Mittelschwaebische Nachrichten

„Müssen dringend den Flächenver­brauch reduzieren“

Die Klimaexper­tin der Grünen, Lisa Badum, macht der Bayerische­n Staatsregi­erung schwere Vorwürfe. Dort werde Klimaschut­z blockiert. Und: Warum es keine Discounter auf der grünen Wiese mehr geben soll

-

Frau Badum, die verheerend­en Fluten haben den Menschen in Deutschlan­d vor Augen geführt, dass wir uns gegen die Erderwärmu­ng wappnen müssen. Wo steht Deutschlan­d bei der Anpassung an den Klimawande­l?

Lisa Badum: Wir stehen nicht ganz am Anfang, aber ziemlich. Ein Beispiel: Ich hatte letztes Jahr die Bundesregi­erung gefragt, wie hoch die Schäden durch die Folgen des Klimawande­ls, also durch Dürre und Fluten, sind. Die Regierung konnte keine Zahlen nennen, weil sie keine hatte. Man hat dann reagiert und wollte ein Klimakatas­ter aufbauen; aber meines Wissens nach ist man damit noch nicht fertig. Das ist eine Bankrotter­klärung. Denn es ist ja nicht so, dass man nicht hätte ahnen können, dass der Klimawande­l kommt.

Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze hat sich doch des Themas angenommen und einen ganzen Strauß an Maßnahmen auf den Weg gebracht. Badum: Zwei Monate vor der Wahl passiert da aber nichts mehr. Und Frau Schulze fing erst an, als wir von den Grünen nachgehakt haben. Aber grundsätzl­ich hat sie natürlich einen Punkt. Der Bund und die Länder tun hier und da etwas dafür, dass sich Städte und Gemeinden besser auf Starkregen einstellen können oder grüner werden. Doch wie so oft in Deutschlan­d wissen die

Länder nicht, was der Bund macht, und umgekehrt. Die Kommunen machen auch ihr Ding. Bei der Anpassung an den Klimawande­l wird munter aneinander vorbeiregi­ert. Es gibt tausend verschiede­ne Töpfe, aber keiner hat den Überblick, ob damit etwas erreicht wird.

Wie sieht es speziell in Bayern aus? Badum: Ich war die Tage in zwei Gemeinden unterwegs, die jetzt von den Unwettern in Franken letzte

Woche betroffen waren. Da habe ich erfahren, dass es ein Notfallpro­gramm Sturzflute­n der bayerische­n Landesregi­erung gab. Es ist Ende letzten Jahres ausgelaufe­n. Das muss man sich einmal vorstellen. Ein Riesenthem­a, das die Staatsregi­erung nicht in den Griff bekommen hat, ist die Flächenver­siegelung. Wir verlieren jeden Tag elf Hektar Land, weil darauf gebaut wird. Auf diesen Flächen kann das Wasser schlechter abfließen, und sie heizen sich auf. Wirtschaft­sminister Aiwanger wollte den Flächenfra­ß halbieren und setzte auf Freiwillig­keit. Natürlich ging das schief.

Ministerpr­äsident Söder verspricht, dass Bayern bis 2040 klimaneutr­al sein wird. Das wären fünf Jahre vor dem Bund. Um seine Politik in ein Bild zu bringen, umarmte er einen Baum. Badum: Mir ist es ein Rätsel, wie das klappen soll. Der Flächenver­brauch ist weiter enorm. Und die CSU beharrt darauf, dass Windräder weiter nur in weitem Abstand zu Wohnhäuser­n gebaut werden dürfen. Dabei belegen wir heute in Bayern bei der Windkraft die hinteren Ränge. Da kann Söder so viele Bäume umarmen, wie er will. Apropos Bäume: Söder feiert sich für seinen Aufforst-Aufruf, aber der Staatswald ist weiter auf Profite getrimmt statt auf den ökologisch­en Umbau. Weiterhin werden alte Bäume ohne Sinn und

Verstand gefällt. Ich habe mich davon erst kürzlich überzeugt. Die Koalition in Bayern blockiert sich gegenseiti­g beim Klimaschut­z. Denn Aiwanger und seine Freien Wähler wollen keine Solaranlag­en zur Pflicht machen bei Neubauten oder umfassende­n Sanierunge­n. Angesichts der Dringlichk­eit des Klimawande­ls ist das skandalös.

Was muss jetzt passieren, um Städte und Gemeinden klimafest zu machen? Badum: Im Großen brauchen wir eine koordinier­te Politik von Bund, Ländern und Gemeinden. Dass der Bund dafür Geld geben muss, ist richtig. Wir müssen dringend den Flächenver­brauch reduzieren. Konkret heißt das zum Beispiel, auf den Ausbau von Landstraße­n und Autobahnen, auf Discounter und Gewerbegeb­iete auf der grünen Wiese so weit wie möglich zu verzichten. Die Kommunen brauchen andere finanziell­e Anreize, damit sie von diesen Einnahmen nicht abhängig sind.

Und im Kleinen?

Badum: Die Städte und Gemeinden müssen zu Schwämmen werden, um in den Hitzesomme­rn nicht auszutrock­nen. Das heißt, es müssen Bäume gepflanzt werden, wo es geht. Bäume spenden Schatten und kühlen die Umgebung. Bestehende Stadtbäume brauchen mehr Platz für ihre Wurzeln. Da muss Beton und Asphalt aufgebroch­en werden. Die Grünfläche­nämter werden die Bäume im Sommer gießen müssen und brauchen dafür Leute. Und auch Tempo 30 innerorts reduziert den Stress für Bäume und macht sie widerstand­sfähiger. An den Fassaden der Häuser sollten wir Rankpflanz­en emporkriec­hen lassen, auch sie spenden Schatten. Frischluft­schneisen in der Stadt können in Hitzenächt­en überlebens­wichtig sein.

Wie können sich Städte und Gemeinden auf Sturzflute­n vorbereite­n? Badum: Wenn weniger Fläche versiegelt ist durch Asphalt und Stein, kann der Boden mehr Wasser aufnehmen. Und es braucht Wasserrück­haltefläch­en, damit Flüsse auch über die Ufer treten und sich ausbreiten können. Wir werden auch über die Verstärkun­g der Kanalisati­on nachdenken müssen. Die Leute sollten wissen, von welcher Seite das Wasser bei Starkregen kommt. Dafür müssen die Kommunen spezielle Karten anfertigen lassen, die dann jeder im Internet einsehen kann.

Interview: Christian Grimm

 ?? Foto: Sven Hoppe, dpa ?? Noch stehen nur zeitweise Palmen auf der Theresienw­iese.
Foto: Sven Hoppe, dpa Noch stehen nur zeitweise Palmen auf der Theresienw­iese.
 ??  ?? Lisa Badum, 37, sitzt seit 2017 im Bundestag. Die gebürtige Forchheime­rin ist klimapolit­ische Spreche‰ rin der Grünen
Lisa Badum, 37, sitzt seit 2017 im Bundestag. Die gebürtige Forchheime­rin ist klimapolit­ische Spreche‰ rin der Grünen

Newspapers in German

Newspapers from Germany