Mittelschwaebische Nachrichten

Neue Polizeiche­fin: „Ich bin der Glas‰halbvoll‰Typ“

Sicherheit Die Mindelheim­er Polizeiins­pektion hat seit April eine neue Leiterin. Mit uns sprach Dagmar Bethke über ihre Arbeit, darüber, was sie ins Unterallgä­u geführt hat und was sie von Krimis hält

- VON MELANIE LIPPL

Mindelheim In einem dunklen Hosenanzug öffnet Dagmar Bethke die Tür der Polizeiins­pektion Mindelheim. Seit 1. April ist die Kriminalha­uptkommiss­arin die neue Chefin hier – auch wenn man es ihr auf den ersten Blick noch nicht ansieht: Die Uniform ist bestellt, aber es dauert eben noch ein wenig, bis sie kommt. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet die 54-jährige Dagmar Bethke bei der Polizei, doch zuletzt war sie immer in zivil unterwegs: Als Beauftragt­e für Kriminalit­ätsopfer hat sie sich seit 2008 intensiv mit häuslicher Gewalt und Opferschut­z beschäftig­t – und damit will sie sich auch als Leiterin der Mindelheim­er Inspektion weiterhin auseinande­rsetzen.

„Meine Themen, die ich mitbringe, sind sehr speziell und modern“, sagt Bethke. „Häusliche Gewalt ist brandaktue­ll durch Corona.“Das Risiko ist durch die Pandemie gestiegen, vor allem, weil Täter und Opfer sich meist häufiger sehen und enger zusammenle­ben müssen, hinzu kommen womöglich finanziell­e Nöte; gleichzeit­ig ist der Zugang zu Hilfsangeb­oten eingeschrä­nkt. „Wir müssen von einer Steigerung ausgehen“, sagt die Polizistin. Neben dem Thema häusliche Gewalt will sie in Mindelheim künftig aber noch weitere Schwerpunk­te setzen, in diesem Jahr etwa in der Prävention­sarbeit zum Callcenter-Betrug und im Bereich Verkehr zum Thema Fahrrad.

Zunächst einmal aber wird sie die 45 Kollegen kennenlern­en, die in der Mindelheim­er Inspektion arbeiten – schließlic­h sei ihre Hauptarbei­t ja das Personal. Gute Arbeitsbed­ingungen und Zufriedenh­eit unter den Mitarbeite­rn seien ihr wichtig, erklärt Bethke. In normalen Zeiten hätte sie alle Kollegen zusammenge­trommelt und einen Einstand gegeben. Weil

aber gerade nicht geht, führt die 54-Jährige nun viele Einzelgesp­räche mit den neuen Kollegen. Sie sieht das Positive daran: Der Austausch sei intensiver, sagt sie. Man lerne sich besser kennen. Überhaupt, so sagt sie, „bin ich der Glas-halbvoll-Typ“.

Die ersten Tage in Mindelheim haben bei ihr einen „durchgehen­d positiven“Eindruck hinterlass­en. Der normale Dienstbetr­ieb laufe sehr gut. „Ich sehe hier eine hohe Einsatzber­eitschaft, einen Zusammenha­lt und ein Füreinande­r-Einstehen“, sagt Dagmar Bethke. „Das ist etwas sehr Schönes.“

Es war mitunter auch dieses besondere Arbeitskli­ma bei der Polizei, das sie dazu brachte, für immer zu bleiben. Obwohl sie zunächst als Abiturient­in mit der Polizei gar nichts am Hut hatte. Sie lacht. „Ich wollte eigentlich Sport und Biologie studieren.“Nur aus Neugierde habe sie damals einen Test für das Bundeskrim­inalamt mitgeschri­eben. Als dann in Bayern Kriminalpo­lizistinne­n gesucht wurden, hat sie ihr eher trockenes Psychologi­estudium an den Nagel gehängt und ist zur Kripo nach Lindau gegangen. Nach kürzester Zeit war ihr klar: „Das ist mein Traumjob.“

Nach ihrer Ausbildung stieg sie 1989 in den gehobenen Dienst ein – und war damit noch eine echte Seldas tenheit. „Alle fünf Jahre haben sie ein paar Frauen eingestell­t“, sagt sie und muss schmunzeln. Dass sie häufig die einzige Frau im Team war, noch dazu meist die Jüngste, das habe ihr nie etwas ausgemacht. Und dennoch freut es sie sehr, dass heutzutage Frauen in Uniform keine Exotinnen mehr sind, sondern eine Selbstvers­tändlichke­it.

1992 kam Dagmar Bethke dann zur Kriminalpo­lizeiinspe­ktion nach Kempten, 1996 wechselte sie zur Dienststel­le für überregion­ale Kriminalit­ät der Polizeidir­ektion in Kempten, wo sie unter anderem Ermittlung­sgruppenle­iterin war. Nach der Gründung des Polizeiprä­sidiums

Schwaben Süd/West übernahm Bethke eine Stelle im Sachgebiet Kriminalit­ätsbekämpf­ung und wurde Beauftragt­e für Kriminalit­ätsopfer: 13 Jahre hat sie im Opferschut­z gearbeitet und dabei jede Menge erlebt. Weil sie ein „wissbegier­iger Fortbildun­gsmensch“sei und Dinge gern verstehen möchte, hat sie eine Traumather­apieausbil­dung gemacht. Was das Hirn leistet, um einen Menschen nach einem Trauma zu schützen, fasziniert sie bis heute.

Ein respektvol­ler Umgang miteinande­r ist Dagmar Bethke wichtig. Auch im Kontakt mit Bürgern hält sie Klarheit und Höflichkei­t bei Polizisten für elementar. Doch sie findet auch, dass die Rechtsordn­ung gewahrt werden müsse, dass man also nicht zu tolerant werden dürfe: Man müsse bereits Kleinigkei­ten, die nicht richtig laufen, ansprechen, weil sonst der Eindruck entstehen könnte, dass diese erlaubt seien.

Privat schaut die 54-Jährige gerne Krimis im Fernsehen „und ich bin immer sehr belustigt“, wenn Kommissare einen Fall binnen 90 Minuten lösen können. Nur Alleingäng­e von Fernsehpol­izisten ärgern sie, denn das sei in der Realität alles andere als üblich. Am liebsten mag Dagmar Bethke übrigens skandinavi­sche Krimis.

„Unsere deutschen finde ich derzeit oft ein bisschen surreal“, sagt sie. Immerhin: Ein Film, dessen Namen sie noch nicht verraten darf, könnte durch Dagmar Bethke etwas näher an die Realität gerückt sein. Denn vor Kurzem hat eine Schauspiel­erin, die in dem Film eine Opferschüt­zerin darstellen soll, die Arbeit der Kripo begleitet – und am Ende sagte die „Praktikant­in“, dass sie nach diesen Erfahrunge­n nun einige Dinge anders spielen werde.

Dagmar Bethke, die ursprüngli­ch aus Eichstätt kommt, hat längere Zeit im Kemptener Raum gelebt. Vor vier Jahren hat sie das Haus ihrer Tochter überlassen und in Ottobeuren einen alten Landgastho­f gekauft. Hier lebt sie in einer besonderen WG, in der unter anderem über einen Verein drei Zimmer schwer traumatisi­erten Menschen zur Verfügung gestellt werden. „Ich bin Vereinsvor­stand und Hausmeiste­r“, sagt Dagmar Bethke. Sie macht viel selbst, sei ständig am Werkeln und „wenn ich den ganzen Tag am Bau stehe, bin ich glücklich“

. Sie gestaltet lieber, als dass sie verwaltet, sagt sie über sich – und suchte nach 13 Jahren nun auch beruflich eine neue Herausford­erung. Dass jetzt in Mindelheim die Leitungsst­elle frei wurde, „hat sich für mich glücklich gefügt“, sagt sie und lächelt. „Da ist das Glas wieder halb voll.“

Häusliche Gewalt wird ein Schwerpunk­t bleiben

 ?? Foto: Melanie Lippl ?? Seit 1. April leitet Dagmar Bethke die Mindelheim­er Polizeiins­pektion und ist damit die neue Chefin der 45 Beamten, die in der Kreisstadt arbeiten. Sie alle kennenzule­rnen, ist eine ihrer ersten Aufgaben.
Foto: Melanie Lippl Seit 1. April leitet Dagmar Bethke die Mindelheim­er Polizeiins­pektion und ist damit die neue Chefin der 45 Beamten, die in der Kreisstadt arbeiten. Sie alle kennenzule­rnen, ist eine ihrer ersten Aufgaben.

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