinier­a (zu dt. Gärtnerin) auf der Ita‰ lienreise.

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