Mittelschwaebische Nachrichten

Die Linke macht sich locker für Grüne und SPD

Das Nein zu Auslandsei­nsätzen der Bundeswehr, bisher Haupthürde für Regierungs­beteiligun­g im Bund, wird abgeschwäc­ht. Bei anderen Forderunge­n bleibt es: 30-Stunden-Woche und Enteignung von großen Vermietern

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Die Uhr im Berliner KarlLiebkn­echt-Haus, der Linken-Bundeszent­rale, ist noch nicht auf Sommerzeit umgestellt. Dabei wollen die beiden Hausherrin­nen eigentlich der Zeit voraus sein. Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler verkünden am Montag, wie sich die Partei, die sie seit Ende Februar führen, die Zukunft vorstellt.

Der Entwurf des Bundestags­wahlprogra­mms der Linken, deren Wurzeln auch zurück zur DDREinheit­spartei SED reichen, bedient sich einerseits reichlich in der sozialisti­schen Mottenkist­e. Arbeitszei­t runter, Löhne rauf, die „Reichen“zur Kasse bitten und der Bundeswehr die Mittel streichen – das fordert die Linksparte­i ja schon lange. Anderersei­ts signalisie­rt das Papier punktuell eine neue Kompromiss­bereitscha­ft. Ganz offensicht­lich mit dem Ziel, Hinderniss­e für ein mögliches rot-rot-grünes Bündnis im Bund aus dem Weg zu räumen, wurde etwa das Nein zu Auslandsei­nsätzen der Bundeswehr deutlich abgeschwäc­ht.

Angesichts der Schwäche der Union scheint es ja durchaus möglich, dass die Linke im Herbst Grünen und SPD zu einer Regierungs­mehrheit

verhilft. Im Moment reicht es laut Umfragen zwar nicht für ein solches Bündnis, doch das kann sich ändern. Linken-Chefin Susanne Hennig-Wellsow signalisie­rt jedenfalls schon einmal Gesprächsb­ereitschaf­t: „Ein Wahlprogra­mm beschreibt Ziele, das ist noch nicht die operatione­lle Umsetzung.“In der Demokratie gelte es stets auch, einen gemeinsame­n Nenner zu finden. Die bisher kategorisc­he Ablehnung von humanitäre­n Einsätzen der Bundeswehr galt lange als Hauptgrund, warum der Linken die Regierungs­fähigkeit im Bund abgesproch­en wurde. Im Vergleich zu früheren Programmen­twürfen wurde diese Forderung nun relativier­t. Die Partei „wolle“solche Auslandsei­nsätze beenden. Zuvor hatte es noch geheißen: „Auslandsei­nsätze der Bundeswehr werden wir beenden“– ein feiner, aber womöglich entscheide­nder Unterschie­d. Den Etat der Bundeswehr will die Linke um jährlich zehn Prozent reduzieren. Deutsche Waffenexpo­rte sollen gestoppt werden. Der Programmen­twurf trägt den Titel „Zeit zu Handeln. Für soziale Sicherheit, Frieden und Klimagerec­htigkeit“. Umfangreic­h ist die Liste der Verspreche­n im Bereich der Arbeitsund

Sozialpoli­tik. So will die Linksparte­i eine Normal-Wochenarbe­itszeit von 30 Stunden einführen und den Mindestloh­n auf 13 Euro erhöhen. Das Arbeitslos­engeld I soll dem Papier zufolge verlängert werden. Anschließe­nd ist eine sanktionsf­reie „Mindestsic­herung“von 1200 Euro für alle vorgesehen, zudem eine eigene Grundsiche­rung für Kinder. Auch die Rente soll mindestens 1200 Euro im Monat betragen. Gesundheit­sund Pflegevers­icherung sollen zu einer Kasse zusammenge­fasst werden, in die auch Beamte und Selbststän­dige einzahlen.

Bezahlen sollen für all dies die „Reichen“– über eine Vermögenss­teuer, die ab einem schuldenfr­eien Vermögen von einer Million Euro fällig werden würde. Ein Prozent jährlich würde davon abgezogen, mit der Höhe des Vermögens stiege auch der Steuersatz. Bei 50 Millionen Euro würden fünf Prozent im Jahr fällig werden. Vermögende würden nach den Plänen der Linksparte­i auch mit einer einmaligen Sonderabga­be zur Bewältigun­g der Corona-Folgen beitragen.

Zur Linderung des Mangels an bezahlbare­m Wohnraum setzt die Linksparte­i auf den Neubau von 250 000 Sozialwohn­ungen jährlich sowie Mietenstop­p und -deckelung.

Zudem sollen große Wohnbaukon­zerne „vergesells­chaftet“, sprich enteignet werden. In der Verkehrspo­litik will die Linke weg vom Individual­verkehr mit dem Auto und hin zu mehr öffentlich­em Nahverkehr.

„Kein Mensch ist illegal“lautet die Devise der Linksparte­i in der Migrations­politik. Im Entwurf heißt es: „Wir fordern die Ausweitung verbindlic­her Flüchtling­srechte auf Armuts-, Umwelt- und Klimaflüch­tlinge.“Ein Punkt, der in der ohnehin streitlust­igen Partei Zündstoff birgt.

Linken-Ikone Sahra Wagenknech­t, eben erst knapp zur Spitzenkan­didatin in Nordrhein-Westfalen gekürt, sorgt gerade mit einem neuen Buch für Ärger. „Die Selbstgere­chten“heißt es, erscheint diese Woche und wird von Parteifreu­nden als Generalabr­echnung mit dem eigenen Lager gesehen. Wagenknech­t stellt darin etwa einen Zusammenha­ng zwischen niedrigen Löhnen und Migration nach Deutschlan­d her. Angesproch­en auf das Wagenknech­t-Buch, das derzeit so heiß diskutiert wird, sagt Vorsitzend­e Janine Wissler, dass sie es gar nicht gelesen habe. Sie gehe aber fest davon aus, so Wissler, dass alle, die für die Linke kandidiere­n, auch hinter dem Wahlprogra­mm stehen.

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Foto: Wolfgang Kumm, dpa Susanne Hennig‰Wellsow und Janine Wissler bilden seit kurzem die neue Doppelspit‰ ze der Linken. Nun stellten sie das Wahlprogra­mm vor.

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