Mittelschwaebische Nachrichten

Freispruch nach Brandstift­ung in Asylunterk­unft

Ein 34-jähriger Asylbewerb­er setzte vor fast einem Jahr die Einrichtun­g in Reisensbur­g in Brand. Warum das Landgerich­t Memmingen den Mann nicht ins Gefängnis schickt und was ihn stattdesse­n erwartet

- VON MICHAEL LINDNER

Reisensbur­g/Memmingen Nicht einmal ein Jahr ist der Großeinsat­z mehrerer Feuerwehre­n in Reisensbur­g her. Damals, am 15. Juni 2020 kurz nach 10 Uhr, waren etwa 50 Feuerwehrl­eute beschäftig­t, die Flammen der in Brand stehenden Asylunterk­unft unter Kontrolle zu bringen. Ein 34-jähriger Bewohner aus Eritrea hatte einen Brand gelegt. Nach sechs Verhandlun­gstagen am Landgerich­t Memmingen wurde am Montag das Urteil gesprochen.

Es lautet: Freispruch. Zufrieden wird der Eritreer nur bedingt sein, denn in Freiheit ist er trotzdem nicht. Bereits früh im Laufe des insgesamt sechs Verhandlun­gstage andauernde­n Prozesses hat der 34-jährige Angeklagte ein Geständnis abgelegt. Er gab zu, die Asylunterk­unft in Brand gesteckt zu haben. Er habe sich das Leben nehmen wollen, erklärte der 34-Jährige vor Gericht. Immer wieder tauchten Stimmen in seinem Kopf auf, sie beleidigte­n ihn und machten ihm Angst. Um dem zu entkommen, wollte er sich umbringen. Er zündete deshalb in Grillanzün­der getränktes Toilettenp­apier in seinem Zimmer im ersten Stock an. Doch als er fast keine Luft mehr bekam, flüchtete der Mann aus dem Zimmer und kletterte über den Balkon in Sicherheit.

Den Brand haben alle der damals etwa 20 anwesenden Bewohner überlebt. Sie mussten zum Teil von der Feuerwehr vom Balkon gerettet werden. Zwei Bewohner verletzten sich auf der Flucht vor den Flammen,

als sie aus einem Fenster im ersten Stock fielen beziehungs­weise auf der Treppe stürzten. Es entstand ein Sachschade­n in Höhe von etwa 200.000 Euro.

Der Angeklagte stand zusätzlich wegen vorsätzlic­her Körperverl­etzung vor Gericht. Keine zwei Monate vor der Brandstift­ung schlug er einem Mitbewohne­r in der Gemeinscha­ftsküche mit der Faust ins Gesicht. Der Angeklagte macht auch dafür Stimmen in seinem Kopf verantwort­lich. Sie sollen ihm gesagt haben, dass der Mitbewohne­r ihn schlagen und sogar essen möchte.

Beide Vorwürfe räumte der 34-Jährige ein, mehrere Zeugen schilderte­n Details zu den Vorkommnis­sen. Dass der Angeklagte vom Gericht unter Vorsitz von Christian Liebhart trotzdem freigespro­chen wurde – so wie es die Staatsanwa­ltschaft und Verteidige­r Alexander Kühne in ihren Plädoyers gefordert hatten – hat mit den „Stimmen im Kopf“des Angeklagte­n zu tun.

Er sei psychisch krank, leide seit mindestens drei Jahren an einer paranoiden Schizophre­nie. Mehrere Polizeibea­mte beschriebe­n den Mann kurz nach dem Brand als apathisch und verwirrt. Mitbewohne­r hörten, wie er immer wieder mit sich selber sprach – so auch in der Nacht vor der Brandstift­ung. Aufgrund seiner Krankheit sei er unfähig, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, so die Einschätzu­ng des Gerichts.

Die Staatsanwa­ltschaft forderte die Unterbring­ung in einem psychiatri­schen Krankenhau­s. In einem Bezirkskra­nkenhaus ist der 34-Jährige seit November in Behandlung. Verteidige­r Kühne hielt eine Unterbring­ung im BKH für nicht nötig. Wenn sein Mandant die verschrieb­enen Medikament­e nehme, sei er nicht aggressiv und es gehe keine Gefahr von ihm aus. Zudem sei er kaum strafrecht­lich aufgefalle­n – er fuhr lediglich zweimal ohne gültigen Fahrschein mit dem Zug. Eine ambulante Behandlung und ein Bewährungs­helfer seien demnach ausreichen­d. „Die Unterbring­ung in einem psychiatri­schen Krankenhau­s ist eine äußerst belastende Maßnahme und nicht nötig“, sagte Kühne.

Doch das Landgerich­t sah dies anders. Ohne Medikament­e sei mit erneuten Straftaten zu rechnen. Seiner Meinung nach habe der Angeklagte noch „keine stabile Krankheits­einsicht“erreicht. Der Eritreer hat laut Richter Liebhart gute Chancen, dass die Unterbring­ung im BKH nicht zu lange dauert und er dann in Freiheit kommt. Doch diese könne das Gericht zum jetzigen Zeitpunkt nicht gewähren.

 ?? Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r ?? Im Juni 2020 setzte ein Bewohner die Asylunterk­unft in Reisensbur­g in Brand. Am Montag verkündete das Gericht das Urteil.
Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r Im Juni 2020 setzte ein Bewohner die Asylunterk­unft in Reisensbur­g in Brand. Am Montag verkündete das Gericht das Urteil.

Newspapers in German

Newspapers from Germany