Mittelschwaebische Nachrichten
30Jähriger verprügelt seinen Mitbewohner
Der Angeklagte soll seinem Zimmergenossen schwere Verletzungen zugefügt haben. Vor Gericht tauchen aber zu viele Widersprüche auf. Warum er schließlich für ein anderes Gewaltdelikt verurteilt wird
Günzburg/Burgau Eine Obdachlosenunterkunft in Burgau am 14. September 2019. Ein damals 30-Jähriger soll seinem Mitbewohner mit Faustschlägen gegen den Kopf, mit einer Bierflasche und einem Tritt so zugesetzt haben, dass dieser vier vordere Zähne des Oberkiefers verloren, ein Schädel-HirnTrauma ersten Grades sowie eine Nasenbeinfraktur erlitten hat. Zudem habe der Mann eine abgeschlagene Bierflasche in Richtung seines Mitbewohners geworfen, diese habe ihm Schnittverletzungen an der Hand zugefügt. Nun musste sich der Mann wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Amtsgericht Günzburg verantworten.
Während der Verhandlung tauchten einige Unstimmigkeiten auf: Das Opfer hatte beispielsweise bei der Polizei nicht erwähnt, dass der Angeklagte die Badezimmertür eingetreten habe. Als Zeugin sagte eine Polizistin aus, die in der Nacht zur Unterkunft gerufen worden war. An eine eingetretene Badezimmertür konnte sich die Beamtin nicht erinnern. Auf den Fotos konnte Richterin Julia Lang zudem keinen Schlafsack erkennen, aus dem sich das mutmaßliche Opfer nicht gleich habe befreien können. Der heute 31-jährige Angeklagte sah die Sache ohnehin anders, rief während des Prozesses immer wieder dazwischen. Als er ins Zimmer gekommen sei, sei nicht er, sondern der andere ausgeflippt und habe ihn angegriffen.
Weil die Lage so unklar war, einigte man sich nach einer Verhandlungspause auf einen Deal: Für die Prügelei in der Obdachlosenunterkunft sollte der Angeklagte nicht belangt werden, dafür für eine weitere Körperverletzung, die er im vergangenen Jahr begangen haben soll. Diese Tat soll sich am 20. Februar 2020 in Burgau zugetragen haben. Das Opfer berichtete vor dem Amtsgericht, dass er an diesem Abend gegen 21.30 Uhr mit einem Freund am Angeklagten vorbeigelaufen sei. Er habe seinen Begleiter darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Mann einen Freund von ihm misshandelt habe. Dies habe der Angeklagte mitbekommen und habe ihm daraufhin eine Kopfnuss verpasst. Dadurch, so die Anklage, erlitt das Opfer unter anderem eine Platzwunde auf dem Nasenrücken.
Der Angeklagte sagte nun vor der Richterin aus, er sei bereits vor dieser Tat von dem Opfer und dessen Bekannten bedroht worden. Er selbst sei an jenem Abend, bevor er zugeschlagen habe, geschubst worden. Sein Anwalt Markus Neumann nahm daraufhin das Opfer in die Zange. Doch seine Frage, ob er den Angeklagten provozieren wollte, verneinte der.
Was den Angeklagten betrifft, ist er kein Unbekannter. Er wurde bereits wegen gefährlicher Körperverletzung zu einem Jahr Haft verurteilt. Der heute 31-Jährige, der inzwischen bei seiner Mutter wohnt, ist arbeitslos und bekommt Überbrückungsgeld. Der gelernte Produktionsmechaniker hat im Gefängnis eine Ausbildung zum Textilmaschinenführer gemacht, hat circa 15.000 Euro Schulden, die ihm durch Gerichtskosten entstanden seien. Er betonte, dass er derzeit keine Drogen nehme.
Die Staatsanwältin sah die Körperverletzung im vergangenen Februar als bestätigt an, die Aussagen der Zeugen seien glaubhaft. Für den heute 31-Jährigen spreche, dass er geständig sei, gegen ihn, dass er sich nicht hätte provozieren lassen sollen. Der Angeklagte habe ein hohes Aggressionspotenzial, das ihm wieder Probleme bereite und vor Gericht
bringe. Sie forderte ein Jahr Freiheitsstrafe.
Anwalt Markus Neumann betonte in seinem Plädoyer, dass sein Mandant geständig sei und sich auch in der Justizvollzugsanstalt tadellos verhalten habe. Bei dem Strafmaß stelle sich die Frage nach dem Motiv. In seinen Augen bleibe an der Geschichte ein komischer Beigeschmack, das Opfer habe den Angeklagten provozieren wollen. Neumann forderte zehn Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung.
Das Gericht verurteilte ihn am Ende zu einem Jahr Freiheitsstrafe wegen vorsätzlicher Körperverletzung. Positiv wirke sich laut Richterin Lang aus, dass der Angeklagte die Tat eingeräumt und angegeben habe, dass das Opfer ihn vorher geschubst habe. Glücklicherweise habe das Opfer keine schweren Verletzungen erlitten. Trotzdem habe der 31-Jährige eine nicht angemessene Reaktion gezeigt. Seine Vorstrafen, größtenteils Gewaltdelikte, wirkten sich ebenfalls negativ auf das Urteil aus. Zudem habe der Angeklagte im Gerichtssaal wenig bis keine Einsicht gezeigt und sich nicht entschuldigt. Die Strafe wird nicht zur Bewährung ausgesetzt, da keine positive Sozialprognose vorliegt. Alle Beteiligten können gegen das Urteil Rechtsmittel einlegen.