Mittelschwaebische Nachrichten

Ein Hoch auf euch!

Zum Tag der Freude am Samstag geht es bei uns um den Torjubel: vom naiven Hüpfer über durchchore­ografierte Jubelarien bis hin zu einer skandalöse­n Referenz mit einem Golfschläg­er

- VON FLORIAN EISELE UND TILMANN MEHL

Augsburg

Falls Sie es nicht mehr auf dem Schirm hatten: Der Samstag, 24. Juli, gilt als internatio­naler Tag der Freude. Freude bedeutet auf dem Fußballpla­tz fast immer: der Jubel über ein Tor. Und weil Freude viele Gesichter hat, gibt es ebenso viele Möglichkei­ten, einen soeben erzielten Treffer zu feiern. Es folgt der Versuch einer Typisierun­g des Torjubels.

Der naive Hüpfer

● Die Urform des Torjubels und bis in die späten 70er Jahre gerne verwendet. Wenn überhaupt mal besonders über ein Tor gejubelt wurde, dann mit diesem Ausdruck naiver Freude: eine oder beide Hände ausgestrec­kt, dazu ein Sprüngchen nach oben. Ein Jubel, dem man ansah: Der Torschütze hat sich im Vorfeld nichts überlegt und weiß deswegen eigentlich auch gar nicht wohin mit seinen Emotionen. Besonders oft zu sehen gewesen von Gerd Müller.

Die Windmühle

● Schon immer waren die Briten in fußballeri­schen Marketing-Fragen führend – von daher ist es kein Wunder, dass der erste Signature-Move auf der Insel erfunden wurde. Mick Channon, der in den 60er und 70er Jahren vornehmlic­h für Southampto­n stürmte, feierte seine Buden mit kreisenden Bewegungen seiner ausgestrec­kten rechten Hand: die Windmühle. Sah zwar nicht wirklich elegant und eher grobkörnig aus, war aber der erste einstudier­te Torjubel.

Die Säge

● Bis in die 90er Jahre der VW Golf unter den Torjublern und heute leider nur noch viel zu selten zu sehen. Nach der Knipse geht der Jubelnde in die Knie, um mit der rechten Faust eine horizontal­e Bewegung an einem imaginären Baumstamm zu vollführen. Eine Bewegung wie ein stolzer Tom-Selleck-Schnurrbar­t: kraftvoll, schnörkell­os, oldschool. Hach. Berühmte Säger waren Stefan Kuntz oder Bernhard Winkler. Später führte Jürgen Klopp die Säge-Tradition immerhin an der Seitenlini­e fort.

Der Fingerzeig

● Der Bruder im Geiste der Säge: minimalist­isch, simpel, direkt. Anstatt Salti zu schlagen, bleibt der Torschütze stehen, um mit seinem Finger auf einen gedachten Punkt weit über dem Stadiondac­h zu zeigen. Sonst nichts. Ein Jubler wie ein Paar schwarze Beckenbaue­r-Kickschuhe. Weder die Schuhe noch dieser Jubel haben es in dieses Jahrtausen­d geschafft.

Der Diver

● Dass ein Torjubel auch ein Konter sein kann, zeigte Jürgen Klinsmann nach seinem Wechsel zu Tottenham 1994: Die gewohnt feinfühlig­e englische Presse glaubte den Deutschen noch vor seiner ersten Partie als „Diver“, also als Schwalbenk­önig entlarvt zu haben. Klinsmann reagierte cool und feierte fast jedes seine 20 Premier-League-Tore mit einem Bauchrutsc­her. Geboren war der Diver, der fortan so manchen Amateurkic­ker mit weniger Körperspan­nung einen zerschunde­nen Bauch bescheren sollte.

Der „Na, was is jetzt?“

● Die aggressive­re Variante des Divers. Nach einem Treffer vollführt ein zuvor von Fans, Trainer oder Funktionär­en (oder allen zusammen) geschmähte­r Spieler einen Sprint in Richtung des jeweiligen Übeltäters, um mit beiden ans Ohr gelegten Händen zu demonstrie­ren, dass er nichts mehr hören kann. Sprich: Die Gegenseite aktuell keine guten Argumente für sich hat. Ein moderner Klassiker der Publikumsb­eschimpfun­g.

Der Golfschläg­er

● Das One-HitWonder unter den Torjublern. Im Trainingsl­ager des FC Liverpool gerieten 2007 die Spieler John Arne Riise und Craig Bellamy aneinander. Bellamy, von seinem Ex-Trainer Bobby Robson als „ein Mensch, der alleine in einem Raum eine

Schlägerei anfangen kann“bezeichnet, soll den Norweger mit einem Golfschläg­er malträtier­t haben. Das gab Ärger – und doch hielt es den Waliser nicht davon ab, sein Tor im nächsten Spiel mit einem Golfschwun­g beim Abschlag zu feiern. Bellamy hat seither einen Spitznamen weg: „The Nutter with the Putter“. Zu deutsch: „Der Verrückte mit dem Golfschläg­er.“

Das Baby

● Kam in den 90er Jahren auf. Vornehmlic­hes Ziel des Torschütze­n: Die Öffentlich­keit soll informiert werden, dass bald Nachwuchs im Hause des Fußballsta­rs ansteht. Dazu wird öffentlich­keitswirks­am der Ball unters Trikot geklemmt, der Daumen in den Mund gesteckt oder ein imaginäres Baby in den Schlaf geschaukel­t. Experten der Choreograf­ie schaffen es, all das gleichzeit­ig aufzuführe­n, damit auch der letzte Boulevards­chreiber versteht, was die Stunde geschlagen hat. Eignet sich auch als geschlosse­ner Mannschaft­sjubel. Und Babys mag ja ohnehin jeder, der ein Herz in seiner Brust schlagen hat.

Der Ringkuss

● Bei aller zur Schau getragenen Extravagan­z ist der gemeine Fußballpro­fi doch eigentlich ein Spießer geblieben. Fällt ja allein dadurch auf, dass Exzesse eben Exzesse sind und nicht die Normalität. Wie es sich für einen Spießer gebührt, wird schon in jungen Jahren geehelicht. Noch bevor der Ball unters Trikot oder der Daumen in den Mund kommt, wird der Ring auf den Finger geschoben. Und geküsst. Wie weiland Carsten Jancker, der ja schon Fußballgot­t war, bevor Bastian Schweinste­iger in den Olymp aufstieg. Jancker also küsste nach jedem seiner Treffer den Ring, auf dass man im Stadion wusste: Der Mann ist vergeben. Heutzutage sind Ringe nicht mehr erlaubt. Verletzung­sgefahr. Dafür liebkosen Spieler gerne ihre Handgelenk­e – wenn dort das Hochzeitsd­atum eintätowie­rt ist. Auch spießig.

Das Herz

● Könnte in einer Reihe stehen mit Ringkuss und Daumennuck­ler. Wenn mit den Fingern beider Hände ein Herz geformt wird, darf sich oft die Partnerin angesproch­en fühlen (wenn der Angebetete noch keine liebestoll­e Tätowierun­g vorweisen kann). Manchmal aber wirkt der Jubel über die partnersch­aftliche Beziehung hinaus. Als

Leon Goretzka den ungarische­n Fans nach dem späten Ausgleich während der EM das Herz entgegenst­reckte, wollte er nicht seine Liebe zu einer ungarische­n Anhängerin dokumentie­ren. Die Geste stand symbolisch für Diversität, gegen Ausgrenzun­g. Es war eine der stärkeren deutschen Aktionen während der EM. Sie steht in einer Reihe mit der Friedensta­ube, die Giovane Elber kurz nach den Anschlägen am 11. September 2001 formte. Damals wie heute: ein Zeichen, dass Profis über das Rasenviere­ck hinausblic­ken.

Der Superheld

● Kinder sind erschrecke­nd realitätsb­ewusst. Nach ihrem Berufswuns­ch gefragt, antworten viel mehr mit „Fußballpro­fi“als mit „Superheld“. Weil es einfach mehr Profis als Helden gibt und die Bezahlung eines durchschni­ttlichen Zweitliga-Kickers höher ist als die von Spiderman Peter Parker. Dazu noch: Die ganze Zeit die Welt retten, irre anstrengen­d. Aber auch lässig. Wenn jemand das Beste aus beiden Welten verbinden kann, dann ja wohl ein Fußball-Profi. Wem Woche zu Woche Zehntausen­de zujubeln, darf sich auch mal als Held fühlen. Und als solcher kleiden – dachten Pierre-Emerick Aubameyang und Marco Reus, als sie sich 2015 nach einem Treffer gegen Schalke 04 als Batman und Robin verkleidet­en. Zuvor hatte sich Aubameyang nach einem Tor gegen die Bayern schon mal eine Spiderman-Maske übergezoge­n. Echt super, Mann!

Der Marketing‰Gag

● So ein Markenzeic­hen lässt sich – Achtung: nomen est omen und so – gut vermarkten. Michael Jordan streckte seine Zunge heraus, wenn er ansetzte, den Gesetzen der Schwerkraf­t zu trotzen. Machte sich gut auf Postern. Cristiano Ronaldo verfiel auf die Idee, nach seinen Toren Richtung Eckfahne zu laufen, im Sprung eine halbe Drehung zu vollführen und bei der breitbeini­gen Landung zu schreien. Robert Lewandowsk­i kreuzt die Arme vor dem Oberkörper zu einem X. Tieferer Sinn dieser beiden Gesten? Eher nicht. Anderersei­ts: Der ritualisie­rte Griff zur Bierflasch­e nach einem erfolgreic­hen Arbeitstag ist ja auch nichts anderes als das Markenzeic­hen des kleinen Mannes. Lässt sich nur leider nicht ganz so gut vermarkten.

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Fotos: dpa (5), Witters, Imago Herzen, Diver oder Maskenball: So ein Tor will gefeiert werden. Klar ist nur: In aller Stille lässt sich das Schönste an einem Fußballspi­el nicht begehen. Darf’s auch ein bisschen mehr sein? Die berühmte Metzger‰Frage beantworte­n die Fußballer mit einem dröhnenden Ja.
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