Mittelschwaebische Nachrichten

Gewitterst­immung in Brüssel

Die EU-Kommission bescheinig­t Ungarn und Polen eklatante Defizite in Sachen Rechtsstaa­tlichkeit. Warschau droht nun eine Geldstrafe

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Die Analyse ist schonungsl­os: Unabhängig­e Kontrollen gegen Korruption sind „unzureiche­nd“. „Günstlings- und Vetternwir­tschaft“bleiben ungeahndet. Bei Korruption­sfällen „auf hoher Ebene“gelten die Aussichten auf Aufklärung und Bestrafung als „begrenzt“. Betroffen sind „hochrangig­e Beamte und deren unmittelba­rer Kreis“. So beschreibt die Europäisch­e Kommission in ihrer zweiten Untersuchu­ng zur Rechtsstaa­tlichkeit die Situation in Ungarn, die am Dienstag in Brüssel vorgestell­t wurde. Mehr als zwei Seiten lang listet die EU-Behörde auf, wo es im Land der Magyaren hapert: „Der Medienplur­alismus bleibt gefährdet.“Es herrscht ein Medienrat, der „unabhängig­e Radiosende­r vom Netz genommen hat“. Was die demokratis­che Kontrolle der Regierung durch Parlament und Opposition betrifft, „geben die Transparen­z und die Qualität des Gesetzgebu­ngsprozess­es weiterhin Anlass zur Sorge.“

Der jährliche Rechtsstaa­ts-TÜV der EU wurde vor zwei Jahren eingeführt. In Gesprächen mit gesellscha­ftlichen Gruppen, Nichtregie­rungsorgan­isationen, aber auch Vertretern der Regierung entsteht dieses Papier, von dem die Kommission selbst sagt, es habe nur präventive­n Charakter. Mehr nicht. Den Vertretern des Europäisch­en Parlaments ist das angesichts solcher Bilanzen zu wenig. Katarina Barley (SPD), ehemalige Bundesjust­izminister­in und heute Vizepräsid­entin des Abgeordnet­enhauses der EU, wurde am Dienstag deutlich: „Ministerpr­äsident Viktor Orbán und seine Regierung haben an allen Säulen der Demokratie so starke Veränderun­gen vorgenomme­n, dass man von demokratis­chen Verhältnis­sen in Ungarn nicht mehr reden kann.“

„Das Geld europäisch­er Steuerzahl­er wird systematis­ch für den Abbau der Demokratie missbrauch­t“, erklärte Daniel Freund, der für die Grünen im EU-Parlament sitzt, gegenüber unserer Zeitung. Und beide sprechen keineswegs nur von Ungarn. Denn auch Polen bekommt von Brüssel miese Noten in Sachen Rechtsstaa­tlichkeit. Die Reformen im Justizsyst­em gäben „Anlass zu ernsten Bedenken“.

In Sachen Korruption bestünden „Risiken in Bezug auf die Wirksamkei­t der Bekämpfung“, heißt es in dem ausführlic­hen Länderberi­cht. Und: „Seit 2020 hat sich das berufliche Umfeld für Journalist­en verschlech­tert, mit einschücht­ernden Gerichtsve­rfahren und gewalttäti­gen Aktionen bei Protesten, auch durch die Polizei.“

Anders als im Fall Ungarn verschärft­e die EU-Kommission jedoch den Ton gegenüber der polnischen Regierung und drohte erstmals mit einer Geldbuße. Die Reformen im Justizsyst­em gäben „Anlass zu ernsten Bedenken“, schrieb die EUBehörde. Es geht dabei besonders um eine 2018 neu geschaffen­e, umstritten­e Disziplina­rkammer am Obersten Gericht, die die Aufsicht über alle Richter hat, einschließ­lich jener am Obersten Gerichtsho­f. Sie kann deren Immunität aufheben, um eine Strafverfo­lgung zu ermögliche­n und deren Gehälter kürzen. Sollte Warschau die Disziplina­rkammer nicht wie vom Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) gefordert, aussetzen, werde Brüssel die Zahlung eines Bußgeldes gerichtlic­h beantragen, sagte EU-Kommission­svizepräsi­dentin Vera Jourova am Dienstag und setzte eine Frist bis zum 16. August.

Keine Frage: Die Bilanz zu Ungarn

„Ernste Bedenken“gegen die Justizrefo­rm in Polen

Deutschlan­d bekommt solide Noten in dem Bericht

und Polen ist der Tiefpunkt in einer langen Reihe von Rechtsstaa­tsverstöße­n. Dabei wurde der aktuelle Verdachtsf­all noch gar nicht berücksich­tigt: Das Abhören und Ausspähen von Journalist­en durch ungarische Regierungs­stellen mithilfe der Software „Pegasus“, von der Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen schon am Montag sagte, sollte sich der Verdacht bestätigen, sei dies „völlig inakzeptab­el und verstößt gegen sämtliche Regeln, die wir in Sachen Pressefrei­heit haben“. Deutschlan­d kommt in dem Jahresberi­cht übrigens einigermaß­en solide davon. Kritik gab es an „Defiziten bei der Regulierun­g von Nebentätig­keiten von Parlamenta­riern“sowie Gesetzeslü­cken zum Sponsoring politische­r Veranstalt­ungen. Bei den Medien dagegen zeigte sich Brüssel zufrieden: „Der Grad der Unabhängig­keit der Medien und der zuständige­n Aufsichtsb­ehörden ist hoch“, stellte die Kommission fest.

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Foto: Peter Komka, dpa Es kracht heftig zwischen der EU und Ungarn und Polen.

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