Mittelschwaebische Nachrichten

„Jeder Einsatz kann sich unerwartet entwickeln“

Wie Polizisten auf Einsätze vorbereite­t werden und was sie in Extremsitu­ationen beachten müssen

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Krumbach Ein Mann sitzt unerlaubt auf einer fremden Terrasse. Deshalb wird die Polizei gerufen. Die Polizeibea­mten sollen den Mann veranlasse­n, die Terrasse zu verlassen. Kein Streit, keine Handgreifl­ichkeit haben im Vorfeld stattgefun­den. Die Aufforderu­ng zu gehen, vorgebrach­t von zwei Polizisten, sollte reichen. Doch der Mann geht nicht, er legt auch seinen Schraubenz­ieher nicht aus der Hand. Die Situation eskaliert und nicht einmal Pfefferspr­ay hält den 63-Jährigen auf. Am Ende fallen mehrere Schüsse durch die Polizei und der Mann wird getroffen. Das Video von dem Vorfall in Krumbach geistert durch das Netz, die Diskussion­en reißen nicht ab. Wir haben uns deshalb nochmals an Peter Pytlik, den Landesvors­itzenden der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP), gewandt und mit ihm gesprochen.

Das Verhalten des Mannes ist schwer zu verstehen. Werden Polizisten in ihrer Ausbildung auf solche Situatione­n vorbereite­t, darauf, dass Menschen, egal ob sie krank oder verwirrt sind, nicht durch Worte erreicht werden können, dass eine vermeintli­ch einfache Situation so eskalieren kann?

Peter Pytlik: Ja, natürlich ist das Inhalt der Ausbildung. Es ist ja so, dass unsere Kolleginne­n und Kollegen sehr oft mit Menschen zu tun haben, die psychisch auffällig sind oder auch durch Alkohol oder Drogen im Ablauf ihrer Gedankenwe­lt beeinträch­tigt sind. Und eben deshalb werden die Polizeisch­üler auf solche Situatione­n intensiv vorbereite­t beziehungs­weise werden diese Situatione­n an praktische­n Beispielen geübt.

Wie sieht die Ausbildung aus?

Pytlik: Während der Ausbildung finden sogenannte Szenarien-Trainings statt. Dabei wird insbesonde­re auch trainiert, welche Einsatzmit­tel, beziehungs­weise Waffen, in welcher Eskalation­sreihenfol­ge eingesetzt werden dürfen. Es wird bei den Nachbespre­chungen stets darauf hingewiese­n, was rechtlich zulässig und was taktisch günstig ist. Ob Pfefferspr­ay, Schlagstoc­k oder Schusswaff­e immer richtig sind, wird ausführlic­h im Zuge der Szenarien geübt, besprochen und rechtlich bewertet. Es sind stets auch die Hinweise an die Auszubilde­nden dabei, dass letales Einschreit­en eine sehr hohe Belastung für die handelnden Polizeibea­mten darstellt und – so weit irgendwie möglich – vermieden werden sollte, also immer nur ‚Ultima Ratio’ sein kann.

Haben sich die Schwerpunk­te in der Ausbildung in den vergangene­n Jahren verändert?

Pytlik: Die Ausbildung bei der Bayerische­n Bereitscha­ftspolizei wird stetig den gesellscha­ftlichen Verhältnis­sen sowie an aktuelle Geschehnis­se (zum Beispiel Amok oder Terrorlage­n) angepasst. Hierbei findet auch ein geändertes Aggression­sverhalten in der Öffentlich­keit die nötige Berücksich­tigung. Dass jede polizeilic­he Handlung im Internet landen kann, wird jedem bewusst gemacht. Im Zusammenha­ng mit der Einführung der neuen Schusswaff­e wurde ganz besonders der gewissenha­fte Umgang mit der Waffe, sowie die Beachtung alle Sicherheit­svorschrif­ten trainiert. Ein Trainingss­chwerpunkt ist dabei selbstvers­tändlich auch die rechtliche Zulässigke­it der Anwendung der Schusswaff­en, sowie der Hilfsmitte­l der körperlich­en Gewalt, die, so weit möglich, den Vorzug vor der Schusswaff­e haben sollten. Dies wird auch nach der Ausbildung in den regelmäßig­en Fortbildun­gen immer und immer wieder trainiert.

Ist Deeskalati­on ein großes Thema? Von einer gewissen Respektlos­igkeit gegenüber der Polizei ist ja immer wieder zu hören.

Pytlik: Ja, Deeskalati­on ist ein sehr großes Thema. Es ist sehr wichtig und oftmals von entscheide­nder Bedeutung, wie unsere Einsatzkrä­fte im täglichen Dienst einschreit­en. Jeder Einsatz ist anders oder kann sich auch plötzlich völlig unerwartet entwickeln, weshalb hier eine große Vorsicht und enormes Feingefühl gefragt sind.

Gibt es ein vorschrift­smäßiges Verhalten in derartigen Situatione­n? Wie sieht es aus?

Pytlik: Natürlich ist ein vorschrift­smäßiges Verhalten Voraussetz­ung für das polizeilic­he Einschreit­en. Das ist die Richtschnu­r. Aber wie schon erwähnt, kommt es immer auf die Situation und auf das polizeilic­he

Gegenüber an, wie letztendli­ch Einsätze ablaufen. Viele Menschen sind mit nicht alltäglich­en Situatione­n, in denen sie sich plötzlich befinden, oder, die ihnen plötzlich passiert sind, selbst überforder­t. Und hier ist das Einfühlung­svermögen unserer Kolleginne­n und Kollegen besonders gefragt, wie im Übrigen bei den Einsatzkrä­ften der Rettungsdi­enste und der Feuerwehr auch.

Wann müssen oder sollen weitere Kollegen hinzugezog­en werden? Gibt es dazu Vorgaben?

Pytlik: Das entscheide­n die Einsatzkrä­fte lagebeding­t vor Ort, der zuständige Dienstgrup­penleiter oder auch die Einsatzzen­trale, je nachdem was wir im Vorfeld des Einsatzes beziehungs­weise während des Einsatzes für Erkenntnis­se haben, beziehungs­weise, wenn neue hinzukomme­n.

Die beiden Polizisten haben es sicher im Moment nicht leicht. Allein der Einsatz der Waffe ist bestimmt nicht Alltag. Die heftige Diskussion in den sozialen Medien, die äußerst verletzend sein kann, tut ein Übriges. Steht den beiden denn jemand zur Seite? Gibt es ein Kriseninte­rventionst­eam? Oder müssen die beiden weiter zum

Dienst erscheinen, als wäre nichts passiert?

Pytlik: Ja natürlich gibt es diese Teams. Da ist die bayerische Polizei sehr gut aufgestell­t. Ob die Kollegen nach traumatisc­hen Erlebnisse­n wieder in den Dienst gehen, und wann dies erfolgen kann, wird durch Fachleute innerhalb der Polizei und natürlich auch von den betroffene­n Beamten selbst entschiede­n. Wichtig ist, dass sichergest­ellt ist, dass nach solchen Vorkommnis­sen die Einsatzfäh­igkeit wieder völlig hergestell­t ist.

In den sozialen Netzwerken hat sich auch ein bekannter türkischer Politiker der Erdogan-Partei AKP gemeldet. Er stellt den Einsatz als unverhältn­ismäßig dar und fordert die deutschen Behörden auf, „das Notwendige zu tun“. Wie ist das zu bewerten?

Pytlik: Dass sich ein bekannter türkischer Politiker bezüglich dieses Einsatzes gemeldet hat und hier von weit weg Forderunge­n an die deutschen Behörden stellt: Kann man machen, ist aber nicht hilfreich! In einem hat der Mann aber recht: „Die deutschen Behörden werden das Notwendige tun“. Hier bedarf es aber keiner Aufforderu­ng von außen. Interview: Angelika Stalla

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Zu einem Schusswaff­eneinsatz durch die Polizei kam es in Krumbach in der Robert‰Steiger‰Straße am Gründonner­stag. Die Schüsse auf einen 63‰Jährigen wurden in den so‰ zialen Medien heftig diskutiert. Archiv‰Foto: Peter Bauer
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