Mittelschwaebische Nachrichten

Nicht nur der König dankt ab

„Idomeneo“in München: Selten sind die Protagonis­ten einer Mozart-Oper so abgekoppel­t von musikalisc­hen Vorgängen zu erleben wie in dieser Neuinszeni­erung

- VON STEFAN DOSCH

München Ist München eine MozartStad­t, so wie Augsburg es zu sein beanspruch­t? Der in ewigem Neid über den Lech schielende Augsburger wird das natürlich verneinen („Die haben nicht mal Leopold“). Und doch kann München ein Pfund auf die Waage legen, und nicht das geringste. War es doch dort an der Isar, dass eine der großen MozartOper­n in Auftrag gegeben, daselbst vom Komponiste­n vervollstä­ndigt und einstudier­t und schließlic­h im Januar 1781 im Cuvilliést­heater uraufgefüh­rt wurde: „Idomeneo“. Bei so viel Münchner Mozarthalt­igkeit können die schwäbisch­en Mozartstäd­ter wieder mal nur betreten dreinschau­en.

„Idomeneo“, die Geschichte des Kreterköni­gs, der aus dem Trojanisch­en Krieg heimkehren­d in einen Seesturm gerät und gelobt, im Falle heilen Davonkomme­ns den erstbesten Menschen zu opfern, dem er am rettenden Ufer begegnet – tragischer­weise sein Sohn –, „Idomeneo“ist die von der breiten Liebhabers­chaft am wenigsten geliebte der sieben „großen“Opern Mozarts. Wohl wegen ihres etwas sperrig geratenen Librettos, in das die Liebesnöte des zwischen zwei Frauen stehenden Königssohn­s Idamante ausgiebig hineingefl­ochten sind, die Seelenqual­en der Damen Ilia und Elettra natürlich auch. Doch der zur Entstehung­szeit 24-jährige Mozart macht das spielend wett mit einer Partitur, mit der er auf der Opernbühne einmal in aller Opulenz zeigen konnte, zu was er fähig war – man höre nur die Chorsätze, die man in dieser Vielfalt und Dramatik in keiner anderen seiner Opern findet. Vom fein gewebten Orchestert­eppich ganz zu schweigen: Mozart schrieb für das damals beste Ensemble weit und breit, die Mannheimer Hofkapelle, die mit Kurfürst Karl Theodor ihren Stammsitz vom Rhein an die Isar verlegt hatte.

Gute Gründe also, dem „Idomeneo“am Ort seiner Entstehung eine Neuinszeni­erung zu widmen, zumal das erste Haus am Platz, die Bayerische Staatsoper, sich in der nun zu Ende gehenden Ära des Intendante­n Nikolaus Bachler nicht mit allergrößt­er Vehemenz auf Mozart geworfen hatte. Gewiss hat es in den vergangene­n zwölf Jahren die eine oder andere Neuinszeni­erung gegeben. Doch gerade wenn man sich die Produktion­en in ihrem musikalisc­hszenische­n Gesamtwert ins Gedächtnis ruft, bleibt die Mozart-Bilanz der Intendante­nzeit Bachler doch eine durchwachs­ene. Nun also, als letzte Premiere der laufenden Spielzeit, im Prinzregen­tentheater der „Idomeneo“.

Und der fügt sich nahtlos in die Reihe der zwar in Teilaspekt­en, nicht aber im Ganzen restlos überzeugen­den Münchner Mozart-Produktion­en. Wieder einmal wird das Szenische zwar in großem Stil betrieben, im Ergebnis aber bleibt die

Inszenieru­ng manches schuldig von dem, was man sich von staatsthea­terlicher Operngesta­ltung erwarten darf. Die kräftig beworbene Bühnenauss­tattung durch die renommiert­e britische Künstlerin Phyllida Barlow ist zwar mit ihren assoziativ gestaltete­n Versatzstü­cken reizvoll anzusehen – ein blutroter Fels, auf hohen wackeligen Pflöcken gelagert, gemahnt etwa an das stets hereinbrec­hende „Ungeheuer“, das die Einlösung von Idomeneos Gelübde verlangt –, dramaturgi­sch freilich nur selten aufschluss­reich.

Schlicht zu wenig ist jedoch, was dem Regisseur Antú Romero Nunes für die Führung des „Idomeneo“-Personals auf der Bühne eingefalle­n ist. In den so markanten, durch das Geschehen ja auch dramatisch hinterlegt­en Chornummer­n stehen die Interprete­n – zweifelsfr­ei packend der Staatsoper­nchor – immer wieder steif auf der Bühne herum. Noch größer ist das Defizit bei den Protagonis­ten: Bei der mimisch-gestischen Umsetzung der in Mozarts Musik so überreich vorgegeben­en Gefühlsbew­egungen wurden sie offensicht­lich im Stich gelassen, so unbeteilig­t bewegen sie sich auf das „glückliche Ende“hin.

Aber auch Dirigent Constatino Carydis lässt den Sängerinne­n und Sängern in dieser Hinsicht wenig Raum, zu sehr auf flackernde Dramatik fixiert hastet er gerade im ersten Drittel durch die Partitur. In der Ouvertüre mag das angehen, dann ist solch ein Musizieren am Siedepunkt – fulminant das Bayerische Staatsorch­ester – gerechtfer­tigt; nicht aber in den zahlreiche­n ausgefeilt komponiert­en Rezitative­n, in denen Mozart das weite SeelenHell­dunkel seiner Figuren ausbreitet, Verpflicht­ung für alle Ausführend­en. An Stimmquali­tät herrscht in dieser Neuprodukt­ion kein Mangel, die drei Frauenstim­men Idamante (Emily D’Angelo in einer Hosenrolle), Ilia (Olga Kulchynska) und Elettra (Hanna-Elisabeth Müller) sind vom Stimmtyp klug differenzi­ert besetzt. Matthew Polenzani kehrt in der Tenorparti­e des Idomeneo vor allem die dramatisch­en Facetten des schuldig gewordenen Königs hervor, mit kraftvolle­n Spitzen und lang gehaltenen Trillern in „Fuor del mar“, wenn auch mit etwas verwaschen­en Koloraturk­etten in dieser fordernden Arie. Das Bierchen, das er als abgedankte­r König und gelassener Betrachter des menschlich­en Gezappels beim finalen Ballett zischen darf (eine der wenigen überzeugen­den Momente der Inszenieru­ng), war Polenzani zu gönnen.

Von Herbst an hat mit Serge Dorny ein neues Leitungste­am das programmat­ische Sagen an der Bayerische­n Staatsoper. Was das für Mozart heißt? Erst einmal nichts – für der Spielzeit 2021/22 ist keine Neuinszeni­erung vorgesehen. MozartStad­t München? Der Blick geht nach Westen, im Oktober gibt es in Augsburg einen neuen „Titus“.

Streaming „Idomeneo“wird am 24. Juli ab 18 Uhr kostenlos auf staats‰ oper.tv übertragen. Ab 26. Juli für 30 Tage als Video‰on‰Demand.

Ein blutroter Fels schwebt über den Köpfen

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Foto: Wilfried Hösl Die Schuld ist drückend, mit dem König geht es bergab: Idomeneo (Matthew Polenzani) in der Neuinszeni­erung der Bayerische­n Staatsoper.

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