Mittelschwaebische Nachrichten
„So stelle ich mir ein Kriegsgebiet vor“
Von Burgau aus haben sich am Dienstag 13 Mitarbeitende der LEW Verteilnetz GmbH ins Flutgebiet im Westen Deutschlands aufgemacht. Was die Freiwilligen dort erleben und wie sie die Stromversorgung wieder aufbauen
Region Stefan Höfer wusste, dass hier seit über einer Woche die Welt nicht mehr in Ordnung ist. Aber als er am Dienstag oben auf der Bundesstraße 267 unterwegs war, da schien es zumindest so. Das änderte sich Minuten später. Dann mussten er und seine Kollegen im Kleintransporter anhalten, nachdem sie abgebogen waren und hinunter in das eng eingeschnittene Ahrtal fuhren. Eine Polizeisperre war auf dem Weg zum Ziel aufgebaut. Ohne guten Grund ging es nicht weiter. Stefan Höfer aus Königsbrunn (Landkreis Augsburg) hatte diesen guten Grund. Er, elf weitere Helfer und eine Helferin waren gekommen, um nach der Flutkatastrophe die Menschen zu unterstützen.
Das Ziel aller Mitarbeitenden der LEW Verteilnetz GmbH (LVN) ist es, dass in den Wohnungen und Häusern, die durch die Jahrhundertflut in Mitleidenschaft gezogen worden sind, wieder Strom fließen kann; elektrischer Strom.
Licht im Wohnzimmer, ein aufgeladenes Smartphone, der funktionierende Flachbildschirm-Fernseher, die Waschmaschine, die läuft: Das alles ist selbstverständlich. In den Flutgebieten ist diese Normalität innerhalb von Sekunden weggespült worden – als nach Dauerstarkregen friedliche Flüsse und kleine Bäche zu WasserMonstern wurden, die Tod und Verwüstung mit sich brachten. Höfer kann das nur bestätigen: TV-Bilder könnten bei Weitem nicht das erfassen, was die Helfer vor Ort zu Gesicht bekamen. „So stelle ich mir ein Kriegsgebiet vor“, sagt er.
Ungefähr ein Drittel der Häuser in seinem Einsatzgebiet sei akut einsturzgefährdet gewesen, ein weiteres Drittel sei nicht mehr da. Lediglich die Bodenplatten kündeten davon, dass hier einmal etwas gestanden haben muss. Um das letzte Drittel kümmern sich die LVN-Beschäftigten seit ihrer Anreise am Dienstag und noch bis zum Wochenende, ehe sie dann wieder abreisen. Sein Kollege Stefan Leutgäb aus Thierhaupten (Landkreis Augsburg) arbeitet weiter nördlich, im nordrhein-westfälischen Erftstadt und der Umgebung. Er geht mit Beschäftigten anderer Schwestergesellschaften innerhalb des EonKonzerns die Stromkreise der einzelnen Häuser ab und schaut, was zu tun ist. Im Fokus stehen die Hausanschlusskästen. Viele von ihnen standen durch die Flut unter Wasser. Die müssen gecheckt und in der Regel gespült und getrocknet werden. Wenn ein Hauseigentümer nicht auffindbar ist, dürfe man für diese Arbeit dennoch ins Haus. Das gestatte das zuständige Ordnungsamt.
Oder aber das Haus wird von der Stromversorgung abgeklemmt. Der Grund bis zum Stromkabel wird aufgebaggert, das Kabel selbst abgezwickt. Nur so sei gewährleistet, dass in den Häusern, die an einem Stromkreis hingen, es dann auch wieder funktioniere und nicht ein möglicher Kurzschluss weiterhin alles lahm lege.
Leutgäb ist voller Lob für die Bewohner, von denen viele das verloren haben, was sie über Jahrzehnte hinweg aufgebaut hatten. „Die Leute untereinander sind sehr gut organisiert und sehr freundlich. An jeder Ecke wollen sie einem Kaffee oder etwas anderes zu trinken anbieten oder etwas zu essen. Das sind Leute, die selbst nichts mehr haben. So etwas überwältigt mich“, sagt Leutgäb. Auch Höfer hat dies so erlebt. „Keiner ist in irgendeiner Weise genervt oder fragt, warum wir erst jetzt kommen. Die Menschen sind einfach nur dankbar. So sehr, da fehlen einem die Worte.“
Zwischen 7.30 und 8 Uhr beginnen die ungewöhnlichen Arbeitstage in dieser Woche. Die LVN-Mitarbeitenden werden an Adressen beordert, wo auch die Männer und Frauen von Westnetz arbeiten. Haus um Haus, Straße um Straße, Dorf um Dorf, Stadt um Stadt soll es vorangehen. Abends um 18 oder 19 Uhr ist normalerweise Schluss. Aber wenn kurz vorher ein Anruf mit der Bitte um Hilfe eintrifft, dann geht es eben noch weiter. Wieder Strom zu haben, bedeutet für die Betroffenen ein Stück Sicherheit. Denn dann können wenigstens die Pumpen wieder angeworfen werden, die beim nächsten Regen vielleicht eingesetzt werden müssen, um weitere Schäden zu verhindern.
Nach getaner Arbeit setzen sich die Spezialisten und Spezialistinnen des Stromanbieter-Konzerns in ihren Hotels und Pensionen zusammen. Sie kennen sich meistens nicht, weil Mitarbeitende vieler Gesellschaften effiziente Teams in den Notstandsgebieten bilden. In diesen Zeiten ist man untereinander aber sehr schnell vertraut.
„Jeder erzählt, was er erlebt hat und ist mit seinen Gedanken dann auch nicht so allein. Es ist unglaublich, was diese Menschen verloren haben. Das lässt keinen kalt“, sagt Höfer. Das Oder-Hochwasser im Jahr 2013 sei schon schlimm gewesen. „Aber das hier ist ein anderes Kaliber“, urteilt er.
Kollege Leutgäb pflichtet im Gespräch mit unserer Redaktion bei. Beide wissen, wovon sie sprechen, schließlich waren sie vor acht Jahren im Osten der Republik im Einsatz. Die Beschäftigten der Lechwerke (LEW), die für das Verteilnetz zuständig sind, hatten sich nach einem Aufruf am Montag freiwillig gemeldet, um ihren kleinen Anteil zum Wiederaufbau beizutragen. „Jemanden für diese Aufgabe zu akquirieren, das war keine große Schwierigkeit“, sagt der Burgauer Michael Mengele, der den LVN-Einsatz koordiniert. „Es mussten sogar noch einige auf später vertröstet werden, die ebenfalls bereit waren, sofort aufzubrechen“, erzählt er.
Die LVN-Betriebsstelle Burgau, an der sich die Freiwilligen am Dienstag zur Abfahrt versammelt hatten, lag günstig, um in den Westen aufzubrechen. In Burgau gab’s ein erstes Kennenlernen, die Ausrüstung wurde überprüft und gegebenenfalls ergänzt. Danach ging es los. Mengele und LVN-Geschäftsführer Josef Wagner, der in Neuburg an der Kammel wohnt, verabschiedeten den ersten Hilfstrupp. Er wird nicht der letzte sein. Die nächsten zwei, drei Wochen sind bereits vorgeplant. Mengele stellt sich auf eine längerfristige Aufgabe ein.
In den kommenden Schichten werden es vermutlich zwischen sechs und acht LVN-Beschäftigte sein, die – wo nötig – Trafostationen und Hausanschlusskästen instand setzen und reinigen. Weniger Hilfskräfte, die aber insgesamt für einen längeren Zeitraum zur Verfügung stehen, das sei der Wunsch gewesen.
Die Bilder und Geschichten werden bei den Beteiligten vermutlich noch einige Zeit nachwirken. Höfer berichtet von Einwohnern, die sich aufs Dach retten mussten, weil das Wasser der Ahr bis in den zweiten Stock empor gedrungen war.
Und das nachts – um einen herum Wasser, das ständig in Bewegung war. Das gurgelnde Geräusch stand für Todesgefahr. Das berührt ebenso wie die gewaltige Maschinerie, die in Gang gesetzt worden sei. Die LVN-Kräfte sehen in ihren Einsatzgebieten kolonnenweise Fahrzeuge des Technischen Hilfswerks und der Feuerwehr.
Auch jeder der 13 Mitarbeitenden wird bis Sonntag, bis die Ablösung kommt, etliche Stunden damit verbracht haben, die arg gebeutelten Menschen wieder mit Strom zu versorgen und ihnen eine Perspektive zu geben. Stefan Höfer fasst das so zusammen: „Es macht einen stolz, weil man diesen Leuten helfen kann.“
An zwei Orten, die mit am schlimmsten von der Jahrhundertflut betroffen sind, engagieren sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der LVN. Grafik: J. Pöllmann