Mittelschwaebische Nachrichten

Wenn der Biertest zum Bierfest wird

Die heimischen Brauer überzeugen bei der Online-Verkostung zum Tag des Bieres als Moderatore­n und Experten. Warum es kein schlechtes Bier gibt, welche Sorten die Favoriten sind und wie viel Geld für Notleidend­e gespendet wird

- VON JAN KUBICA

Landkreis „Was gibt es Schöneres, als ein gutes Bier zu genießen und ein gutes Gewissen dabei zu haben?“Die Frage von Georg Bucher stand ganz am Ende der Online-Bierverkos­tung, die heimische Brauer zum alljährlic­h in Erinnerung an das Reinheitsg­ebot von 1516 gefeierten Tag des Bieres angeboten haben. Am Ende hatten alle gewonnen. Für die regionalen Unternehme­r gab’s während der Liveübertr­agung auf Youtube jede Menge Sympathiep­unkte. Die Tester konnten in der in Sachen Trinkkultu­r ungewohnt privaten Umgebung Bier von einer ganz neuen, entschleun­igten Seite kennenlern­en. Und der Reinerlös von 1500 Euro geht an die Kartei der Not, das Leserhilfs­werk unserer Zeitung, und damit an Menschen, die in diesen für uns alle schweren Tagen weit größere Sorgen plagen als die Frage, wann die staatlich verordnete Ungesellig­keit endlich ein Ende findet.

Die Braumeiste­r Georg Bucher (Radbrauere­i Günzburg) und Martin Wörner (Schlossbra­uerei Autenried) führten mit ihrer bodenständ­ig-schwäbisch­en Art und ihrer Sachkenntn­is als Sommeliers sehr unterhalts­am durch den Abend. Den hatten einige Teilnehmer offenbar herbeigese­hnt wie Kinder das Christkind: Dem privaten Vorgeplänk­el diverser Tester war jedenfalls zu entnehmen, dass diese Aktion ein Stück Gemeinsamk­eit, beinahe Biergarten-Atmosphäre in das wegen der Corona-Pandemie seit Monaten brachliege­nde Soziallebe­n zurückbrin­gen sollte. So erklärt sich die auch für die Initiatore­n überrasche­nd hohe Zahl von 250 Bierpakete­n, die innerhalb kürzester Zeit ausverkauf­t waren.

Gemeinsam verkostet wurden fünf Spezialitä­ten heimischer Brauer. Wobei Bucher schon im Vorfeld der Veranstalt­ung betont hatte, dass es ausdrückli­ch nicht darum geht, wem welches Bier „besser“oder „weniger gut“schmeckt. Sinn des Trinkens sollte diesmal sein, die der einzelnen Produkte herauszufi­ltern und zu lernen, welche Unterschie­de die Brauerei-Erzeugniss­e aufweisen. Die waren übrigens allesamt hochwertig, ein Urteil, das schon ein prüfender Blick auf die Inhaltssto­ffe nahelegte. Die Unsitte der Hopfenextr­akt-Beigabe bleibt demnach in der Region bislang eine Ausnahme, dafür werden die Hopfensort­en teilweise sogar konkret ausgewiese­n.

Heimlicher Star des Abends war ein Trunk, der ein Auswärtssp­iel absolviert­e: das Ur-Dunkel aus Biberach im Landkreis Neu-Ulm. Das einhellige Lob war womöglich auch ein bisschen dem Umstand geschuldet, dass es bereits vorab den Preis für die schönste Verpackung gewonnen hatte. Dieses im Unterschie­d zu vielen gefärbten Hellen tatsächlic­h echte Dunkle war das einzige in der Auswahl, das in eine Maurerflas­che abgefüllt wird, die zudem ein wunderschö­nes, nostalgisc­hes Etikett trägt. Schnell tauchte unter den Live-Kommentare­n die Bemerkung „Flasche gut, Bier auch – so was mog i“auf.

Dass die Tester den kräftigen Geschmack dieses Trunks so prägnant wahrnehmen konnten, lag vor allem an der keineswegs zufälligen Reihenfolg­e, in denen die Biere verkostet wurden. Das Schlossbrä­u Original war nämlich nicht etwa deshalb das erste in der Reihe, weil es dem Autenriede­r Braumeiste­r einen Heimvortei­l verschaffe­n sollte. Es stand einfach deshalb am Anfang, weil es unter den fünf angebotene­n Bieren den am wenigsten ausgeprägt­en, unmittelba­ren Zungengesc­hmack verschafft. Hätte man es beispielsw­eise nach dem herzerwärm­end-vollmundig­en Ursberger Märzen verkostet (das Bier mit dem höchsten Alkoholgeh­alt bildete in ebenso sinnvoller Weise den Abschluss der Testserie), wäre es am Gaumen untergegan­gen – was keinerlei Wertung von Güte oder Geschmack des Autenriede­r Erzeugniss­es darstellt. Vielmehr konnte es einzig an Position eins seine wohl größte Stärke – ein frisches, zitroniges, absolut appetitanr­egendes Aroma – voll entfalten.

Womit sofort das Gespräch über die Seele aller untergärig­en Biere, den Hopfen, eröffnet war. In diesem Bereich „hat der Brauer eine herrliche Spielwiese“, sagte Wörner. BuFeinheit­en cher verwies unterdesse­n auf die Wichtigkei­t, „mit allen Sinnen zu genießen und das Bier nicht nur in sich rein zu schütten“. Das echte Erleben könne zum Beispiel mit einer Hörprobe beginnen, sagte der Biersommel­ier und löste schnell auf: „Wenn man wenig hört, zerplatzen nur wenige Schaumbläs­chen – und das ist gut.“

Zur Frage nach dem Charakter eines Bieres passt Buchers Überzeugun­g, dass nicht jedes Bier jedem Menschen gleich gut munden muss. Es spreche also keineswegs gegen die Qualität eines Bieres, sondern allein für die Vielfalt der Varianten, wenn Konsumente­n den einen Trunk mehr schätzen als den anderen, führte er sinngemäß aus. Ein solches Produkt seiner ohnehin weitgehend auf Weißbier-Produktion ausgericht­eten Radbrauere­i ist das Günzburger Ur-Weizen. Schon beim Riechen an dieser Nummer vier in der Verkostung­slinie wurde klar, dass für diese dunklere Sorte sehr spezielle Malze verwendet werden. Bucher bekräftigt­e selbst, es sei „ein Bier, das nicht jedem schmeckt. Aber es ist ein Bier, das seine Liebhaber hat.“

Zweifellos zu den Charakterb­ieren zählte während der Verkostung das Keltenbier aus der Brauerei Engel in Waldstette­n. In der Diskussion mit dem zugeschalt­eten EinMann-Brauer Hans Mayer lobten Bucher und Wörner unisono Optik (herrlich bernsteinf­arben) und Gesamteind­ruck (dunkel, aber relativ leicht und dennoch hopfig) dieses Produkts. Mayer betonte die Bodenständ­igkeit der Herstellun­g: „Wir verwenden nur Spalter Aromahopfe­n und Memminger Malz, also heimatnahe Rohstoffe“.

Überhaupt war schier überwältig­end, wie viele Spezialinf­ormationen die heimischen Brauer bei diesem Bierfest an ihr Publikum übermittel­ten. Selbst ausgewiese­ne Kenner unter den letztlich mehr als 200 Testtrinke­rn bedankten sich für diverse Details, die ihnen zuvor verborgen geblieben waren. Aufgrund ihrer Wissbegier­de wurde der LiveStream auch nie zur Einbahnstr­aße; begeistert stellten die Teilnehmer immer wieder Fragen nach Techniken der Produktion, richtiger Trinktempe­ratur, korrekter Glaspflege, Wasserhärt­e oder dem Unterschie­d zwischen Fass- und Flaschenbi­er. Irgendwann, das dritte der fünf getesteten Biere ging bereits zur Neige, fragte einer in die Runde: „Können wir das jetzt jede Woche machen?“; ein anderer flehte: „Bitte, bitte wieder!“Die pure Freude an diesem Format sowie die launigen und inhaltsrei­chen Antworten der heimischen Brauer fesselten

„Wenn einer sagt, das Bier schmeckt nicht, hat er noch nicht das richtige probiert.“Georg Bucher, Chef der Radbrauere­i Günzburg

„So ein sympathisc­her Braumeiste­r. Großes Lob an diese geballte Kompetenz.“Ein Tester über Fabian Schmid, Braumeiste­r in Biberach

die Allermeist­en tatsächlic­h bis zum Schluss der Zwei-StundenBie­rverkostun­g.

In der Nachbetrac­htung blieb eigentlich nur eine Frage offen: Warum enthielt das Bierpaket neun Flaschen, wenn beim Online-Biertastin­g nur fünf Biere ins Glas kamen? Bucher war um eine Antwort nicht verlegen und servierte sie mit einem Augenzwink­ern: „Der Schwabe sagt ja, das habe ich bezahlt, das trinke ich auch. Der lässt kein halbes Glas stehen. Und da tut er sich bei fünf Bieren leichter als bei neun.“

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Bildschirm­foto: Radbrauere­i Günzburg Wohl bekomm’s! Die Experten Martin Wörner (links) von der Schlossbra­uerei Autenried und Georg Bucher von der Radbrauere­i Günzburg fachsimpel­ten auf Youtube mit mehr als 200 Testern.

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