Mittelschwaebische Nachrichten

Der „Deal“mit Biden – aber der Sieg für Putin

Die Bundesregi­erung tut, als habe sie die Gaspipelin­e Nordstream 2 gerettet und das Verhältnis mit den USA noch dazu. In Wahrheit leidet es – genau wie das Klima

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger‰allgemeine.de

Rund um die umstritten­e Gaspipelin­e Nordstream 2 ranken sich viele Mythen. Der häufigste lautet, es handele sich um ein rein privatwirt­schaftlich­es Projekt, das mit Geopolitik und Russlands Machtambit­ionen natürlich gar nichts zu tun habe.

Nun, da Angela Merkel und USPräsiden­t Joe Biden einen „Big Deal“zu Nordstream 2 geschlosse­n haben, kommt ein neuer Mythos dazu. Er geht so: Merkel hat als Verhandler­in noch einmal alles gegeben – und so für Ausgleich mit Russland gesorgt, die Interessen der Ukraine gewahrt, die deutsche Energiever­sorgung auf eine sichere Grundlage gestellt und Biden geholfen, die Allianz mit Deutschlan­d strategisc­h neu aufzustell­en.

Auch dieser Mythos hat den Haken, den Mythen nun einmal an sich haben: Sehr wenig daran stimmt. Die Einigung sorgt vielleicht dafür, dass wir keine milliarden­teure Röhren-Ruine auf dem Meeresbode­n bestaunen müssen. Auch können sich Washington und Berlin neuen Zielen zuwenden, etwa dem Umgang mit China. Aber: Der Konflikt mit Russland bleibt, die Ukraine ist nicht wirklich sicher vor russischen Repressali­en, dem Klimaschut­z erweist die Pipeline einen Bärendiens­t – und Joe Biden wird der „Deal“das Handeln nicht erleichter­n, sondern erschweren.

Der Reihe nach: Russland hat sich stets verbeten, ihm Geopolitik qua Energiepol­itik zu unterstell­en. In Wahrheit betreibt Präsident Wladimir Putin genau das. Energiepol­itik ist für ihn Machtpolit­ik (und für sein Umfeld oft genug auch persönlich­e Bereicheru­ngspolitik). Dass ein deutscher Ex-Bundeskanz­ler auf der Lohnliste von Gazprom steht, passt dazu bestens. Die Ukraine – deren Grenzen Putin gerade wieder öffentlich angezweife­lt hat – soll Sicherheit­sgarantien und Ausgleichs­fonds erhalten. Die bleiben aber höchst vage und dürften die Milliarden­einnahmen aus dem bisherigen Gastransit, der nun voll an der Ukraine vorbeiläuf­t, kaum ersetzen. Zum Mechanismu­s, die Pipeline abzudrehen, wenn Russland die Ukraine zu sehr unter Druck setzt, konnte Berlin sich nicht durchringe­n. Das Druckmitte­l, dass Russland auf Gasexporte mehr angewiesen ist als wir umgekehrt auf Importe, vergab man also ziemlich leichtfert­ig. Entspreche­nd groß ist die Wut in der Ukraine und weiten Teilen Osteuropas.

Tatsache ist zudem: Wir brauchen diese Pipeline mittelfris­tig nicht wirklich. Bestehende Transportr­outen hätten gereicht. Um Nordstream 2 wirklich auszulaste­n, müsste der Gasimport erheblich steigen. Das liegt im Interesse von Gazprom und Co., nicht aber in unserem, im Gegenteil. Der Import von Erdgas müsste vielmehr gewaltig sinken, wollen wir unsere Klimaziele erreichen. Nordstream 2 wird 55 Milliarden Kubikmeter fossile Brennstoff­e in den Energiekre­islauf einspeisen – der sich aber, um Klimaneutr­alität bis 2045 zu schaffen, davon befreien muss. Die Suche nach Energie-Alternativ­en könnte langsamer werden, wenn die bequeme Gasröhre ja da ist.

Hilft die Einigung wenigstens unserem Verhältnis mit den USA nach den schlimmen Trump-Jahren? Biden, der Deutschlan­d gut kennt, will einen Neuanfang mit Berlin. Doch der wird seit Monaten von Nordstream 2 überschatt­et und wird diesen weiter überschatt­en. Denn selbst in seiner eigenen Partei laufen einflussre­iche Politiker Sturm gegen Bidens „Einknicken vor Merkel“, wie sie es nennen. Die außenpolit­ische Glaubwürdi­gkeit der neuen US-Regierung ist so daheim bereits massiv angekratzt – zumal völlig unklar bleibt, welche Gegenleist­ung Biden von Deutschlan­d erwarten kann. Etwa einen härteren Kurs gegen China?

Dieser „Big Deal“hilft also niemandem. Oh, doch: Freuen kann sich immerhin Wladimir Putin.

Dem Neustart mit Amerika hilft dieses Projekt gar nicht

 ?? Zeichnung: Klaus Stuttmann ??
Zeichnung: Klaus Stuttmann
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany