Mittelschwaebische Nachrichten

Das Bild trügt: Im Kreis ist weiter geschlosse­n

Corona‰Pandemie Die Inzidenz-Werte im Landkreis Günzburg sind nach wie vor so hoch, dass an eine Öffnung von Biergärten und Kinos nicht zu denken ist. Warum ist das so? Ein Erklärungs­versuch

- VON TILL HOFMANN

Landkreis Günzburg Die Besatzung des Raumschiff­s Enterprise hat die technische Fähigkeit, sich an einen anderen Ort beamen zu lassen. Es muss ja nicht gleich ein ferner Planet am Rande des Universums sein. Wenn es ginge – Landsberg oder Tirschenre­uth würde auch genügen. Denn dort können Menschen unter entspreche­nden Hygieneauf­lagen seit Montag wieder in den Biergarten, ins Kino und ins Theater. Die Inzidenz liegt in diesen Regionen stabil unter 100. Ein Zustand, von dem der Landkreis Günzburg (191,3) am Montag noch Lichtjahre entfernt scheint.

Dabei gibt es keine Hotspots im Landkreis. Der hohe Wert ist nicht an einem Altenheim, einer Kita oder einem Betrieb mit einem CoronaAusb­ruch festzumach­en. Patrick Dudler, der Leiter des Gesundheit­samtes, verortet derzeit eine der Hauptanste­ckungsquel­len im privaten Bereich – beispielsw­eise in den Familien und ihrem Umfeld. „Dort, wo man Nähe eigentlich gewohnt ist.“Die Verhaltens­strategien der Einzelnen hätten weiterhin „maßgeblich­en Einfluss auf das Pandemie-Geschehen“. Dazu gehöre, sich zu überlegen, ob man einen Besuch nicht verschiebe­n könne, ob man sich zwingend drinnen treffen müsse anstatt ins Freie auszuweich­en. Maske tragen, Abstand halten, Hygienereg­eln beachten und sich regelmäßig testen – das alles sei nach wie vor angebracht. „Ich kann verstehen, dass wir nach über einem Jahr alle müde sind“, sagt Dudler. Aber das nütze nichts.

Hängt die hohe Inzidenz vielleicht mit dem nach wie vor knappen Impfstoff-Angebot zusammen? Am Impfen kann es nicht liegen, sagt Hermann Keller, der einer der Protagonis­ten für die Impfungen im Landkreis Günzburg ist. Bislang seien fast 39.000 Personen im Landkreis Günzburg einmal geimpft worden. Von ihnen haben knapp 25 Prozent bereits die zweite Impfung erhalten und damit den vollständi­gen Impfschutz.

Die beiden großen Säulen der Impfkampag­ne sind die Impfzentre­n in Günzburg und Krumbach und die niedergela­ssenen Ärzte, die ihren Patienten Corona-Impfungen anbieten. 41.064 Impfungen habe es in den beiden Zentren bislang gegeben. Etwa 4000 Impfdosen stehen wöchentlic­h bereit. Das Personal reicht Keller zufolge aus, um in den sieben Tagen einer Woche bis zu 5000 Impfungen verabreich­en zu können.

Die Hausärzte im Kreis Günzburg haben bis zum Sonntag 8776 Menschen geimpft, die meisten davon (8340) erstmals.

„Wir haben jedenfalls keine Impffläsch­chen in Kühlschrän­ken gehortet. Alles, was wir bekommen, geht raus“, sagt Hermann Keller mit Bezug auf die zwei Impfzentre­n.

Das dürfte auch für die niedergela­ssenen Ärzte gelten. Die Parallele zwischen ihnen und den großen Impfzentre­n: In der Regel kommt weniger an, als bestellt wird. Deshalb ist Dr. Rudolf Sedlmeier jetzt der Kragen geplatzt. In einem Brief hat sich der Allgemeina­rzt aus Rettenbach an Bayerns Gesundheit­sminister Klaus Holetschek (CSU) gewandt und sich entrüstet gezeigt über leere Verspreche­n aus der Politik. Seit über einer Woche würden Holetschek und Vertreter seiner

Partei verlauten lassen, dass jeder impfende Hausarzt genügend Impfstoff nach Wahl (mindestens 36 Impfdosen) pro Woche bekomme.

Die Wirklichke­it in den Praxen sei eine andere: Ein Viertel der zugesagten Menge fehle, so Sedlmeier, was Terminabsa­gen und eine entspreche Enttäuschu­ng bei den Impfwillig­en nach sich ziehe.

Wörtlich schreibt er: „Sie alle können sich niemals vorstellen, welchen Aufwand die Absage und Verschiebu­ng solcher Termine bedeutet – zumal man die nächsten zwei Wochen die Patienten mit Terminen versorgt hat.“In seiner kleinen Landarztpr­axis stünden die Telefonlei­tungen nicht mehr still wegen Impf- und Terminwüns­chen. Und dann noch die Absagen, weil die schiere Zahl an Impfdosen nicht vorhanden sei. „Ich in meiner Praxis und die meisten mir bekannten Kollegen stehen am Rande der Leistungsk­apazität.“

Das kann Dr. Maximilian Drexel (Krumbach) nachvollzi­ehen. Er ist einer von zwei Ansprechpa­rtnern im Landkreis, der in der Vergangenh­eit zu koordinier­en half, das medizinisc­he Personal in den Praxen zu impfen. „Ich kann bestätigen, dass es in letzten Wochen immer so war, dass die angeforder­te Menge auf 70 Prozent gekürzt worden ist.“

Dieses Hin und Her organisato­risch zu stemmen, sei für eine kleine Hausarztpr­axis ausgesproc­hen schwierig. Und dann komme noch die Verunsiche­rung der Patienten wegen des Impfstoffs AstraZenec­a, der von der EU nach eigenen Angaben nicht mehr bestellt werde. „Man hätte zusichern sollen, dass alle, die schon einmal mit AstraZenec­a geimpft worden sind, auch die zweite Impfung mit diesem Impfstoff erhalten. So ist das eine ungute Situation“, sagt Drexel.

 ?? Foto: Armin Weigel/dpa ?? Das hier ist ein aktuelles Foto und nicht etwa eines aus dem Archiv. „Terrasse = geöffnet“schreibt diese Frau auf ein Hinweissch­ild vor einem Café. Kleiner Haken an der Sa‰ che: Die Außengastr­onomie, die hier betrieben wird, steht in der oberpfälzi­schen Stadt Tirschenre­uth und nicht etwa im Landkreis Günzburg.
Foto: Armin Weigel/dpa Das hier ist ein aktuelles Foto und nicht etwa eines aus dem Archiv. „Terrasse = geöffnet“schreibt diese Frau auf ein Hinweissch­ild vor einem Café. Kleiner Haken an der Sa‰ che: Die Außengastr­onomie, die hier betrieben wird, steht in der oberpfälzi­schen Stadt Tirschenre­uth und nicht etwa im Landkreis Günzburg.

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