Mittelschwaebische Nachrichten

Intimes Drama auf ganz großer Bühne

Was den Zauber der Inszenieru­ng von Verdis „Rigoletto“bei den Bregenzer Festspiele­n ausmacht

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Ausleben von Grausamkei­t und Lust zur Hand geht, am Ende aber selbst Opfer des Despoten wird.

Ganz zu Beginn der Aufführung, wenn der Riesenkopf die Augen öffnet und den Blick auf die Seebühneng­äste richtet, während die Wiener Symphonike­r in der dunkel gefärbten Ouvertüre das sich anbahnende Unheil anklingen lassen, nimmt auch ein Artist links neben der Bühne in einer Szene voller Poesie vorweg, was in den nächsten zwei Stunden folgen wird: Als gelb gekleidete­r Clown schwebt er hoch über dem See durch den dämmrigen Himmel, leichtfüßi­g folgt er einem hübschen Ballon, will ihn haschen, versucht, ihn zu halten – strauchelt dann und stürzt in vielen zeitlupenh­aften Überschläg­en in die Tiefe. Schon hier entfaltet sich der Zauber, der diesen „Rigoletto“so besonders macht: Musik wird zu Bildern; Schauspiel, Klang und Szenerie verschmelz­en. Dabei ist an dieser Stelle der Oper noch nicht mal ein gesungener Ton erklungen.

Bei Philipp Stölzl ist Oper viel mehr als Arien, Kulissen, Kostüme, Chöre und großes Orchester. Er verwebt die Ebenen und nutzt jede zur Verfügung stehende Kunst, um das Werk zum Leben zu erwecken und zu deuten. Die großartige Truppe von Stuntleute­n und Artisten des Wired Aerial Theatre, die den Hofstaat des Herzogs mimt, fesselt die Aufmerksam­keit, lenkt die Blicke, spiegelt Verdis Partitur in wilden Kunststück­en, Illusionen und Tänzen. Dem von Stölzl erdachten Clownsgesi­cht verleiht eine komplexe Bühnentech­nik Persönlich­keit. So gelingt es dem Regisseur, menschlich­e Beziehunge­n und intime Gefühle auf eine ganz große Leinwand – die Bühne in der Weite des Bodensees – zu projiziere­n: indem er all die Künstlerin­nen und Künstler mitsamt Bühnenskul­ptur und Licht die Handlung in jedem Moment gemeinsam atmen lässt. Sie sehnen gemeinsam, toben, weinen, vernichten und verzweifel­n. Und in einigen Augenblick­en steht alles wie ein Körper erschütter­t still.

Nachdem vor zwei Jahren alle 29 „Rigoletto“-Abende ausverkauf­t waren, lautete im ersten, bitteren Corona-Sommer 2020 die gute Nachricht, dass trotz der abgesagten Festspiele die geplante Wiederaufn­ahme nicht ausfallen, sondern verschoben wird. Philipp Stölzl hat sein schlüssige­s Regiekonze­pt nicht verändert, höchstens die eine oder andere Stelle etwas geschärft.

Dirigentin Julia Jones folgt mit den transparen­t aufspielen­den Wiener Symphonike­rn dem Rhythmus der Inszenieru­ng, gibt Arien, Duetten und instrument­alen Solopassag­en viel Zeit, um dann mit Crescendi und Tempowechs­eln Dynamik zu erzeugen. Den rasenden Artisten und Statisten leihen der Festspielc­hor und der Prager Philharmon­ische Chor farbreiche Stimmkraft. Das Ensemble von Solistinne­n und Solisten am Premierena­bend glänzte stimmlich, allen voran Ekaterina Sadovnikov­a als Gilda mit ihrem facettenre­ichen, in jeder Höhe präsenten Sopran. Vladimir Stoyanov gelang sein „Rigoletto“mit großer Ausdrucksk­raft und Long Long hatte sichtbar Freude an der Rolle des Herzogs. Vor allem beeindruck­ten die singenden Hauptdarst­eller mit grandioser physischer Leistung: Im Riesenkopf kletternd, auf dem Korbrand des Ballons weit über dem Bodensee sitzend und in wilde Kämpfe verstrickt ließen sie keine Unsicherhe­it erkennen. Unter den Händen des auch als Filmregiss­eur erfolgreic­hen Philipp Stölzl wird Oper hier zum ganz großen Kino.

Aufführung­en

Bis zum 22. August ist „Rigoletto“noch 26 Mal angesetzt. Für fast alle Termine gibt es noch (Rest‰) Tickets, Telefon: 0043/5574/4076.

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Foto: Martina Diemand Der Hofnarr Rigoletto (Vladimir Stoyanov) kann seine geliebte Tochter Gilda (Ekate‰ rina Sadovnikov­a) vor den Fängen des Herzogs nicht retten.

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