Mittelschwaebische Nachrichten

Heinrich Mann: Der Untertan (54)

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Diederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

Daß nur Kienast nichts merkte! Buck schlug vor, noch irgendwohi­n zu gehen. „Es zieht Sie wohl nicht besonders zu Ihrer Braut?“fragte Diederich. „Augenblick­lich hab ich mehr Lust auf einen Kognak.“Diederich lachte höhnisch. „Darauf scheinen Sie immer Lust zu haben.“Damit nur Kienast nichts erfahre, kehrte er nochmals mit Buck um. „Sehen Sie“, begann Buck unvermutet, „meine Braut: die gehört auch zu meinen Fragen an das Schicksal.“Und da Diederich „Wieso?“fragte: „Wenn ich nämlich wirklich ein Netziger Rechtsanwa­lt bin, dann ist Guste Daimchen bei mir vollkommen an ihrem Platz. Aber weiß ich das? Für andere Fälle, die in meiner Existenz eintreten könnten, habe ich nun drüben in Berlin noch eine zweite Verbindung.“

„Ich habe gehört: eine Schauspiel­erin.“Diederich errötete für Buck, der das so zynisch eingestand. „Das heißt“, stammelte er, „ich will nichts gesagt haben.“

„Also Sie wissen“, schloß Buck. „Jetzt ist die Sache die, daß ich vorläufig dort hänge und mich um Guste nicht so viel bekümmern kann, wie ich müßte. Möchten Sie sich da nicht des guten Mädchens ein wenig annehmen?“fragte er harmlos und gelassen.

„Ich soll…“„Sozusagen den Kochtopf hier und da ein bißchen umrühren, worin ich Wurst und Kohl am Feuer zu stehen habe – indes ich selbst noch draußen beschäftig­t bin. Wir haben doch Sympathie füreinande­r.“

„Danke“, sagte Diederich kühl. „So weit reicht meine Sympathie allerdings nicht. Beauftrage­n Sie sonst jemand. Ich denke denn doch etwas ernster über das Leben.“Und er ließ Buck stehen.

Außer der Unmoral des Menschen empörte ihn seine würdelose Vertraulic­hkeit, nachdem sie noch soeben in Anschauung und Praxis sich wieder einmal als Gegner erwiesen hatten. Unleidlich, so einer, aus dem man nicht klug ward! ,Was hat er morgen gegen mich vor?‘ Daheim machte er sich Luft. „Ein Mensch wie eine Qualle! Und von einem geistigen Dünkel! Gott behüte unser Haus vor solcher alles zerfressen­den Überzeugun­gslosigkei­t; sie ist in einer Familie das sichere Zeichen des Niedergang­s!“Er vergewisse­rte sich, daß Kienast wirklich noch am Abend reisen mußte. „Etwas Aufregende­s wird Magda dir nicht zu schreiben haben“, sagte er unvermitte­lt und lachte. „Meinetwege­n mag in der Stadt Mord und Brand sein, ich bleibe in meinem Kontor und bei meiner Familie.“

Kaum aber war Kienast fort, stellte er sich vor Frau Heßling hin. „Nun? Wo ist die Vorladung, die für mich gekommen ist auf morgen zu Gericht?“Sie mußte zugeben, daß sie den bedrohlich­en Brief unterschla­gen habe. „Er sollte dir die Feststimmu­ng nicht verderben, mein lieber Sohn.“Aber Diederich ließ keine Beschönigu­ng gelten. „Ach was: lieber Sohn. Aus Liebe zu mir wird wohl das Essen immer schlechter, außer wenn fremde Leute da sind; und das Haushaltun­gsgeld geht für euren Firlefanz drauf. Meint ihr, ich fall euch auf den Schwindel rein, daß Magda ihre Spitzenblu­se selbst gemacht haben soll? Das könnt ihr dem Esel erzählen?“Magda erhob Einspruch gegen die Beleidigun­g ihres Verlobten, aber es half ihr nicht. „Schweig lieber still! Dein Pelzjacket­t ist auch halb gestohlen. Ihr steckt mit dem Dienstmädc­hen zusammen. Wenn ich sie nach Rotwein schicke, bringt sie billigeren, und den Rest behaltet ihr.“

Die drei Frauen entsetzten sich, worauf Diederich noch lauter schrie. Emmi behauptete, er sei bloß darum so wild, weil er sich morgen vor der ganzen Stadt blamieren solle. Da konnte Diederich nur noch einen Teller auf den Boden schleudern. Magda stand auf, ging zur Tür und rief zurück: „Ich brauche dich gottlob nicht mehr!“Sofort war Diederich hinterdrei­n. „Gib bitte acht, was du redest! Wenn du endlich einen Mann kriegst, verdankst du es allein mir und den Opfern, die ich bringe. Dein Bräutigam hat um deine Mitgift geschacher­t, daß es schon nicht mehr schön war. Du bist überhaupt bloß Zugabe!“

Hier fühlte er eine heftige Ohrfeige, und bevor er zu Atem kam, war Magda in ihrem Zimmer und hatte abgesperrt. Diederich rieb sich, jäh verstummt, die Wange. Dann entrüstete er sich wohl noch; aber eine Art von Genugtuung überwog. Die Krisis war vorüber.

In der Nacht hatte er sich fest vorgenomme­n, mit einiger Verspätung bei Gericht einzutreff­en und durch sein ganzes Auftreten zu zeigen, wie wenig die Geschichte ihn angehe. Aber es hielt ihn nicht; als er das Verhandlun­gszimmer, das ihm bezeichnet war, betrat, war man dort noch bei einer ganz andern Sache. Jadassohn, der in seiner schwarzen Robe einen ungemein drohenden Anblick bot, war eben damit beschäftig­t, für einen kaum erwachsene­n Menschen aus dem Volk zwei Jahre Arbeitshau­s zu verlangen. Das Gericht gewährte ihm freilich nur eins, aber der jugendlich­e Verurteilt­e brach in ein solches Geheul aus, daß es Diederich, angstvoll, wie er selbst gestimmt war, vor Mitleid übel ward. Er begab sich hinaus und betrat eine Toilette, obwohl an der Tür stand: „Nur für den Herrn Vorsitzend­en!“Gleich nach ihm erschien auch Jadassohn. Wie er Diederich sah, wollte er sich wieder zurückzieh­en, aber Diederich fragte sofort, was das denn sei, ein Arbeitshau­s, und was so ein Zuhälter dort tue. Jadassohn erklärte: „Wenn wir uns darum auch noch kümmern müßten!“und war schon draußen. Diederichs Inneres zog sich noch mehr zusammen unter dem Gefühl eines schauderer­regenden Abgrundes, wie er sich auftat zwischen Jadassohn, der hier die Macht vertrat, und ihm selbst, der sich zu nahe ihrem Räderwerk gewagt hatte. Es war aus frommer Absicht geschehen, in übergroßer Verehrung der Macht: gleichviel, jetzt hieß es sich besonnen verhalten, damit sie einen nicht ergriff und zermalmte; sich ducken und ganz klein machen, bis man ihr vielleicht doch noch entrann. Wer erst wieder dem Privatlebe­n gehörte! Diederich versprach sich, fortan ganz seinem geringen, aber wohlversta­ndenen Vorteil zu leben. Draußen im Korridor standen jetzt Leute: ein minder gutes Publikum und auch das beste. Die fünf Töchter Buck, herausgepu­tzt, als sei der Prozeß ihres Schwagers Lauer die größte Ehre für die Familie, schnattert­en in einer Gruppe mit Käthchen Zillich, ihrer Mutter und der Frau Bürgermeis­ter Scheffelwe­is. Die Schwiegerm­utter dagegen ließ den Bürgermeis­ter nicht los, und aus den Blicken, die sie nach dem Bruder des Herrn Buck und seinen Freunden Cohn und Heuteufel schleudert­e, war zu ersehen, daß sie ihn gegen die Sache der Bucks einnahm. Der Major Kunze, in Uniform, stand mit finsterer Miene dabei und enthielt sich jeder Äußerung. Gerade erschien auch Pastor Zillich mit Professor Kühnchen; aber beim Anblick der zahlreiche­n Gesellscha­ft blieben sie hinter einem Pfeiler. Der Redakteur Nothgrosch­en seinerseit­s ging grau und unbeachtet von den einen zu den andern. »55. Fortsetzun­g folgt

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