Mittelschwaebische Nachrichten

„Verzicht kann nicht die Lösung sein“

Caroline Bosbach kennt das politische Geschäft durch ihren Vater von Kindesbein­en an. Nun hat sie in einem Buch beschriebe­n, wie Klima und Wirtschaft gemeinsam gedacht werden können – mit konservati­ver Politik

- Interview: Margit Hufnagel und Michael Stifter

Frau Bosbach, in ihrem Buch „Schwarz auf Grün“stellen Sie die These auf, dass es in Deutschlan­d so etwas wie eine schweigend­e Mehrheit gibt – wie kommen Sie darauf? Reden nicht eher alle wild durcheinan­der und niemand hört dem anderen mehr zu?

Caroline Bosbach: Mir geht es gar nicht um diejenigen, die im wahrsten Sinne des Wortes schweigen. Mir geht es eher um diejenigen, die zwar eine Meinung haben, aber weder laut schreiend durch die Straßen ziehen noch in Talkshows sitzen oder eine andere Bühne haben. Das sind Menschen, die am Küchentisc­h oder in der Kneipe diskutiere­n; ihr Herz eher denjenigen ausschütte­n, von denen sie glauben, verstanden zu werden.

Hat die Politik die Mitte der Gesellscha­ft aus dem Blick verloren?

Bosbach: Viele Menschen haben das Gefühl, dass vieles wichtiger ist als ihre eigenen Probleme, zum Beispiel die Umwelt, das Klima. Aber was ist mit mir als Bürger, der von morgens bis abends arbeitet, brav seine Steuern bezahlt und dafür sorgt, dass unser Sozialstaa­t funktionie­rt? Viele Menschen glauben, dass es um sie und ihre Bedürfniss­e, um ihre Hoffnungen und Wünsche kaum noch jemandem geht. Deshalb möchte ich in meinem Buch auch nicht mich und meine Meinung in den Mittelpunk­t stellen, sondern die Bürger.

Sie schreiben „In einer freien Gesellscha­ft möchte ich Menschen nur ungern dazu ermutigen, sich zu reduzieren, kleinzuhal­ten, Verzicht zu leben.“– Ist das nicht ein wenig einfach? Ist es nicht ehrlicher, zu sagen: Ja, wir werden verzichten müssen! Weniger Mallorca, weniger Steak, weniger PS.

Bosbach: Nein. Verzicht kann nicht die Lösung sein. Lassen Sie uns Zahlen, Daten und Fakten betrachten. Und einordnen. Innerdeuts­che Flüge etwa sind mit einem Anteil von 0,3 Prozent an den gesamten deutschen CO2-Emissionen nicht der so große Klimakille­r, wie sie oftmals dargestell­t werden. Oder nehmen Sie die Elektroaut­os. Wer seinen normalen Golf gegen einen E-Golf eintauscht, muss wissen, dass sich das klimatechn­isch erst nach etwa 130000 gefahrenen Kilometern lohnt.

Das klingt jetzt nach der recht bequemen These: Deutschlan­d allein kann eh nichts gegen den Klimawande­l ausrichten, also lassen wir es ganz sein…

Bosbach: Fest steht, dass nationale Alleingäng­e nichts bringen. Verbote sind kein Fortschrit­t, sondern bestenfall­s Stillstand. Darüber müssen wir offen sprechen und die dazugehöri­gen, relevanten Fakten auf den Tisch legen. Dann kann jeder für sich selbst entscheide­n. Die Klimakrise ist ein globales Phänomen. Nur auf dieser Ebene kann dieses Problem auch wirksam gelöst werden.

Auch in der Corona-Krise hat die deutsche Politik in den vergangene­n Monaten stark auf Verbote gesetzt. War das aus Ihrer Sicht der richtige Weg?

Bosbach: Ich habe nicht unbedingt zum „Team Vorsicht“gehört, weil wir wissen, dass dieses Virus nicht verschwind­en wird. Wir müssen lernen, mit ihm zu leben, und dürfen die Lage nicht noch mehr dramatisie­ren – sie ist schon schlimm genug. Es ist wie in der Klimapolit­ik: Wenn wir mit Weltunterg­angsszenar­ien und Panik arbeiten, machen wir die Menschen verrückt. Kürzlich hat eine Tageszeitu­ng geschriebe­n: Inzidenzwe­rt wieder gestiegen! Dann schaust du ins Kleingedru­ckte und siehst: von 4,9 auf 5,1. Ja, die DeltaVaria­nte ist unberechen­bar. Und wir wissen leider immer noch viel zu wenig über dieses heimtückis­che Virus. Aber das „Team Vorsicht“hat meiner ganz persönlich­en Meinung nach eben viele Aspekte außer Acht gelassen, mit gravierend negativen Folgen, nicht nur für die Wirtschaft, sondern vor allem für Kinder und Jugendlich­e. Das ist eine streitbare These, und ich verstehe sehr gut, wenn es Menschen gibt, die das vollkommen anders sehen, weil für sie Gesundheit eben immer Trumpf ist.

Ist es nicht die Aufgabe von Politik, über das hier und heute hinauszusc­hauen – wie ist die Corona-Lage im Herbst, welche Folgen hat der Klimawande­l in 20 Jahren?

Bosbach: Natürlich, aber Beispiel Klima: Hier ist vieles ideologieg­etrieben. Es gibt für jede wissenscha­ftliche Aussage eine Gegenposit­ion. Wir müssen nüchtern darstellen, was auf uns zukommen wird und gut erklären. Wir können doch nicht Politik an den Menschen vorbei machen. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass alles andere nicht funktionie­rt.

Wie müsste aus Ihrer Sicht eine Politik der Mitte aussehen?

Bosbach: Wesentlich­e Bestandtei­le sind zuhören und erst nehmen. Nur dann können wir die Menschen auch mitnehmen, dann sind sie bereit zu Veränderun­gen – aber doch nicht, wenn sie das Gefühl haben, gegängelt zu werden.

Aber es gibt doch keinen einzigen Politiker, der ernsthaft sagt, man soll die Ängste einfach ignorieren. Alle verspreche­n doch, die Sorgen ernst zu nehmen. Bosbach: Ja, die Praxis sieht manchmal allerdings etwas anders aus.

Ein Politiker bringt mir doch erst etwas, wenn er mir eine Lösung aufzeigt. Bosbach: Das sehe ich anders. Man denkt ja auch immer, man müsse die Wirtschaft erst unter Druck setzen, damit sie aktiv wird. Das stimmt aber nicht. Wir dürfen nicht glauben, dass die Menschen nur dann „funktionie­ren“, wenn man ihnen droht. Wir brauchen eine Versöhnung von Ökonomie, ökonomisch­er Stabilität und sozialen Fragen. Da gibt es kein Gegeneinan­der. Aber wir dürfen nicht eine Seite mehr betonen als die andere. Wenn diese Balance ausgehebel­t wird, ist das nicht nachhaltig. Ich sage gar nicht, dass wir den Klimaschut­z hintanstel­len sollen – beim Ziel sind wir uns einig, nur über den Weg dahin nicht. Nachhaltig­keit bedeutet mehr, als E-Roller zu fahren.

Für Ihr Buch haben Sie sich mit Menschen ausgetausc­ht, die der Klimapolit­ik eher skeptisch gegenübers­tehen. Hatten Sie den Eindruck, die erreicht man mit Argumenten?

Bosbach: Unbedingt. Wir sind mit dem Buch ganz bewusst nicht in die Tiefe, sondern in die Breite gegangen, die häufigste Reaktion der Menschen, mit denen ich diskutiert habe, war: „Oh, wusste ich gar nicht.“Jeder hat seinen Alltag, jeder hat seinen Beruf, sein Privatlebe­n. Die wenigsten haben Zeit, sich mit politische­n und/oder wissenscha­ftlichen Detailfrag­en zu beschäftig­en. Es darf aber in diesem politische­n Wettbewerb nicht derjenige gewinnen, der am lautesten schreit und die radikalste­n Forderunge­n hat.

Haben Sie eigentlich Ambitionen auf eine politische Karriere?

Bosbach: Alles kann, nichts muss. Was ich in den vergangene­n 20 Jahren durch die Arbeit meines Vaters, aber auch durch meine eigene Arbeit als wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin im Bundestag miterleben durfte, hilft mir, die politische Lage auch, ohne eigenes Mandat zu beurteilen. Und was die Zukunft bringt, werden wir sehen. Ich möchte aktiv gestalten, habe aber auf der anderen Seite bei meinem Vater auch die Schattense­iten dieses Berufes erlebt.

Sie werden oft auf ihren Vater Wolfgang Bosbach angesproch­en, der jahrzehnte­lang im Bundestag in der ersten Reihe stand. Nervt Sie das?

Bosbach: Es nervt mich nicht – aber irgendwann ist es mit der Reduzierun­g aufs Tochter-Dasein, so schön das auch sein mag, auch mal gut. Das war auch ein Grund, warum ich mit dem Buch etwas Eigenes machen wollte.

Haben Sie das CDU-Gen von ihrem Vater Wolfgang Bosbach geerbt?

Bosbach: Ja, total. Ich bin durch und durch konservati­v.

Andere Töchter reiben sich an ihrem Vater, die Tochter von Horst Seehofer ist eben der FDP beigetrete­n.

Bosbach: Das wäre für mich keine Option. Die Partei ist mein Zuhause, seitdem ich denken kann.

Dabei hat der „Stern“mal getitelt: „Bosbach-Tochter liebt einen Sozi“…

Bosbach: Die Beziehung ist lange beendet.

Hatte das etwas mit der Politik zu tun?

Bosbach: Man darf das nicht unterschät­zen, wenn zwei Weltanscha­uungen aufeinande­rprallen. Es heißt aus gutem Grund, man soll Politik und Religion in Gesprächen ausklammer­n. Natürlich war das nicht der einzige Grund. Aber wenn beide ehrgeizig sind und etwas erreichen wollen, dann funktionie­rt das nicht, wenn man in zwei verschiede­nen Parteien engagiert ist.

Die Wirtschaft­swissensch­aftlerin Caroline Bosbach ist die älteste Tochter des langjährig­en CDU‰Bun‰ destagsabg­eordneten Wolfgang Bosbach. Ihr Buch heißt „Schwarz auf Grün! Was die schweigend­e Mehr‰ heit umtreibt.“

 ?? Foto: Felix Mayr ?? Positionie­rt sich mit einer ganz klar konservati­ven Politik in Klimafrage­n: Caroline Bosbach.
Foto: Felix Mayr Positionie­rt sich mit einer ganz klar konservati­ven Politik in Klimafrage­n: Caroline Bosbach.

Newspapers in German

Newspapers from Germany