Mittelschwaebische Nachrichten
Wann werden die Kinder geimpft?
Während bei den Erwachsenen Tempo gemacht wird, fehlt für die Kinder noch ein Vakzin. Das Präparat von Biontech ist bisher erst ab 16 Jahren zugelassen. Warum ein Augsburger Mediziner zur Eile mahnt
Augsburg Gerade die britische Mutante des Coronavirus zeigt sich auch in Bayern offenbar als sehr ansteckend. Damit wächst auch die Sorge um die Kinder. Das RobertKoch-Institut (RKI) schreibt in seinem aktuellen Lagebericht: „Die Covid-19-Fallzahlen stiegen in den letzten Wochen in allen Altersgruppen wieder an, besonders stark jedoch in jüngeren Altersgruppen.“Bei Kindern nähmen die Infektionszahlen zu, sagt RKI-Präsident Lothar Wieler. Doch während bei den Erwachsenen beim Impfen aufs Tempo gedrückt wird, gibt es für Heranwachsende unter 16 Jahren noch keinen Impfstoff. Es laufen aber längst Studien. Nun heißt es, dass Biontech und sein US-Partner Pfizer in Kürze die Zulassung ihres Vakzins für Kinder von zwölf bis 15 Jahren in der EU beantragen wollen. Wann also kommt die Impfung hierzulande für Kinder?
Wie wichtig sie ist, daran lässt Professor Michael Frühwald keinen Zweifel. Der Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Uniklinikum Augsburg betont: „Wir müssen, sofern die Impfungen als sicher eingestuft werden, auch Kinder so schnell wie möglich impfen.“Gefragt, wann er glaubt, dass ein Impfstoff kommt, sagt er: „Ich gehe davon aus, dass wir Ende diesen Sommers oder im frühen Herbst mit dem Impfen von Kindern beginnen können.“Pfizer plane, in den USA Zwölf- bis 15-Jährige vor dem nächsten Schuljahr zu impfen, und Professor Anthony Fauci von den National Institutes of Health (NIH) in den USA geht davon aus, „dass es Anfang 2022 eine Zulassung für Impfstoffe für alle Altersgruppen gibt“. Denn sowohl in Großbritannien als auch in den USA laufen längst vielversprechende Studien an Kindern. Ihre Auswertung ist wichtig, denn Frühwald legt größten Wert darauf, dass die Sicherheit gründlichst analysiert wurde, bevor die Impfstoffe an Heranwachsende verimpft werden.
Frühwald kann sich auch vorstellen, dass noch nicht gleich alle Altersgruppen den schützenden Piks erhalten. Denkbar ist seines Erachtens, dass die Allerjüngsten zum Beispiel, die Kinder bis drei oder vier Jahren, vielleicht noch länger
müssen. Aber gerade die Kinder, die in die Schule gehen, könnten seiner Meinung nach noch in diesem Jahr geimpft werden. Eine große Studie zum Beispiel von Moderna mit über 6000 Patienten schließe Kinder im Alter von sechs Monaten bis elf Jahren ein. Der Impfstoff von Biontech ist bereits heute für Jugendliche ab 16 Jahren zugelassen. Frühwald hat ihn bereits an schwer kranke junge Patienten vermittelt. Beispielswei- se an einen Jungen mit einer angeborenen Thromboseneigung und auch an einen jungen Krebspatienten.
Der erfahrene Kinderarzt weiß, dass er mit der Empfehlung, auch die Kinder so rasch wie möglich zu impfen, viel Kritik erntet. Denn ge
Impfungen bei Kindern sind ein hochsensibles Thema. Und die möglichen Nebenwirkungen, die bei den bisher zugelassenen Impfstoffen bei Erwachsenen aufgetreten sind, vergrößern die Skepsis vieler Eltern. Doch Frühwald erklärt, dass man nicht vergessen dürfe, dass Kinder und Jugendliche in aller Regel keine Vorerkrankungen aus dem Kreis der Volkserkrankungen wie etwa Bluthochdruck oder Diabetes haben, weder Alkohol trinken noch rauchen, was ja oft in Korrelation zu Nebenwirkungen stehe. „Ich bin optimistisch, dass die Impfungen bei den Kindern ohne Probleme durchgeführt werden können“, sagt er.
Zumal es für Frühwald keine Alternative zum zügigen Impfen gibt. „Wir brauchen auch im Interesse der Kinder so schnell wie möglich eine Herdenimmunität bei den Erwachsenen und müssen dann auch die Kinder impfen.“Zu schwer sind seiner Einschätzung nach die Nachwarten wirkungen einer Covid-Infektion gerade auch bei den jungen Patienten, zu bedrohlich können Infektionsverläufe sein. Eine Zunahme der jungen Patienten in der Augsburger Kinderklinik kann er zwar aktuell nicht beobachten, doch gerade auch die Langzeitfolgen nach einer überstandenen Erkrankung machen dem Arzt und seinem Team Sorgen. Stichwort PIMS. Die vier Buchstaben stehen für den englischen Begriff Paediatric Inflammatory Multisystem Syndrom. Ein Multi-Entzündungssyndrom, das ungefähr eines von 1000 infizierten Kindern betreffe und das auch in der Augsburger Unikinderklinik schon zu oft gesehen wurde. Dies sei eine schwere Erkrankung, die oftmals nach einer harmlos verlaufenden Covid-Infektion auftrete. Die Kinder zeigten oft hohes Fieber und Magen-DarmProbleme. Sie haben häufig Ergüsse in der Lunge und/oder im Herzbeutel. Auch das sogenannte „Longrade
Covid“, über das man noch zu wenig weiß, werde bei jungen Patienten zunehmend beobachtet und stellt die Familien und die betreuenden Ärzte vor Herausforderungen.
Die aktuell stark steigenden Inzidenzen lassen sich für Frühwald zum einen damit erklären, dass überall, aber vor allem auch in Kindergärten und Schulen, verstärkt getestet wird. „Ob aggressivere Virusmutanten hier eine Rolle spielen, muss unbedingt geprüft werden“, erklärt der Mediziner. Hinzu kommt, dass die Durchseuchung wächst, da sei es nur nachvollziehbar, dass sich auch immer mehr Heranwachsende anstecken.
Indes versucht die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie in einer Stellungnahme Eltern ein wenig die Angst vor einem schweren Krankheitsverlauf ihrer Kinder zu nehmen: Demnach mussten von den schätzungsweise 14 Millionen Kindern und Jugendlichen in Deutschland nur etwa 1200 mit einer Sars-CoV-2-Infektion im Krankenhaus behandelt werden. Vier seien an ihrer Infektion gestorben. Der Verband schreibt: „Die weiterhin bestehende extreme Seltenheit eines schweren oder gar tödlichen Verlaufes von Sars-CoV-2 bei Kindern und Jugendlichen ist nicht geeignet, als Argument für Schulund Kita-Schließungen benutzt zu werden.“Zumal eine World-Vision-Kinderstudie zu dem Ergebnis kommt, dass es die Kinder sind, die die Hauptlast der Corona-Maßnahmen tragen. Unabhängig im Übrigen davon, in welchem Land sie leben. Die Organisation hat den Lebensalltag von Kindern in Deutschland und Ghana untersucht. Gerade durch die Schließung von Kindertagesstätten und Schulen sowie Kontaktverboten habe sich der Lebensalltag gerade der Kinder stark verändert. „Dieser Ausnahmezustand schränkt die in der UN-Kinderrechtskonvention formulierten Rechte von Kindern auf Freizeit, Spiel und Bildung maßgeblich ein.“
Auch Professor Frühwald hat früh neben den körperlichen auch auf die schweren psychischen Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendlichen hingewiesen. Gerade um die Kinder aus ihrer Isolation und den damit verbundenen Ängsten zu befreien, ist seines Erachtens eine baldige Impfung so wichtig.