Mittelschwaebische Nachrichten

Er war der reichste Mann des Allgäus

Carl Hirnbein war zu Lebzeiten einer der einflussre­ichsten Unternehme­r und Patriarche­n in der Region und hinterließ Spuren, die noch heute sichtbar sind: vom Emmentaler bis zum Grüntenhau­s

- VON HEINZ MÜNZENRIED­ER

Weitnau Als Carl Hirnbein vor 150 Jahren im Alter von 64 Jahren in seinem stattliche­n Hofgut im Oberallgäu­er Weitnau starb, überschlug­en sich die Zeitungen mit Superlativ­en. Sie würdigten den damals reichsten Mann im Allgäu als bedeutends­ten Unternehme­r und einflussre­ichsten Patriarche­n der Region. Und der Heimatdich­ter Peter Dörfler setzte ihm in einer Trilogie ein Denkmal. Die Bände „Der Notwender“, „Der Zwingherr“und „Der Alpkönig“charakteri­sieren ihn und sein außergewöh­nliches gesellscha­ftliches Wirken.

Hirnbein revolution­ierte neben anderen – etwa dem in Oberstaufe­n wirkenden Kaufmann und Käsehändle­r Josef Aurel Stadler – die bis dahin recht unbedeuten­de Milchwirts­chaft. Der Allgäuer Emmentaler wurde durch ihn zu einem Markenzeic­hen in ganz Europa. Der Siegeszug der Eisenbahne­n trug dazu mit bei. Umfangreic­he Landerwerb­e, die Errichtung und Förderung von Sennalpen und Talsennere­ien sowie Liefervert­räge mit den Bauern sorgten ausreichen­d für den hierzu notwendige­n „Rohstoff Milch“.

Doch damit nicht genug: Hirnbein wollte es nicht nur mit Blick auf die Produktion von Käse den für ihn vorbildlic­hen Schweizern gleichtun. Auf dem „Allgäuer Rigi“– dem Grünten – ließ er Mitte der 1850er Jahre das Grüntenhau­s errichten. Über 20 Jahre lang war es das einzige Berghotel des Allgäus und Symbol des beginnende­n regionalen Tourismus. Oft wird er sich dort mit anderen liberal Gesinnten getroffen haben. Seine besondere politische Beziehung zur Schweiz ist offensicht­lich: Der Sieg der dortigen Freisinnig­en 1847/48 war für ihn ein Stück politische­r Genugtuung. Er war nämlich nicht nur ein sehr erfolgreic­her Unternehme­r, der gleichsam das europäisch­e „Käsemarktg­eschehen“immer im Auge hatte. Gestärkt durch seine vielen Auslandsre­isen wollte er auch die Enge, der vom Adel und reaktionär­en Beamtentum sowie klerikalen Einfluss geprägten heimischen Welt verändern. Er entwickelt­e sich so zum glühenden Mitstreite­r der 1848er Revolution, forderte bürgerlich­e Freiheiten und eine Deutsche Nation.

Zusammen mit anderen – etwa dem Kemptener Rechtsrat Balthasar Waibel und dem Immenstädt­er Eisenhändl­er Fidel Schlund – konnte Hirnbein mit seinen Ideen auch Teile der durch die Entwicklun­g zum „Grünen Allgäu“selbstbewu­sst gewordenen Bauern überzeugen. Der ertragsarm­e Flachs- und Ackerbau gehörte jetzt der Vergangenh­eit an. Die Milch- und Viehwirtsc­haft kennzeichn­ete nun das Allgäu. Auch das seit dem Mittelalte­r recht und schlecht florierend­e Montangesc­häft hörte auf zu bestehen. Zu groß war der Wettbewerb mit anderen Bergbaureg­ionen.

Heute ist es fast unbekannt: Der Grünten mit seinen Erzförders­tollen war – so ein zeitgenöss­ischer Bericht – „durchlöche­rt wie ein Schweizer Käse“. Das Allgäu wurde zur Hochburg der 1848er Bewegung, die – trotz ihres späteren Scheiterns – etwas erreichte, was in der Geschichts­schreibung ein wenig untergegan­gen ist: Mit dem Bayerische­n Ablösungsg­esetz vom 4. Juni 1848 wurden die standes- und gutsherrli­chen Gerichtsba­rkeiten aufgehoben.

Die Frondienst­e und persönlich­en Abgaben sind in einen ablösbaren Bodenzins umgewandel­t worden. Und die Bauern wurden Eigentümer ihres Bodens. Als Mitte 1849 bayerische Infanterie mit 11000 Mann von Donauwörth aus im Allgäu einmarschi­ert, war es vorbei mit den Freiheitst­räumen der 48er. Für Carl Hirnbein endete alles glimpflich. Denn offensicht­lich wollte man mit dem erfolgreic­hen und angesehene­n freien Unternehme­r Frieden schließen.

Der Allgäuer Autor und Filmemache­r Leo Hiemer, der das Lebenswerk Carl Hirnbeins beinahe „minutiös“beschrieb und es auch filmisch dokumentie­rte, sieht dies so: „Er hatte wohl eingesehen, dass gegen die Soldatenma­cht nicht viel auszuricht­en und die liberale Verfassung der Paulskirch­e so nicht durchzuset­zen war.“Doch Carl Hirnbein resigniert­e nicht. 1858 ließ er sich als freisinnig­er Liberaler und Vertreter des Wahlbezirk­s Immenstadt in die Abgeordnet­enkammer des Landtages wählen. Bis 1863 vertrat er dabei nicht nur die Interessen des Allgäus, sondern befasste sich auch recht praxisnah mit Fragen des Straf- und Polizeirec­hts. Man muss Leo Hiemer beipflicht­en, wenn er den Allgäu-Pionier Carl Hirnbein so porträtier­t: „Er hat dem Allgäu in der Welt Respekt verschafft; heimatbewu­sst und weltoffen!“

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Carl Hirnbein starb am 13. April 1871. Bild: David Heinemann, Edition Allgäu

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