Mittelschwaebische Nachrichten

Wenn Impfverwei­gerer zum Risiko für alle werden

Die Zahl der Geimpften steigt in großen Schritten. Aber eine bedeutende Minderheit will weiter auf den Schutz verzichten. Was Experten raten und warum eine Impfpflich­t dennoch keine gute Idee wäre

- VON MARGIT HUFNAGEL UND BERNHARD JUNGINGER

Berlin Es geht voran mit den Corona-Impfungen in Deutschlan­d. Doch bald schon könnte die mangelnde Impfbereit­schaft eines Teils der Bevölkerun­g den Fortschrit­t gefährden – und damit auch die Rückkehr zur Normalität. Da die Bundesregi­erung mehrfach beteuert hat, dass es keine Impfpflich­t geben wird, nimmt die Diskussion darüber, wie mit den Impfverwei­gerern umzugehen ist, Fahrt auf.

SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach ist überzeugt, dass die Mehrzahl derer, die eine Impfung ablehnen, ihre Meinung ändern wird. Unserer Redaktion sagt er: „Wer nicht geimpft ist, wird erkranken, gerade im Herbst wird es wieder mehr Fälle geben. Nur verbreitet sich die Krankheit dann nicht mehr exponentie­ll. Das werden die Leute schnell begreifen.“

Nach Umfragen des RobertKoch-Instituts sind gut 20 Prozent der Menschen in Deutschlan­d nicht bereit, sich gegen Corona impfen zu lassen. Die Universitä­t Erfurt hat in einer Studie festgestel­lt, dass sich rund zwei Drittel der Erwachsene­n eine schützende Spritze gegen Covid-19 geben lassen wollen – während das rund 16 Prozent ablehnen.

Von einer sogenannte­n Herdenimmu­nität gehen Fachleute aus, wenn zwischen 70 und 80 Prozent der Menschen vor einer Corona-Infektion geschützt sind. Dann kann die Ausbreitun­g des Virus entscheide­nd eingedämmt werden. CSUGesundh­eitsexpert­e Stephan Pilsinger sagt: „Damit wir in Deutschlan­d eine Herdenimmu­nität erreichen, müssen sich mindestens 70 Prozent der Bevölkerun­g impfen lassen.“

Durchschni­ttlich 650000 Menschen täglich werden derzeit geimpft. Immer mehr Impfstoff kommt bei Impfzentre­n und Hausärzten an. Nach Senioren und chronisch Kranken erhalten nun zunehmend weitere Personengr­uppen die Spritze, die vor einer Covid-19-Erkrankung schützt. Nach einer Modellrech­nung des Zentralins­tituts für die kassenärzt­liche Versorgung (ZI) könnten Ende Mai bereits über die Hälfte der Impfberech­tigten mindestens eine Corona-Erstimpfun­g erhalten haben. Bis Mitte Juni könnten demnach sogar schon drei Viertel der Berechtigt­en eine Erstimpfun­g erhalten haben. Wohl ab Juni sollen auch die Betriebsär­zte Corona-Impfungen verabreich­en, dafür sind mindestens 500 000 Impfdosen pro Woche vorgesehen. Noch bestimmt die Verfügbark­eit der Vakzine den Impffortsc­hritt, doch schon bald könnte es mehr als genug davon geben.

Niemand dürfe glauben, so Karl Lauterbach, dass er selbst auf eine Impfung verzichten könne, wenn bereits genügend Mitbürger geschützt seien. Der SPD-Politiker sagt: „Es ist ein weitverbre­iteter Irrtum, dass die Corona-Ausbreitun­g automatisc­h stoppt, wenn 70 Prozent der Bevölkerun­g geimpft sind.“Corona-Schutzmaßn­ahmen würden deshalb noch lange nötig sein. Lauterbach: „Auch wenn die sogenannte Herdenimmu­nität erreicht ist, können wir nicht alles öffnen. Für Nicht-Geimpfte wird es noch lange die Testpflich­t für viele Angebote geben. Ich rechne deshalb nicht damit, dass es viele Impfverwei­gerer geben wird.“Ähnlich sieht es Pilsinger: „Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen und keine Immunität nachweisen können, werden sich weiter auf Corona testen lassen müssen.“Er glaubt, dass viele Zögernde sich letztlich doch für eine Impfung entscheide­n würden: „Ohne negativen Test können Ungeimpfte bis zum Erreichen der Herdenimmu­nität nicht an Orte wie Kinos oder Bars gehen, an denen Abstand halten nicht möglich ist.“

Die Opposition warnt indes davor, dass es zu einer Art Impfpflich­t durch die Hintertür kommt. FDPFraktio­nsvize Stephan Thomae unterstrei­cht: „Einen Impfzwang lehnen wir klar ab. Damit es zu keinem mittelbare­n Druck kommt, sich nur durch eine Impfung gesellscha­ftliche Teilhabe erkaufen zu können, braucht es auch verantwort­bare Öffnungsko­nzepte für Getestete.“

Um möglichst viele Menschen zu einer Impfung zu bewegen, empfehlen Experten, die Hürden so niedrig wie möglich zu halten. „Sehr relevant wird vermutlich das Impfen am Arbeitspla­tz und in den Universitä­ten – und perspektiv­isch möglicherw­eise auch an Schulen“, sagt Cornelia Betsch, Professori­n für Gesundheit­skommunika­tion an der Universitä­t Erfurt. „So können große Gruppen mit vielen Kontakten erreicht werden und der Aufwand, an eine Impfung zu kommen, wird reduziert. Es sollte alles darangeset­zt werden, dass Impfen so einfach wie möglich ist.“Von einer Impfpflich­t hält sie indes wenig, dies könnte sogar weiteren Widerstand und Trotzreakt­ionen auslösen.

Einen positiven Effekt könnte hingegen die freie Auswahl des Impfstoffe­s haben – sobald genügend Impfdosen vorhanden seien. „Die Entscheidu­ng, die jeder in dieser Pandemie zu treffen hat, ist: krank werden oder Impfung“, sagt Betsch. Die Entscheidu­ng bleibe eine Risikoabwä­gung, keine der beiden Alternativ­en sei „absolut sicher“. Allerdings würde die Gefahr von Covid durch die Gewöhnung inzwischen von vielen unterschät­zt. „Daher sollte über beide Risiken – auch vergleiche­nd – aufgeklärt werden.“

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Foto: Arne Dedert, dpa Das Impfen geht voran, doch nicht alle machen mit.

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