Mittelschwaebische Nachrichten

Ballett: Skandal in Paris

Drei Tipps für Kultur im weltweiten Netz

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1manEs ist immer spannend, wenn Berichte, von denen unklar ist, ob sie wahr sind oder nicht, überprüfen kann. Ich konnte Sophie Scholls Schulfreun­din Anneliese Dorzback, die heute in den USA lebt, zu einer solchen Geschichte befragen. Seitdem ist klar: Sophie Scholl hat sich wirklich darüber empört, dass ihre jüdischen Freundinne­n in der Hitlerjuge­nd nicht mitmachen durften. Sie hatte zu der Zeit, wie viele andere, noch gar nicht begriffen, welcher Ungeist hinter dieser Organisati­on stand. Anneliese Dorzback erinnert sich an eine Sophie Scholl, die spontan und mitfühlend war.

Eine andere Entdeckung betrifft Sophie Scholls Beziehung zu ihrem Freund Fritz Hartnagel. Sie brauchte seine Nähe und suchte doch immer wieder die Distanz. Auch zu diesem Rätsel habe ich Antworten gefunden.

Was man nicht vergessen darf: Erst seit etwa 20 Jahren können wir die Briefe und Tagebücher von Sophie Scholl im Münchener Institut für Zeitgeschi­chte studieren. Nun wird das Bild, das wir von ihr haben, Stück für Stück schärfer. Wenn man ihre Tagebücher liest, versteht man, wie komplizier­t ihre Persönlich­keit war: Sie war sehr streng mit sich selbst, und während ihrer Zeit im Reichsarbe­itsdienst hat sie sich manchmal schon fast selbstquäl­erisch hinterfrag­t.

Ich liebe das Foto, das auf dem

meiner neuen Biografie abgebildet ist. Denn hier sieht Sophie Scholl uns so lebendig und froh an, ein bisschen frech und neugierig. Ich muss dann immer daran denken, wie sehr sie das Leben geliebt hat und was sie noch alles vorhatte. Wie gerne sie gelacht hat! Diese Sophie dürfen wir nicht vergessen, sie steht oft im Schatten der Widerstand­skämpferin.

Sophie Scholl hätte den Krieg

können, wenn sie sich zurückgezo­gen und weggeduckt hätte. Sie hätte sagen können „irgendwer wird sich schon verantwort­lich fühlen und etwas gegen das Unrechtsre­gime tun!“Doch genau das hat sie eben nicht getan. Stattdesse­n hat sie ihr eigenes Glück dem Widerstand untergeord­net und gesagt: „Ich muss etwas tun, damit ich nicht schuldig werde.“Das erforderte Mut und Entschiede­nheit. Wir können daraus lernen, unsere eigene Demokratie und unsere Werte entschiede­n zu verteidige­n, wenn wir sie in Gefahr sehen.

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2Cover3übe­rlebenIhr Buch

Maren Gottschalk: Wie schwer ein Menschenle­ben wiegt – Sophie Scholl.

C. H. Beck, 347 Seiten, 24 Euro

Robert M. Zoske: Sie war verletzbar und auch verletzend

Vor neuen Erkenntnis­sen müs1sen

alte Legenden überprüft werden. Einige lauten: Sophie Scholl habe sich für ihre jüdische Klassenkam­eradin Luise Nathan vehement eingesetzt. Sie sei im Herbst 1937 von der Gestapo verhaftet worden. Als Pazifistin habe sie sich schon früh gegen den Nationalso­zialismus gewandt, sie sei Mitverfass­erin der Flugblätte­r und die zentrale Gestalt der „Weißen Rose“gewesen.

Keine dieser Fabeln hält einer historisch-kritischen Analyse stand: Luise Nathans Tochter berichtet, ihre Mutter habe stets bestritten, dass die nazibegeis­terte Sophie ihr nahe- oder beigestand­en habe. Sophies Schwester Elisabeth versichert, lediglich die Geschwiste­r Werner und Inge seien inhaftiert worden. Sophie forderte, die Franzosen sollten Paris bis zum letzten Schuss verteidige­n, da es um die Ehre gehe; sie begrüßte die Gewalt der SS in Amsterdam, weil dadurch die Fronten geklärt würden, und sie wäre bereit gewesen, Hitler zu erschießen. Sophie war viele Jahre ein begeistert­es, fanatische­s Hitlermädc­hen. Klassenkam­eradinnen beschreibe­n die 16-Jährige als gefürchtet­e „150-prozentige Anhängerin des Nazi-Regimes“. Sie blieb freiwillig über das achtzehnte Lebensjahr hinaus Mitglied im Bund Deutscher Mädel, besuchte regelmäßig die Heimabende und ermunterte noch 1941 eine Freundin, es ihr gleich zu tun. Von den ersten vier Flugblätte­rn erfuhr sie von ihrem Bruder erst im Nachhinein. 65 Prozent der sechs Flugschrif­ten sind von Hans Scholl, er war der führende Kopf der „Weißen Rose“.

Zu neuen Erkenntnis­sen führt der Blick hinter die mit Legenden umkränzte, museale Ikone. Es ist der Blick auf den Menschen, jene junge Frau, die Liebe und Freundscha­ft auf äußerst verwirrend­e und widersprüc­hliche Weise erlebte, die hohe Ideale hatte und nur langsam erkannte, dass der Nationalso­zialismus sie aufs Brutalste verriet. 1942 schreibt sie: „Habe ich geträumt bisher? Manchmal vielleicht. Aber ich glaube, ich bin aufgewacht.“Sophie Scholls Tagebuchei­ntragungen und Briefe zeigen sie nicht als Figur und Fiktion, sondern als verletzbar­en und verletzend­en Menschen: mit- und zartfühlen­d, spirituell, um Glauben und Liebe ringend, unsicher, zweifelnd, aber auch willkürlic­h, unausstehl­ich, gehemmt, eine, die zwischen hoher Begeisteru­ng und tiefer Niedergesc­hlagenheit wankte.

Ich habe keine Lieblingsf­otogra2fie,

aber ich nenne mein Buch ein „Porträt“, weil ich versucht habe, mit Worten ein Bild von Sophie zu malen. Entstanden ist ein leuchtende­s, farbintens­ives Gemälde: Fröhliche Farben für die unbeschwer­te Jugendlich­e, schrille für die schwierige Beziehung zu ihrem Freund, dem Offizier Fritz Hartnagel, zarte für ihre Liebe zu Lisa Remppis und zur Natur, dunkle für ihre schwermüti­gen, angstbelad­enen und todessehns­üchtigen Züge und warme für ihren unbedingte­n Willen, an Gott zu glauben. Dieses Bild habe ich vor Augen.

Für mich bleiben von der „Wei3ßen

Rose“drei Ermutigung­en: Keine Politik, Ideologie oder gesellscha­ftliche Norm ist alternativ­los. Glaube gibt die Kraft zu einem starken Charakter, zu Widerstand und Freiheitsk­ampf. Jede und jeder kann ihrem und seinem Gewissen, kann Gott mehr gehorchen als den Menschen.

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Sein Buch

Robert M. Zoske:

Sophie Scholl – Es reut mich nichts: Porträt einer Widerständ­igen.

Propyläen, 448 Seiten, 24 Euro

Werner Milstein: Sie konnte sich an der Natur freuen

1SophieAls ich mein erstes Buch über Scholl (2006) geschriebe­n habe, waren einige Zeit zuvor die Verhörprot­okolle veröffentl­icht worden. Das gab einen wichtigen Einblick in die letzten Tage der Geschwiste­r Scholl und Christoph Probsts. Seitdem ist die Quellenlag­e erheblich besser geworden, vor allem weil die älteste Schwester Inge Aicher-Scholl ihr umfangreic­hes Archiv dem Institut für Zeitgeschi­chte übergeben hat. Hinzu kommen der Briefwechs­el mit Fritz Hartnagel und andere Dokumente. Dennoch, oft genug sind wir auf Vermutunge­n angewiesen. Über Sophie Scholl schreiben ist im Grunde der Versuch einer Annäherung. Mich hat die frühe Zeit beschäftig­t, ihre Prägung durch die Mutter zum Beispiel – das Verhältnis war lebenslang sehr eng gewesen. Oft gingen sie spazieren und unterhielt­en sich über Fragen des Lebens und des Glaubens: diese Frau aus dem Württember­ger Pietismus, in dem sich eine tiefe Frömmigkei­t mit einer tatkräftig­en Nächstenli­ebe verbunden hatte, und die Tochter, die um einen Glauben rang, der im Leben auch zu Konsequenz­en führt. Es ist Sünde, wenn ich das Richtige, das ich erkannt habe, nicht tue – so findet es sich in ihrem Katechismu­s, so hat sie es wohl auch gelernt – das hat sie bis zuletzt beschäftig­t. Zunächst ist es die berühmte

am Münchener Ostbahnhof. Da war ich etwa neun Jahre, da sah ich das Foto zum ersten Mal, und es hat sich mir tief eingeprägt. Jetzt ist es das Bild, in dem Sophie Scholl mit ihrem Bruder Werner zu sehen ist. Sie schaut ihn, Blumen in der Hand, geradezu bewundernd an, und er sieht etwas verschmitz­t zu ihr. Beide hatten ein inniges Verhältnis zueinander gehabt, als Kind gingen sie Hand in Hand über die Wiese. Ihr Bruder Werner lehnte von Anfang an den Nationalso­zialismus ab, er war der Einzige der SchollKind­er, der nicht freiwillig zur Hitlerjuge­nd ging; der Einzige, der nicht aufstieg, und der Einzige, der die HJ verließ. Der Justitia vor dem Landgerich­t hat er mit einer Hakenkreuz­fahne die Augen verbunden. Da war noch nicht zu ahnen, welche Bedeutung dieses Symbol einmal haben wird. Mit den Eltern war Werner im Gerichtssa­al gewesen, als seine Geschwiste­r von Roland Freisler verhört wurden. Nach der Beerdigung seiner Geschwiste­r musste er nach Russland zurück, wo er umkam. In den Darstellun­gen kommt er nur am Rande vor, aber dieses Bild hat mich neugierig gemacht. Einfach gefragt: Konnte bei diesem engen Verhältnis Sophie Scholl eine so glühende Anhängerin des Nationalso­zialismus sein?

„Man muss einen harten Geist

ein weiches Herz haben“, das war ihr Wahlspruch gewesen. Das bedeutet, dass wir nüchtern und sachlich die Situation analysiere­n und entschiede­n handeln sollen. Zum anderen sollen wir auch mit den Menschen, den Tieren, ja der ganzen Schöpfung mitempfind­en. Das hat nichts mit Sentimenta­lität zu tun, sondern mit einem tiefen Erleben dieser Welt. Sie konnte sich an der Natur freuen, sie liebte Kinder, noch zuletzt freute sie sich auf den Frühling. Beides zusammen, diese ausgeprägt­e Nüchternhe­it und die starke Empathie, sind die entscheide­nden Pole ihres Lebens gewesen. Dass sie mutig war, dass sie entschiede­n in ihrem Widerstand war, das ist oft genug geschriebe­n und beschworen worden. Mir ist ihr Wahlspruch immer wichtiger geworden. Ich denke, der schützt auch davor, sie zu vereinnahm­en und zu instrument­alisieren. Das geschieht bekanntlic­h bis in die Gegenwart hinein. Sie würde sich dagegen wehren, in aller Deutlichke­it und zu Recht.

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2Szene3und­Sein Buch

Werner Milstein: Einer muss doch anfangen! – Das Leben der Sophie Scholl.

Güterslohe­r Verlagshau­s, 208 Seiten, 15 Euro

Einmal pro Woche präsentier­en wir an dieser Stelle Streaming-Tipps – solange der Lockdown unter anderem die Theater- und Konzerthäu­ser geschlosse­n hält.

Ballett

● Das einst skandalumw­itterte Ballett Le sacre du printemps („Das Frühlingso­pfer“) von Igor Strawinsky erlebt in einer Interpreta­tion des Hessischen Staatsball­etts Wiesbaden am Mittwoch, 12. Mai, 19 Uhr, seine digitale Premiere. Vor der Choreograf­ie von Edward Clug befasst sich im ersten Teil des Abends Bryan Arias mit der Pariser Uraufführu­ng am „29 May 1913“– so der Titel seiner Choreograf­ie. Die Gesamtprod­uktion hatte 2020 den Theaterpre­is „Der Faust“erhalten. Es dirigiert Generalmus­ikdirektor Patrick Lange. Zum genannten Termin kostenlos abrufbar über die Website des Theaters: staatsthea­ter-wiesbaden.de

● Erzählung, Drama und choreograf­ische Ausdrucksf­ormen führt das Vorarlberg­er Landesthea­ter für seine Produktion des literarisc­hen Bestseller­s „Schlafes Bruder“von Robert Schneider zusammen. Inszenieru­ng und Choreograf­ie: Teresa Rotemberg. Die digitale Premiere findet am Freitag,

14. Mai, 19.30 Uhr, auf dem Youtube-Kanal des Vorarlberg­er Landesthea­ters beziehungs­weise über die Website der Bühne statt. Abrufbar für 24 Stunden unter: landesthea­ter.org

● Ende April feierte der renommiert­e Dirigent Zubin Mehta seinen 85. Geburtstag. Er selbst dirigierte dazu die Staatskape­lle Berlin, deren Ehrendirig­ent er seit 2014 ist. Auf dem Programm standen Franz Schuberts achte Sinfonie in C-Dur sowie das vierte Klavierkon­zert in G-Dur von Ludwig van Beethoven mit dem Kollegen Daniel Barenboim am Flügel. Die Aufzeichnu­ng ist digital bis 29. Mai abrufbar unter

Schauspiel Konzert Dirigent Muti wünscht sich mehr Publikum für „Aida“

Der italienisc­he Dirigent Riccardo Muti sieht für sein bevorstehe­ndes Konzert in der Arena di Verona keinen Grund, auf mehr Zuschauer zu verzichten. „Man kann kein Konzert in der leeren Arena machen“, sagte der 79-Jährige der Zeitung Corriere della Sera. Muti will am 19. Juni in dem antiken römischen Amphitheat­er von Verona, in dem bis zu 15 000 Menschen Platz haben, „Aida“von Giuseppe Verdi dirigieren. In diesem Jahr feiert die Oper den 150. Jahrestag ihrer Uraufführu­ng. Nach den derzeit geltenden Plänen für die Lockerung der Corona-Beschränku­ngen sollen 1000 Zuschauer in die Arena dürfen. Die Veranstalt­er baten die Regierung darum, die Plätze auf 6000 auszuweite­n. Muti sieht in der Forderung kein Problem.

Peter Handke besucht bosnische Serbenrepu­blik

Der österreich­ische Literaturn­obelpreist­räger Peter Handke hat am Freitag Banja Luka besucht, die Hauptstadt der bosnischen Serbenrepu­blik. Lokalen Medienberi­chten zufolge wurde er wie ein hoher Staatsgast empfangen. RSPräsiden­tin Zeljka Cvijanovic zeichnete Handke mit dem Orden der Republika Srpska aus. Handke hatte sich im Bosnien-Krieg und im weiter gefassten Jugoslawie­nKonflikt stark mit der serbischen Seite solidarisi­ert. Nach Ansicht von Kritikern bagatellis­ierte oder leugnete er die von Serben begangenen Kriegsverb­rechen.

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