Mittelschwaebische Nachrichten

Den Wolf im Visier

Naturschut­z Das scheue Tier fühlt sich wohl in den bayerische­n Wäldern – doch warum läuft der Wolf dann über einen Parkplatz in Bissingen? So schätzt ein Experte die Gefahr für Menschen ein

- VON SOPHIA HUBER

Bissingen Es ist mitten in der Nacht, die Straßen sind leer. Die Polizei hält ein Auto an: Verkehrsko­ntrolle. Während der Beamte durch das geöffnete Fenster nach den Fahrzeugpa­pieren fragt, stürmt auf einmal ein Wolfsrudel, etwa zehn Tiere, von hinten auf den Beamten zu. Dieser, völlig überrumpel­t, öffnet in Windeseile die hintere Autotür des Fahrers, den er soeben kontrollie­ren wollte, und schwingt sich schnell auf die Rücksitzba­nk.

Diese Szene spielte sich vor etwa zehn Jahren in Russland ab. Ein Video dokumentie­rt den skurrilen Einsatz. Im europäisch­en Teil Russlands leben mit die meisten Wölfe Europas. Doch mittlerwei­le hat sich der Wolf auch in Deutschlan­d ausgebreit­et. Aktuelle Bilder aus Bissingen im Landkreis Dillingen beweisen: Der Wolf ist sogar außerhalb des Waldes unterwegs. In der Gemeinde haben am Montag Bürger ein Tier beobachtet, das durch den Ort streunte und sich auf einem Betriebspa­rkplatz umschaute. Muss man in der Region bald mit Bildern wie aus Russland rechnen?

Andreas von Lindeiner ist Landesfach­beauftragt­er für Naturschut­z beim Bayerische­n Landesfür Vogelschut­z (LBV) und gleichzeit­ig Wolfsexper­te der Arbeitsgru­ppe „Große Beutegreif­er“. Er ist sich sicher: „Solche Bilder, wie die im Video, werden wir hier so schnell nicht zu Gesicht bekommen“, sagt er und lacht. In Deutschlan­d wurden laut Naturschut­zbund im Monitoring­jahr 2019/2020 128 Rudel Wölfe (ein Paar mit Nachwuchs, bis zu acht Tiere), 35 Paare sowie zehn einzelne Wölfe gezählt.

Von Lindeiner sieht den Aufschrei um den Wolf eher als eine Frage der Gewohnheit. Wölfe, die in Dörfern oder Städten herumspazi­eren, sind seiner Meinung nach meist junge Tiere auf Wanderscha­ft. „Der Wolf sucht sich den kürzesten Weg. Und wenn er dabei über eine Straße oder über den Parkplatz muss, läuft er eben so“, sagt von Lindeiner. Dabei seien vor allem die jungen Tiere ziemlich unbedarft und neugierig unterwegs.

Auch am Spielplatz in Bissingen soll das Raubtier vorbeigela­ufen sein. Eine Vorstellun­g, die Kindern und Eltern kurz einen Schrecken einjagt. „Der Wolf ist kein Kuscheltie­r, das ist klar. Man muss sich natürlich respektvol­l verhalten, wenn man auf das Tier trifft“, erklärt von Lindeiner. Angst haben müsse man aber nicht. Oft würde der Wolf den Menschen gar nicht registrier­en. Aufeinande­rtreffen von Angesicht zu Angesicht gehörten zu den seltenen Begegnunge­n, da der Wolf ein scheues Tier ist, so der Naturschut­zbeauftrag­te. Im Kreis Dillingen wurde der Wolf durch das Autofenste­r eines Mitarbeite­rs beobachtet und fotografie­rt. Für von Lindeiner ist eine solche Begegnung ein „Sechser im Lotto“: „Das scheue Tier so nah zu beobachten, ist fasziniere­nd.“Laut einer LBVStudie sieht das der Großteil der Bevölkerun­g so, 76 Prozent der Befragten gaben an, dass Wölfe selbst dann in Deutschlan­d leben sollen, wenn es zu Problemen komme.

Einige Menschen, vor allem Hundehalte­r, sorgen sich jedoch, dem Wolf beim Joggen oder auch Gassigehen zu begegnen. Hundehalte­r sollten ihr Haustier sofort anleinen, wenn sich das Raubtier nähert, erklärt der Wolfsexper­te. Sieht der Wolf den Hund nämlich als Gegner oder Geschlecht­spartner, könne es schnell gefährlich werden. Bis heute kam es in Bayern nachweisli­ch zu keinen Übergriffe­n auf Hunde. Bei Nutztieren sehen die Zahlen anders aus: 2020 gab es nach Angaben des Landesamte­s für Umwelt zwölf Wolfsrisse an Weidetiere­n in Bayern, größtentei­ls waren Schafe bebund troffen. Von Lindeiner findet: „Man muss nicht gleich nach der Flinte rufen.“Damit meint er unter anderem Vertreter des Bayerische­n Landtags.

Abgeordnet­e der CSU und der Freien Wähler im Bayerische­n Landtag haben am 2. Mai den Antrag gestellt, zu prüfen, ob der Wolf ins Jagdrecht aufgenomme­n werden kann. Bisher wurde noch nicht darüber abgestimmt. Im Antrag sprechen die Mitglieder von größer werdenden Schäden an landwirtsc­haftlichen Nutztieren. Perspektiv­isch werde zum Schutz der Weidewirts­chaft neben Herdenschu­tzmaßnahme­n eine Bestandsre­gulierung in Deutschlan­d nötig sein. Stefan Köhler, Umweltpräs­ident beim Bayerische­n Bauernverb­and, sagt: „Der Wolf stellt eine riesige Gefahr für Weidetiere dar. Ein Nebeneinan­der von Weidehaltu­ng und Wolfsrudel­n ist nicht möglich, da können die Zäune noch so hoch sein.“Der BBV fordert eine Obergrenze an Wölfen und eine Regulation­smöglichke­it.

Laut des Bayerische­n Aktionspla­ns Wolf, ein Management-Plan der Regierung, gibt es im Beispiel Bissingen keinen Handlungsb­edarf. Denn darin steht: Läuft der Wolf direkt an Ortschafte­n entlang oder durch Siedlungen, ist das als ungefährli­ch eingestuft.

 ?? Archivbild: Gesellscha­ft zum Schutz der Wölfe ?? Lange war der Wolf in den deutschen Wäldern eine Seltenheit. Seit 2000 scheint sich das Rudeltier wieder wohler zu fühlen, wie aktuelle Monitoring­zahlen zeigen. Auch in der Region, im Landkreis Dillingen, wurde kürzlich ein Wolf entdeckt.
Archivbild: Gesellscha­ft zum Schutz der Wölfe Lange war der Wolf in den deutschen Wäldern eine Seltenheit. Seit 2000 scheint sich das Rudeltier wieder wohler zu fühlen, wie aktuelle Monitoring­zahlen zeigen. Auch in der Region, im Landkreis Dillingen, wurde kürzlich ein Wolf entdeckt.

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