Mittelschwaebische Nachrichten
Wenn Impfverweigerer zum Risiko für alle werden
Die Zahl der Geimpften steigt in großen Schritten. Aber eine bedeutende Minderheit will weiter auf den Schutz verzichten. Was Experten raten und warum eine Impfpflicht dennoch keine gute Idee wäre
Berlin Es geht voran mit den Corona-Impfungen in Deutschland. Doch bald schon könnte die mangelnde Impfbereitschaft eines Teils der Bevölkerung den Fortschritt gefährden – und damit auch die Rückkehr zur Normalität. Da die Bundesregierung mehrfach beteuert hat, dass es keine Impfpflicht geben wird, nimmt die Diskussion darüber, wie mit den Impfverweigerern umzugehen ist, Fahrt auf.
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach ist überzeugt, dass die Mehrzahl derer, die eine Impfung ablehnen, ihre Meinung ändern wird. Unserer Redaktion sagt er: „Wer nicht geimpft ist, wird erkranken, gerade im Herbst wird es wieder mehr Fälle geben. Nur verbreitet sich die Krankheit dann nicht mehr exponentiell. Das werden die Leute schnell begreifen.“
Nach Umfragen des RobertKoch-Instituts sind gut 20 Prozent der Menschen in Deutschland nicht bereit, sich gegen Corona impfen zu lassen. Die Universität Erfurt hat in einer Studie festgestellt, dass sich rund zwei Drittel der Erwachsenen eine schützende Spritze gegen Covid-19 geben lassen wollen – während das rund 16 Prozent ablehnen.
Von einer sogenannten Herdenimmunität gehen Fachleute aus, wenn zwischen 70 und 80 Prozent der Menschen vor einer Corona-Infektion geschützt sind. Dann kann die Ausbreitung des Virus entscheidend eingedämmt werden. CSUGesundheitsexperte Stephan Pilsinger sagt: „Damit wir in Deutschland eine Herdenimmunität erreichen, müssen sich mindestens 70 Prozent der Bevölkerung impfen lassen.“
Durchschnittlich 650000 Menschen täglich werden derzeit geimpft. Immer mehr Impfstoff kommt bei Impfzentren und Hausärzten an. Nach Senioren und chronisch Kranken erhalten nun zunehmend weitere Personengruppen die Spritze, die vor einer Covid-19-Erkrankung schützt. Nach einer Modellrechnung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI) könnten Ende Mai bereits über die Hälfte der Impfberechtigten mindestens eine Corona-Erstimpfung erhalten haben. Bis Mitte Juni könnten demnach sogar schon drei Viertel der Berechtigten eine Erstimpfung erhalten haben. Wohl ab Juni sollen auch die Betriebsärzte Corona-Impfungen verabreichen, dafür sind mindestens 500 000 Impfdosen pro Woche vorgesehen. Noch bestimmt die Verfügbarkeit der Vakzine den Impffortschritt, doch schon bald könnte es mehr als genug davon geben.
Niemand dürfe glauben, so Karl Lauterbach, dass er selbst auf eine Impfung verzichten könne, wenn bereits genügend Mitbürger geschützt seien. Der SPD-Politiker sagt: „Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, dass die Corona-Ausbreitung automatisch stoppt, wenn 70 Prozent der Bevölkerung geimpft sind.“Corona-Schutzmaßnahmen würden deshalb noch lange nötig sein. Lauterbach: „Auch wenn die sogenannte Herdenimmunität erreicht ist, können wir nicht alles öffnen. Für Nicht-Geimpfte wird es noch lange die Testpflicht für viele Angebote geben. Ich rechne deshalb nicht damit, dass es viele Impfverweigerer geben wird.“Ähnlich sieht es Pilsinger: „Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen und keine Immunität nachweisen können, werden sich weiter auf Corona testen lassen müssen.“Er glaubt, dass viele Zögernde sich letztlich doch für eine Impfung entscheiden würden: „Ohne negativen Test können Ungeimpfte bis zum Erreichen der Herdenimmunität nicht an Orte wie Kinos oder Bars gehen, an denen Abstand halten nicht möglich ist.“
Die Opposition warnt indes davor, dass es zu einer Art Impfpflicht durch die Hintertür kommt. FDPFraktionsvize Stephan Thomae unterstreicht: „Einen Impfzwang lehnen wir klar ab. Damit es zu keinem mittelbaren Druck kommt, sich nur durch eine Impfung gesellschaftliche Teilhabe erkaufen zu können, braucht es auch verantwortbare Öffnungskonzepte für Getestete.“
Um möglichst viele Menschen zu einer Impfung zu bewegen, empfehlen Experten, die Hürden so niedrig wie möglich zu halten. „Sehr relevant wird vermutlich das Impfen am Arbeitsplatz und in den Universitäten – und perspektivisch möglicherweise auch an Schulen“, sagt Cornelia Betsch, Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt. „So können große Gruppen mit vielen Kontakten erreicht werden und der Aufwand, an eine Impfung zu kommen, wird reduziert. Es sollte alles darangesetzt werden, dass Impfen so einfach wie möglich ist.“Von einer Impfpflicht hält sie indes wenig, dies könnte sogar weiteren Widerstand und Trotzreaktionen auslösen.
Einen positiven Effekt könnte hingegen die freie Auswahl des Impfstoffes haben – sobald genügend Impfdosen vorhanden seien. „Die Entscheidung, die jeder in dieser Pandemie zu treffen hat, ist: krank werden oder Impfung“, sagt Betsch. Die Entscheidung bleibe eine Risikoabwägung, keine der beiden Alternativen sei „absolut sicher“. Allerdings würde die Gefahr von Covid durch die Gewöhnung inzwischen von vielen unterschätzt. „Daher sollte über beide Risiken – auch vergleichend – aufgeklärt werden.“