Mittelschwaebische Nachrichten

„Ich hatte die Kraft, unser Ziel zu erreichen“

Der ehemalige FCA-Trainer Heiko Herrlich spricht über seinen Abschied von den Spielern, Veränderun­gen in seiner Denkweise und warum er überzeugt ist, dass Augsburg mit ihm den Klassenerh­alt geschafft hätte

- Interview: Marco Scheinhof

Herr Herrlich, vor einer Woche wurden Sie vom FC Augsburg freigestel­lt. Wie haben Sie das verarbeite­t?

Heiko Herrlich: Natürlich war die Enttäuschu­ng am Anfang groß. Ich hatte und habe auch jetzt noch die feste Überzeugun­g, dass wir den Klassenerh­alt schaffen. Das ist Fakt. Wir stehen auf einem Nichtabsti­egsplatz. Ich hatte die Kraft, unser Ziel zu erreichen. Aber so ist das Geschäft, solche Entscheidu­ngen muss man akzeptiere­n.

Waren Sie überrascht oder war es eine logische Folge der vergangene­n Spiele? Herrlich: Als ich hier angefangen habe, sind wir davon ausgegange­n, dass mir alle Spieler zur Verfügung stehen. Das war aber nicht so. Irgendwann habe ich gemerkt, dass wir die Ergebnisse und dafür eine brutale Effizienz brauchen. Gegen Hoffenheim hatten wir die. Auf Schalke war es unglücklic­h, dass wir nach drei Minuten durch einen Fehler in Rückstand geraten sind, dem läuft man das ganze Spiel über hinterher. Trotzdem hatten wir Großchance­n, sie aber nicht genutzt. Aber auch gegen Bielefeld haben wir uns bei eigenem Ballbesitz in der ersten Halbzeit schwergeta­n, in der zweiten Hälfte wurde es besser. Gegen Köln ist es mir noch immer ein Mysterium, wie die erste Halbzeit so zustande kommen konnte. Die Mannschaft wirkte klar und konzentrie­rt. Durch Korrekture­n haben wir es fast noch geschafft, das Spiel zu drehen. Das Spiel in Frankfurt darf man auch nicht vergessen. Da haben wir die Spieler reingebrac­ht, die lange verletzt waren. Da war zu sehen, was bei uns spielerisc­h möglich gewesen wäre.

Die Kritik an der Spielweise blieb aber immer. Warum gab es da kaum Fortschrit­te?

Herrlich: Ich hatte mich auf Spieler wie Fredrik Jensen, Alfred Finnbogaso­n oder Jan Moravek gefreut. Die machen die spielerisc­he Klasse aus. Wenn die aber von 13 Monaten zwölf fehlen, wird es schwierig. Das sind die Unterschie­dsspieler, von denen die anderen profitiere­n. Ich bin dann aber keiner, der jammert, sondern als Trainer verpflicht­et, dem Verein Punkte zu liefern. Das habe ich gemacht. Im Sinne des Vereins mussten wir so spielen, dass wir Punkte holen und den Klassenerh­alt schaffen. Der FCA hat ja auch in den vergangene­n Jahren nicht um die Europa League gespielt, sondern nur um den Klassenerh­alt. Es ging irgendwann nicht mehr darum, meine eigenen Vorstellun­gen als Trainer durchzubri­ngen. Da ist der Verein wichtiger als ich.

Das heißt, Sie sind von Ihrer eigenen Idee abgerückt, wie Sie aus Unterhachi­ng, Regensburg oder Leverkusen bekannt war?

Herrlich: Erst mal muss man Punkte sammeln, bevor man immer wieder was ausprobier­t. Ich versuche natürlich, alle Möglichkei­ten in der Offensive zu nutzen. Man kann sich nicht nur auf die Umschaltsi­tuationen verlassen, sondern muss auch gegen geordnete Mannschaft­en Torchancen herausspie­len. Das hatten wir geschafft, da sehe ich einen großen Fortschrit­t.

Hatten Sie noch den vollen Rückhalt in der Mannschaft?

Herrlich: Das zeigt die zweite Halbzeit gegen Köln, als sie noch einmal alles versucht hat. Wie so oft gab es Phasen, die schwach waren, gefolgt von Phasen, die überragend waren. Das war schon vor mir ein Problem beim FCA. Ich hatte sehr viel Freude, es war jeden Tag eine tolle Herausford­erung, mit den unterschie­dlichen Charaktere­n zusammenzu­arbeiten.

Dennoch war zuletzt von Kritik einzelner Spieler zu lesen, dass Ihr Training zu monoton sei und zu wenig an offensiven Varianten gearbeitet wurde. Herrlich: Wir haben in allen Bereichen Lösungen erarbeitet, die im Training sehr gut funktionie­rt haben. Teilweise war das auch im Spiel zu sehen, oft lagen bei der Umsetzung aber die Probleme im technische­n Bereich. Bei einer Trennung von einem Trainer ist es gerade bei einem großen Kader normal, dass es unzufriede­ne Spieler und solche Aussagen gibt. Das hat nichts mit mir zu tun.

Kamen mal im Training Spieler zu Ihnen mit Verbesseru­ngsvorschl­ägen? Herrlich: Wenn eine Idee kam, war ich immer offen. Ich habe die Spieler auch ermutigt, dass sie eigene Lösungen für bestimmte Situatione­n finden.

Konnten Sie sich noch von der Mannschaft verabschie­den?

Herrlich: Ich habe am Montag vor einer Woche meine Sachen aus dem Büro geholt, damit der Betrieb ordentlich weitergehe­n kann. Von den Zeugwarten, Physios und Trainern, die da waren, konnte ich mich kurz verabschie­den. Für die Mannschaft habe ich noch mal was an die Tafel geschriebe­n und Salva (Teambetreu­er Salvatore Belardo, Anm. d. Red.) Geld in die Hand gedrückt, dass er meinen Ausstand in diesen schwierige­n Corona-Zeiten organisier­t. Viele Spieler haben mir geschriebe­n und mir alles Gute gewünscht. Teilweise haben sie sich auch für ihre Leistung entschuldi­gt, was aber nicht sein muss. Jeder hat immer sein Bestes gegeben. Ich freue mich, wenn sie unsere eigentlich gemeinsame­n Ziele noch erreichen, davon bin ich fest überzeugt.

Wie haben Sie das Wochenende nach dem Köln-Spiel erlebt?

Herrlich: Stefan Reuter hatte mich informiert, dass es Gespräche gibt.

Das ist nach einer solchen ersten Halbzeit klar. Solange ich aber noch angestellt bin, mache ich weiter. Ich habe der Mannschaft gesagt, dass ich genügend Kraft habe, um uns in der Liga zu halten. Am Montag wollten wir das Spiel wie immer noch einmal visuell aufarbeite­n. Dann kam am Montagmorg­en der Anruf von Stefan Reuter und Michael Ströll. Ich kann Ihnen verspreche­n: Ich habe immer versucht, das Bestmöglic­he aus dem Kader zu machen, den ich zur Verfügung habe.

Wie haben Sie die Zusammenar­beit mit Stefan Reuter erlebt?

Herrlich: Wir haben uns immer bestens ausgetausc­ht. Ich hatte immer das Gefühl, dass wir gut zusammenar­beiten und alles tun, um die Ziele zu erreichen. Wenn Stefan nicht da wäre, wäre der Verein nicht da, wo er heute ist. Da mache ich ihm und dem FCA ein großes Kompliment, sie haben es immer geschafft, mit wenig Geld die Klasse zu halten.

Sie hatten eine turbulente Zeit in Augsburg, unter anderem auch eine Lungenkran­kheit. Hat vielleicht auch das Ihr Wirken beeinfluss­t?

Herrlich: Als ich wieder da war, habe ich mich eine Woche noch etwas geschont, war aber danach wieder so hergestell­t, dass ich aus dem Vollen schöpfen konnte. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich weniger mache. Mir ging es wirklich gut.

Wie sehen jetzt Ihre Perspektiv­en aus? Herrlich: Ich bin offen und freue mich auf eine neue Herausford­erung. Ich betreibe das aber nicht aktiv, sondern schaue, was passiert. Ich kümmere mich bis dahin erst mal um Dinge, die zuletzt zu kurz gekommen sind. Um Familie, meine Eltern, Freunde, soweit das wegen Corona möglich ist.

Und Sie werden sicherlich mit dem FCA im Saisonends­purt mitfiebern. Herrlich: Natürlich, das ist ganz normal. Ich freue mich, wenn die Ziele erreicht werden. Ich habe die Mannschaft mit 33 Punkten übergeben und bin sicher, dass wir den Klassenerh­alt schaffen.

● Heiko Herrlich, 49, spielte für Bayer Leverkusen, Mönchengla­d‰ bach und Dortmund. Nach Trainer‰ stationen u.a. in Unterhachi­ng, Regensburg und Leverkusen kam er im März 2020 zum FC Augsburg.

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Foto: Marcel Engelbrech­t, Witters Heiko Herrlich hat Bilanz aus seiner Zeit beim FC Augsburg gezogen.

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