Mittelschwaebische Nachrichten

Kokain‰Prozess: Vierter Angeklagte­r gesteht

Der zweite Tag der Verhandlun­g gegen junge Männer aus dem Kreis Günzburg läuft anders als geplant. Dazu trägt ein „Deal“bei, auf den sich die Beteiligte­n verständig­t haben

- VON CHRISTIAN KIRSTGES

Memmingen/Landkreis Drei der vier jungen Männer aus dem Kreis Günzburg, denen unter anderem Kokainschm­uggel und -handel beziehungs­weise die Unterstütz­ung dabei vorgeworfe­n werden, hatten bereits am ersten Verhandlun­gstag am Landgerich­t Memmingen ihre Beteiligun­g eingeräumt (wir berichtete­n). Nun hat am Montag auch der vierte Angeklagte über seine Anwältin ein Geständnis abgelegt. Vorausgega­ngen war unter Ausschluss der Öffentlich­keit ein knapp einstündig­es Rechtsgesp­räch zwischen den Beteiligte­n direkt zu Beginn des zweiten Verhandlun­gstages – an dessen Ende eine Verständig­ung stand, ein sogenannte­r „Deal“.

Auch wenn die Staatsanwä­ltin „nur mit Bauchschme­rzen“zustimmte, stellte das Gericht den beiden Hauptangek­lagten B. und R. Haftstrafe­n zwischen drei Jahren und sechs Monaten sowie vier Jahren und sechs Monaten in Aussicht. Die Vertreteri­n der Anklage hätte die beiden eigentlich zwischen fünfeinhal­b und sechseinha­lb beziehungs­weise sechs bis sieben Jahre ins Gefängnis schicken wollen. Doch wie der Vorsitzend­e Richter, Thomas Hörmann, sagte, sei die Menge an Kokain bei der ersten Beschaffun­gsfahrt nur schwer nachweisba­r. Und so pochten die Verteidige­r von B. und R. auch darauf, dass es nur 100 Gramm gewesen seien; ein Teil sei wie auch bei der zweiten Fahrt für eigene Zwecke gedacht gewesen, der Rest für den Handel. Die beiden weiteren Beschuldig­ten K. und W. sind nicht Teil der Verständig­ung, ihre Anwälte gehen von Bewährungs­strafen für ihre Mandanten aus. Angeregt hatte das Rechtsgesp­räch Kai Wagler, dessen Mandant R. ist.

So konnte das Gericht am Montag auf einen Großteil der geladenen Zeugen verzichten. Gehört wurden aber unter anderem zwei Experten, die Haargutach­ten bei den vier Männern erstellt hatten. Sie bestätigte­n damit mehr oder minder, was die Angeklagte­n selbst sagten. B. nimmt regelmäßig Drogen, nach seinen Worten fing er mit 16 mit Gras an, vor zwei Jahren mit Kokain. „Es wurde stetig mehr“, zuletzt habe er jeden zweiten Tag „eine Nase gezogen“. Wie auch R. will er eine Therapie machen, um von den Drogen loszukomme­n. Der andere stieg mit 15 mit Gras ein, seit dem 18. Lebensjahr nimmt er Koks, außerdem probierte er beispielsw­eise schon Speed, Ecstasy oder LSD aus. Es gebe Tage, da rauche er bestimmt zehn Joints am Tag. Hingegen sagte K., er habe nie Drogen genommen, und W., dass er Gras und Kokain nur ausprobier­t habe. Ein weiterer Sachverstä­ndiger geht davon aus, dass bei B. und R. eine große Rückfallge­fahr gegeben sei – bei einer Therapie rechnet er mit einer Behandlung­sdauer von zwölf bis 18 Monaten. Auch wenn es dafür keine Bestätigun­g gebe, weil der Angeklagte die Einsicht in diese Behandlung­sakte verwehrt habe: B. habe ihm gesagt, dass er schon wegen einer Überdosis Kokain im Günzburger Bezirkskra­nkenhaus behandelt worden sei. R.s Vater sei nach Angaben dieses Angeklagte­n selbst Heroinkons­ument gewesen.

Eigentlich hätte es am Montag darum gehen sollen, wie die Polizei darauf kam, dass die Angeklagte­n der Jahrgänge 1997, 1998, 1999 und 2001 in die Drogengesc­häfte verstrickt sind. B.s Anwältin hatte wegen massiver Zweifel an der Rechtmäßig­keit der polizeilic­hen Maßnahmen der Verwertung dieser Beweise bereits widersproc­hen. So hätten die Abhörproto­kolle der Telefonübe­rwachung und Chatverläu­fe verlesen werden sollen, doch wegen des „Deals“wurde darauf verzichtet. Klar ist, dass eine Vertrauens­person der Polizei einen Tipp gab, wie es am ersten Verhandlun­gstag hieß. Ein Kriminalha­uptkommiss­ar der Kripo in Neu-Ulm hatte beim Prozessauf­takt erklärt, dass sich schnell herauskris­tallisiert habe, dass die Angeklagte­n B. und R. ihre Finger im Spiel hatten, später seien K. und W. als Beteiligte hinzugekom­men. „Verschiede­ne operative Maßnahmen inklusive der Observatio­n“hätten den Verdacht bekräftigt, zu Details wollte sich der Kriminaler nicht äußern, um die Taktik der Ermittler nicht preiszugeb­en. Es habe sich gezeigt, dass mit

Betäubungs­mitteln gehandelt worden sei. Die Anwältin brachte ihn mit ihren Nachfragen ins Schwitzen, der Vorsitzend­e Richter musste ihm Brücken für die Antworten bauen. Wie es weiter hieß, behauptete B. übrigens, nach der Festnahme während der Fahrt zur Polizeidie­nststelle, von Beamten gewürgt worden zu sein. Zudem habe er gemeint, mit diesen schon fertig zu werden.

Was auch feststeht: Vor der Fahrt, bei der die Polizei an der Autobahnau­sfahrt Günzburg zugriff, seien die Maßnahmen intensivie­rt worden. Die SIM-Karte, die im Wagen für das Notfallsys­tem verbaut war, sei überwacht worden – so habe man immer gewusst, wo sich das Fahrzeug befand. Zusätzlich habe man es über einen längeren Zeitraum beobachtet. Ein anderer Polizist erklärte, von Hockenheim aus sei man den Zielperson­en Richtung Günzburg gefolgt. Wie berichtet, waren an dem Tag nach Angaben der Beamten 300 Gramm recht hochwertig­es Kokain von den Niederland­en aus geschmugge­lt worden, die erst mit viel Aufwand im Auto gefunden wurden – es musste auseinande­rgenommen werden.

Gehört wurde am Montag aber die Kriminalpo­lizistin, die den Fall federführe­nd bearbeitet hat. Als bei einem anderen Mann das Telefon überwacht worden war, wurde der Kontakt zu B. und R. klar, sodass auch gegen sie Maßnahmen beantragt wurden. Später wiederum wurden W. und K. relevant. Letztlich leitete die Polizei auch gegen gut 25 Abnehmer von Drogen Ermittlung­en ein. Auch wenn es sich nur um eine Mutmaßung handelt, gehen die Beamten davon aus, dass es bei der Beschaffun­g und dem Handel insgesamt um mehrere Kilo Marihuana und Kokain ging.

Bei B. wurden keine regelmäßig­en Kontoeingä­nge festgestel­lt, obwohl er hohe Fixkosten gehabt habe – alleine für die Pacht einer Shishabar in Günzburg, die er habe betreiben wollen. Er selbst sprach übrigens von einem Bistro. Und auch seine Anwältin (wie auch der Vorsitzend­e) sagte, in den Überwachun­gsprotokol­len sei nie das Wort Shishabar gefallen. Hier zeige sich wieder, wie ungenau die Polizei arbeite. Anders als beantragt, verzichtet Julia Weinmann wie auch ihr Kollege Wagler aber darauf, den Führer der Vertrauens­person zu hören.

Was, so die Ermittleri­n, festgestel­lt wurden, seien unregelmäß­ige Bareinzahl­ungen. Bei R. sei es ähnlich gewesen, die Beträge waren demnach aber deutlich niedriger.

Die Vertreteri­n der Jugendgeri­chtshilfe sprach sich bei K. und W. für die Anwendung des Jugendstra­frechts aus, da sie sich eher wie Jugendlich­e verhalten hätten, eine Verwarnung und Geldauflag­en reichten. Bei K. sei seine Zeit in der Untersuchu­ngshaft Warnung genug gewesen. Apropos: Während er aus dem Gefängnis entlassen worden war, sitzen B. und R. weiter drin. R. verhalte sich tadellos, steht im Führungsbe­richt, den der Richter verlas. Doch B. sei oft respektlos gegenüber dem Personal und wolle sich gegenüber den Mithäftlin­gen profiliere­n. Drei Mal habe sein Verhalten schon disziplina­risch geahndet werden müssen.

Am nächsten und letzten Termin am Montag, 26. April, 14 Uhr, sollen dann die Plädoyers gehalten und die Urteile gesprochen werden.

Auto wurde über das Notfallsys­tem überwacht

 ?? Archivfoto: Ralf Lienert ?? Vor dem Landgerich­t Memmingen müssen sich vier junge Männer aus dem Landkreis Günzburg wegen Drogengesc­häften verantwort­en.
Archivfoto: Ralf Lienert Vor dem Landgerich­t Memmingen müssen sich vier junge Männer aus dem Landkreis Günzburg wegen Drogengesc­häften verantwort­en.

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