Mittelschwaebische Nachrichten
Wechselhafte Aussichten
Beginnen mit der Nullrunde 2021 nun magere Rentenjahre? Ein Blick voraus zeigt: Die Bezüge werden vorerst wieder deutlich steigen. Doch es stehen weitreichende Entscheidungen an, die das Rentensystem nachhaltig verändern dürften
Berlin Für die mehr als 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland ist im Wahlkampfsommer 2021 eines ziemlich sicher: Nach der Nullrunde in diesem Jahr werden ihre Bezüge im kommenden Jahr voraussichtlich wieder spürbar steigen. Doch die rosigen Aussichten sind nicht für alle Grund zur Beruhigung. In den Wahlprogrammen der großen Parteien spiegelt sich der Reformbedarf teils in weitreichenden Vorschlägen wider.
● Aktueller Ausblick 2021 hat Corona die Rentnerinnen und Rentner um eine Erhöhung gebracht. Im Westen gab es gar kein Plus, in Ostdeutschland 0,72 Prozent. Grund war der konjunkturbedingte Einbruch der Beitragseinnahmen bei der Rentenkasse. Doch eine Trendumkehr steht bevor – mit deutlich steigenden Renten im Juli 2022. 4,8 Prozent mehr könnte es in den alten Ländern dann laut Rentenversicherungsbericht geben, 2023 3,15 Prozent – in Ostdeutschland sogar 5,56 und dann 3,88 Prozent.
● Grundrente Es dürfte für Hunderttausende sogar noch etwas mehr werden 2022 – nämlich wenn sie erstmals Grundrente ausbezahlt bekommen, und zwar rückwirkend ab Anfang 2021. Denn damals startete der Aufschlag für langjährige Geringverdiener offiziell. Doch der Aufbau der Datensysteme dauerte so lange, dass erst im Juli die ersten Anspruchsberechtigten Grundrentenbescheide erhielten. Bis Ende 2022 soll es dauern, bis aus den 26 Millionen Rentenkonten die geschätzten 1,3 Millionen Menschen herausgesiebt sind, die Anspruch auf den Zuschlag haben.
● Zukunftsprobleme „Wenn die Jahrgänge, die in den 60er Jahren geboren wurden, in Rente gehen, wird das Verhältnis zwischen Leistungsempfängern und Einzahlern immer ungünstiger“, mahnt Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Steuermittel decken schon heute bereits rund 30 Prozent der Rentenausgaben. Soll der Bund immer mehr zur umlagefinanzierten Rente zuschießen? Oder sollen gar Beiträge steigen oder Leistungen sinken? In der von der Regierung eingesetzten Rentenkommission prallten die Meinungen so unversöhnlich aufeinander, dass einige Kommentatoren von einem Scheitern sprachen.
● Späteres Rentenalter? Für Dulger ist die Sache klar: „Wir kommen nicht um eine Diskussion über ein steigendes Renteneintrittsalter herum.“Nach geltender Rechtslage wird die Altersgrenze für die Rente ohne Abschläge bis 2029 schrittweise von 65 auf 67 Jahre angehoben. Der Wissenschaftliche Beirat beim Wirtschaftsministerium schlägt vor, dass bei steigender Lebenserwartung zusätzliche Jahre aufgeteilt werden in Arbeitsjahre und Rentenbezug. Bei Koppelung an die Lebenserwartung würde das Rentenalter im Jahr 2042 mit 68 Jahren erreicht, so der Beirat. Doch stoßen solche Vorstöße auf vehemente Ablehnung etwa von Gewerkschaften. Über das Renteneintrittsalter müsse auch künftig politisch entschieden werden, längeres Arbeiten wäre eine Rentenkürzung durch die Hintertür.
● Längeres Arbeiten Die Forderung nach späterer Rente ist so unpopulär, dass etwa die Union in ihrem Wahlprogramm nur ankündigt: „Wir wollen den Menschen helfen, das tatsächliche Regelrenten-Eintrittsalter zu erreichen.“Tatsächlich ist schon heute bei vielen nicht mit 67 Schluss. So waren im vergangenen Jahr 1,04 Millionen Beschäftigte 67 Jahre oder älter. Fast 600000 hatten noch im Alter ab 70 einen regelmäßigen Job. Fast 220000 waren sogar mindestens 75 Jahre alt – und 72 000 Beschäftigte mindestens 80 Jahre. Unter den Menschen mit einer Beschäftigung ab 67 sind 800 000 Minijobberinnen und -jobber. Sie müssen sich nicht sozialversichern und die zusätzlichen Einnahmen nicht versteuern. Vor allem Frauen sind oft auf einen Zuverdienst zur Rente angewiesen. Besonders viele Betroffene arbeiten in einem Büro, als Putzkraft oder als Fahrerin oder Fahrer.
● Reformansätze Die Parteien warten mit großen Vorschlägen auf, wie die Altersvorsorge dauerhaft abgesichert werden kann. Ein wichtiger Punkt: zusätzliche Vorsorge neben der gesetzlichen Rente. CDU/CSU schlagen ein Standard-Vorsorgeprodukt für die private Altersvorsorge vor, das alle Beschäftigten automatisch abschließen, außer sie entscheiden sich aktiv dagegen. Auch die SPD will ein freiwilliges Standardangebot – statt der RiesterRentenverträge. Vor allem will die SPD – wie im Grundsatz auch Grüne und Linke – die gesetzliche Rentenversicherung aber zur Altersvorsorge für alle machen. Auch Selbstständige, Beamtinnen und Beamte und Mandatsträger sollen in die Rentenversicherung. Grüne und Linke verfolgten zudem Ideen von Rentengarantien auch für Geringverdiener. Die FDP setzt auf Rente nach dem Baukastenbetrieb: Gesetzliche, betriebliche und private Altersvorsorge sollen flexibler kombinierbar sein. Einen Teil der Beiträge wollen die Liberalen in ein Aktiensparmodell fließen lassen.