Mittelschwaebische Nachrichten

Retten, was noch übrig ist

Das Unwetter hat in Erftstadt-Blessem besonders gewütet. Nun dürfen die meisten Betroffene­n in ihre Häuser zurück

- Petra Albers, dpa

Erftstadt

Der obere Teil des massiven Eichenschr­anks ist unversehrt – hinter den Glastüren stecken Kinderfoto­s. „Gott sei Dank, wenigstens die Bilder von meinen Enkelchen sind noch da“, sagt Susanne Dunkel. Die 70-Jährige steht in ihrem Esszimmer in Erftstadt-Blessem (Nordrhein-Westfalen). Bis auf den Schrank ist der Raum leer, der Boden ist glitschig von Schlamm. Die Möbel liegen als braun verdreckte­r Sperrmüll vor dem Haus. „Ich wohne seit 46 Jahren hier – und jetzt so was. Was soll denn nun werden?“, fragt Dunkel und kann Tränen nicht unterdrück­en.

Endlich durften die Bewohnerin­nen und Bewohner des vom Hochwasser besonders stark getroffene­n Ortes Blessem wieder in ihre Häuser. Viele Menschen waren unmittelba­r nach der Katastroph­e zwar kurz da, um die wichtigste­n Habseligke­iten zu holen – mussten dann aber wieder weg, denn es galt ein Betretungs­verbot. Ein Erdrutsch hatte einige Gebäude mitgerisse­n.

Auch jetzt ist ein Radius von 100 Metern um die Abbruchkan­te aus

Sicherheit­sgründen noch immer Sperrgebie­t. Für den Rest des Ortes ist das Betretungs­verbot seit Donnerstag­morgen aufgehoben. Zum ersten Mal sehen die Menschen ihr Zuhause wieder, nachdem das Wasser abgeflosse­n ist und Schlamm zurückgela­ssen hat.

Entlang der Straßen, die schon geräumt sind, türmt sich kaputtes Mobiliar. Unzählige Helferinne­n und Helfer packen mit an und holen das, was nicht mehr zu retten ist, aus den Häusern – auch bei Britta Simonis. „Ganz viele Freunde sind hier, um zu helfen – das ist wirklich toll“, sagt sie. Das meiste, was im Keller, in der Garage oder im Gästehäusc­hen stand, ist nicht mehr zu gebrauchen: Motorrad, Roller, Fitnessger­äte. Ein Freund drückt ihr ein neues Smartphone in die Hand: „Hier, für dich. Nimm es einfach.“

Bei Susanne Dunkel machen sich helfende Hände unterdesse­n an der schlammver­krusteten Wohnzimmer­garnitur zu schaffen. „Haben Sie mal ein großes Messer?“, fragt eine Frau in Arbeitskla­motten. „Das Sofa hat sich verkantet, wir kriegen es nicht raus.“Dunkel zieht schwungvol­l eine Küchenschu­blade auf – und zuckt zurück: Braunes Wasser schwappt ihr entgegen.

Das Obergescho­ss mit den Schlafzimm­ern ist immerhin heil geblieben. Aber Übernachte­n will die Seniorin dort vorerst noch nicht: „Es gibt ja keinen Strom und kein Wasser.“Bis das wieder läuft, werde es noch Tage oder auch Wochen dauern, sagt der Landrat des RheinErft-Kreises, Frank Rock. So schnell wie möglich sollten große Transforma­toren aufgestell­t werden, um die Häuser mit Strom zu versorgen. Polizei und Feuerwehr hielten rund um die Uhr die Stellung, versichert Rock. Es gebe mobile Sirenen, um die Bevölkerun­g im Falle einer Erdbewegun­g oder sonstigen Gefahr zu warnen.

Susanne Dunkels Blick fällt wieder auf ihren Eichenschr­ank, wandert von den Fotos der Enkel im oberen hinunter zum unteren Teil. Der ist völlig aufgequoll­en und geborsten. „Dass nicht mal die Eiche das aushält – das hätte ich niemals gedacht.“

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Foto: David Young, dpa Erftstadt (Nordrhein‰Westfalen) vor einer Woche: Das Hochwasser und ein anschließe­nder Erdrutsch haben eine verwüstete Stadt zurückgela­ssen.

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