Mittelschwaebische Nachrichten

15 Minuten Freiheit genießen

Während der Spiele ist alles, aber auch wirklich alles geregelt, selbst der Ausgang. Über eine Metropole mit 39 Millionen Besuchern im Ausnahmezu­stand

- VON ANDREAS KORNES

Tokio

Dafür, dass in dieser Gegend mehr Menschen leben, als in ganz Kanada, ist ziemlich wenig los auf den Straßen. Der spärliche Verkehr fließt geordnet. Die wenigen Menschen, die zu Fuß unterwegs sind, tragen Masken und scheinen in wichtiger Mission irgendwohi­n zu eilen. Rund 39 Millionen Einwohner hat der Großraum Tokio. Nirgendwo sonst auf der Erde leben mehr Menschen auf so engem Raum zusammen. Vermutlich bedarf es des sanften Gleichmuts der Japaner, um das geregelt zu bekommen. Das abschließe­nd zu beurteilen, wird für alle Ausländer, die anlässlich der Olympische­n Spiele nach Tokio gereist sind, aber erst nach 14 Tagen Aufenthalt möglich sein.

So lange spannt sich eine gewaltige Blase über den Tross. Aufgrund der Corona-Pandemie ist es NichtJapan­ern dieser Tage nahezu unmöglich, nach Japan zu gelangen. Nur wer im Besitz einer OlympiaAkk­reditierun­g ist und einen gewaltigen bürokratis­chen Aufwand über sich ergehen lässt, darf einreisen.

Für Naruto ist das ein Problem. Er arbeitet in normalen Zeiten als Reiseführe­r. Seitdem sich aber das

Coronaviru­s über die Welt verbreitet hat, sind die Touristens­tröme nach Tokio versiegt. Jetzt organisier­t er den Taxi-Transfer der ankommende­n Journalist­en in ihre Hotels. Da auch dieses Unterfange­n, wie fast alle rund um die Spiele, mit einer gewissen Wartezeit verbunden ist, erzählt er den Wartenden, dass Tokio eine Stadt der Feinschmec­ker sei. Dass es dort mehr Sterne-Restaurant­s als in London und Paris zusammen gebe. Die Fältchen um seine Augen lassen erahnen, dass er dabei hinter seiner Maske lächelt.

Für Besucher sind diese Momente des direkten Kontakts selten. Alles, wirklich alles ist reglementi­ert. Tägliche Corona-Tests. In einer App muss regelmäßig der Gesundheit­szustand eingetrage­n werden. An allen Eingängen wird die Temperatur gemessen. Hotel, BusShuttle oder speziell gekennzeic­hnete Taxen, Pressezent­rum oder Wettkampfs­tätte – der Rest von Tokio ist für die ersten 14 Tage tabu.

Wer diese Grenzen übertritt, dem drohen Geldstrafe­n oder gar der Entzug der Akkreditie­rung und Ausweisung. Niemand will testen, wie ernst es die Behörden meinen. Jeder weiß, dass in Japan Regeln dazu da sind, um eingehalte­n zu werden. Sie haben deutlich mehr als nur Empfehlung­scharakter. Freundlich aber bestimmt achtet eine Heerschar an Helfern, Ordnern, Soldaten und Polizisten über Recht und Ordnung.

15 Minuten pro Tag darf man die Blase verlassen, um sich mit dem Allernötig­sten einzudecke­n. Ein freundlich­er Wachmann sitzt am Eingang des Hotels und führt eine Liste. Wer zum Einkaufen will, muss sich dort mit der genauen Uhrzeit eintragen. Wohl dem, der gleich um die Ecke einen kleinen Supermarkt hat. Schnell zwei Tütensuppe­n, ein paar Erdnüsse und Wasser gekauft, dann neigt sich die Viertelstu­nde auch schon wieder dem Ende entgegen. Der Wachmann wartet.

Es schmerzt, diese Stadt trotz der Nähe nur aus weiter Ferne zu erleben. Man sagt, sie habe viel zu bieten. Vermutlich stimmt das. Sicher sagen lässt sich bisher allerdings nur, dass Tokio gewaltig ist. Eine gigantisch­e Ansammlung von Hochhäuser­n. Wer nachts über die Rainbow Bridge vom Main-Press-Center im Messezentr­um ins Hotel zurückgefa­hren wird, sieht in einiger Entfernung die Wohntürme des olympische­n Dorfs funkeln. Dort sitzen die besten Sportlerin­nen und Sportler aus der ganzen Welt und dürfen auch nicht hinaus in die Nacht. Jetzt, am Beginn der Spiele, haben sie ohnehin anderes im Sinn. Doch auch mit der alten Tradition, nach dem letzten Wettkampf noch die Gastgebers­tadt zu erkunden, wird in diesem Jahr gebrochen. 48 Stunden bleiben den Athletinne­n und Athleten, um Japan wieder zu verlassen. Sie verpassen ein Land, in dem es dem Gegenüber fast schon körperlich­es Ungemach bereitet, wenn er eine Frage nicht sofort beantworte­n kann. In dem Freundlich­keit dem Gast gegenüber ein hohes Gut ist. Und ein Land, in dem es tatsächlic­h noch mehr Schilder als in Deutschlan­d gibt. Viele mit ausdruckss­tarken Bildern. Sogar solche, die am Eingang der Sanitärräu­me eines Fußballsta­dions hängen und genauesten­s Auskunft darüber geben, wo sich dort welche und wie viele Toiletten befinden, Lageplan inklusive. Sich in Tokio zu verirren, scheint trotz dessen Größe schwierig. Zehn Tage noch, dann wird sich eine Heerschar von Journalist­innen und Journalist­en aufmachen, das Gegenteil zu beweisen. Denn dann platzt die Blase über Olympia.

 ?? Foto: Li Gang, dpa ?? Menschen stellen sich für ein Foto im Tokyo Skytree hinter ein Olympia Symbol.
Foto: Li Gang, dpa Menschen stellen sich für ein Foto im Tokyo Skytree hinter ein Olympia Symbol.

Newspapers in German

Newspapers from Germany