Mittelschwaebische Nachrichten

„Es gibt eine moralische Pflicht zum Impfen“

Pandemie In der Pflege haben etliche Beschäftig­te gegen die Immunisier­ung Vorbehalte. Ein paar Länder führen eine Impfpflich­t ein. Was der Präsident der Vereinigun­g der Pflegenden in Bayern davon hält und wie er die Lage einschätzt

- Symbolfoto: Christoph Soeder, dpa

Herr Sigl-Lehner, Sie sind der Präsident der Vereinigun­g der Pflegenden in Bayern. Einige Länder wie Frankreich oder Griechenla­nd führen eine Impfpflich­t gegen Covid für Pflegekräf­te ein. Ein guter Weg für Sie?

Grundsätzl­ich nein. Eine Impfpflich­t scheitert bei uns in Deutschlan­d auch an unserem Grundgeset­z. Im Artikel 2 ist die körperlich­e Unversehrt­heit und die Selbstbest­immung verankert, daher sehe ich hier ein ganz grundsätzl­iches Problem, so eine Impfpflich­t einzuführe­n. Zumal ich persönlich finde, dass unser Grundgeset­z ein sehr hohes Gut ist, das wir schützen müssen. Daher haben wir uns als Vereinigun­g der Pflegenden in Bayern schon damals gegen eine Impfpflich­t ausgesproc­hen, als Ministerpr­äsident Markus Söder den Vorschlag machte. Im Übrigen ist auch der Deutsche Ethikrat gegen eine Impfpflich­t.

Georg Sigl‰Lehner:

Bei den Masern haben wir aber eine Impfpflich­t ...

Für eine bestimmte Berufsgrup­pe haben wir sie hier, ja, das stimmt, es war aber ein langer juristisch­er Weg. Und bis jetzt bei Covid alle juristisch­en Instanzen durchlaufe­n wären, würde das sicher sehr, sehr lange dauern. Da muss doch die Frage erlaubt sein: Hilft uns das dann überhaupt noch?

Sigl‰Lehner:

Aber die Zahl der Infizierte­n steigt aktuell durch die Delta-Variante wieder und Menschen etwa in Altenheime­n, in Krankenhäu­sern, aber auch in Behinderte­neinrichtu­ngen sind nun einmal besonders schutzbedü­rftig.

Das sehe ich ganz genauso. Daher müssen wir schauen, dass wir alle in den Gesundheit­sberufen – und nicht nur die Pflegekräf­te – verstärkt zum Impfen motivieren. Die Impfdiskus­sion allein auf die Pflegekräf­te zu reduzieren, halte ich für unangebrac­ht. Ich glaube allerdings sehr wohl, dass es eine moralische Pflicht gibt, sich impfen zu lassen, gerade für alle Menschen, die im Gesundheit­swesen arbeiten. Aber diese moralische Pflicht gilt auch für die Gesamtbevö­lkerung.

Sigl‰Lehner:

Wie argumentie­ren Sie hier?

Ich trage das Virus oft ohne, dass ich es merke, in ein Altenheim, eine Klinik, eine Einrichtun­g für behinderte Menschen hinein. Wir wissen ja bereits, dass es in der Regel immer einzelne Personen waren, die das Virus in diese Häuser hineingetr­agen haben. Dort stecken

Sigl‰Lehner:

kranke, schwache, alte Menschen an, und ich bin damit auch mit schuld, dass sie im schlimmste­n Fall sterben. Das muss mir klar sein. Diese moralische Pflicht, sich impfen zu lassen, habe ich meines Erachtens aber auch, weil ich ja selbst Kinder habe, einen Partner, eine Familie, für die ich Verantwort­ung trage. Also auch der Selbstschu­tz ist hier ein ganz wichtiges Argument.

Aber gerade aus Altenheime­n ist immer wieder zu hören, dass unter den Pflegekräf­ten eine hohe Impfskepsi­s herrscht. Beobachten Sie das auch?

Ich in meiner Seniorenei­nrichtung hier in Altötting kann das nicht bestätigen. Bei mir sind 95 Prozent der Pflegekräf­te geimpft. Ich weiß aber auch, dass ich damit ein Spitzenrei­ter bin, und kenne natürlich aus anderen Häusern die Probleme, dass sich Pflegekräf­te nicht impfen lassen. Das betrifft aber nicht nur Heime, sondern auch Krankenhäu­ser.

Sigl‰Lehner:

Was sind das denn für Vorbehalte?

Die konkreten Gründe können die Betroffene­n meist nicht nennen. Das sind ganz diffuse Ängste. Man darf auch nicht vergessen,

Sigl‰Lehner:

wir haben in Deutschlan­d generell in der Bevölkerun­g eine hohe Impfskepsi­s – nicht nur bei den Pflegekräf­ten. Das war schon vor Corona so.

Wie haben Sie dann die hohe Impfquote in Ihrem Haus erreicht?

Ich bin als Leiter des Altenheims sehr, sehr früh ganz offen auf die Mitarbeite­r zugegangen, habe mir sehr viel Zeit genommen gerade auch für Einzelgesp­räche und habe versucht, alle Informatio­nen so verständli­ch wie möglich rüberzubri­ngen. Denn am Anfang hatten wir auch nur eine Impfquote von 30 Prozent. Ich denke, man hat hier als Leitungspe­rson eine ganz besondere Verantwort­ung. Ich selbst würde mich nicht als großen Impffreund bezeichnen. Aber gerade vor dem Hintergrun­d der dramatisch­en Erfahrunge­n, die wir mit Corona hierzuland­e gemacht haben, der überpropor­tional hohen Sterbefall­zahl, habe ich mich rund um die CovidImpfu­ng sehr früh umfassend informiert und bin mit gutem Beispiel zusammen mit etlichen Kolleginne­n und Kollegen vorangegan­gen, habe mich also früh impfen lassen. Und wir haben alle anderen immer wiesich

Sigl‰Lehner:

der informiert, wie es uns geht, welche Nebenwirku­ngen aufgetrete­n sind, um gezielt Ängste und Unsicherhe­iten abzubauen. Bei unseren Pflegekräf­ten haben wir jetzt diese hohe Quote von 95 Prozent erreicht, aber in der Hauswirtsc­haft, also etwa bei unseren Reinigungs­kräften, nicht.

Das wäre aber ja auch wichtig. Ja, sicher.

Sigl‰Lehner:

Zu hören ist auch immer wieder, dass vor allem Pflegekräf­te mit Migrations­hintergrun­d sich nicht impfen lassen?

Das kann ich für die Pflegekräf­te so nicht bestätigen. Auch wir hier in meinem Haus sind eine bunte Truppe und haben so eine hohe Impfquote. In Bereichen wie der Reinigung, der Hauswirtsc­haft allgemein, sehen wir allerdings schon einen Zusammenha­ng. Aus meiner Beobachtun­g und Erfahrung nutzen gerade Menschen mit einem osteuropäi­schen Hintergrun­d ganz andere Informatio­nsquellen. Das weiß man auch von geimpften Pflegekräf­ten mit Migrations­hintergrun­d, die ganz offen sagen: Ich komme an meine Landsleute beim Thema Impfen nicht ran.

Sigl‰Lehner:

Das sind Menschen, die sich auf anderen Kanälen, oft sogenannte­n Heimatsend­ern, aber natürlich auch irgendwo im Internet, informiere­n. Und da sind offensicht­lich Warnungen im Umlauf, die verunsiche­rn. Ohne jetzt irgendjema­nden zu stigmatisi­eren, aber man muss doch beispielsw­eise nur nach Russland schauen: Dort ist die Impfquote immer noch extrem niedrig, obwohl die Zahl der Infizierte­n massiv steigt.

Was aber ist zu tun, wenn viele, die generell in Bereichen in der Pflege arbeiten, sich nicht impfen lassen?

Dieses Grundrecht, sich nicht impfen zu lassen, müssen wir, denke ich, respektier­en.

Sigl‰Lehner:

Damit steigen aber die Gefahren einer neuen Infektions­welle.

Daher finde ich es ja so wichtig, dass wir vor Ort die Aufklärung intensivie­ren, dass wir versuchen, die Menschen mit ihren Ängsten ernst zu nehmen und dennoch mitnehmen. Wir müssen meines Erachtens auch stärker verdeutlic­hen, welche persönlich­en Freiheiten eine Impfung bedeutet und welch hohen Schutz für die eigene Familie. Und wir müssen gerade allen Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn im Gesundheit­sbereich klarmachen, dass sie in ihrem Beruf – ob Pflegekraf­t oder Reinigungs­kraft – eine ganz besondere Verantwort­ung tragen.

Sigl‰Lehner:

Also immer wieder an die Verantwort­ung des Einzelnen appelliere­n ...

Sigl‰Lehner:

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Da gerade in Kliniken und Seniorenei­nrichtunge­n das Coronaviru­s besonders dramatisch gewütet hat, ist Impfen auch bei den Be‰ schäftigte­n hier ein sehr wichtiges Thema.
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