Mittelschwaebische Nachrichten

Was wäre das hier nur geworden, wenn...

Laut wummern die Bässe. Auf den Tribünen bricht ein Beifallsst­urm los. So war das 2012 und 2016. Wie kaum eine andere Sportart leidet Beachvolle­yball darunter, dass es ohne Zuschauer auskommen muss

- VON ANDREAS KORNES

Tokio Der DJ dreht die Musik auf, als die Spieler den Sand betreten. Laut wummern die Bässe, oben auf den Tribünen bricht ein Beifallsst­urm los. Es ist eine fasziniere­nde Mischung aus ausgelasse­ner Stimmung und Anspannung. Man möchte gleichzeit­ig Feiern und Tanzen und ein kühles Bier trinken und den Profis unten auf dem Platz zuschauen. So war das 2016 in London. Und 2012 in Rio, als das olympische Beachvolle­yballturni­er an der berühmten Copacabana gespielt wurde. So war es eigentlich immer. Doch jetzt ist alles anders. In Tokio gastieren die Beachvolle­yballer im Shiokaze Park in der Bucht von Tokio. Eine gigantisch­e Stahlrohrk­onstruktio­n erhebt sich rund um den Centre Court, nur überragt von den Flutlichtm­asten und einem Wohnblock.

Über 12000 Zuschauer hätten auf den Rängen Platz gefunden. Ein enger Kessel mit steil aufsteigen­den Tribünen. Aber dann kam Corona.

Ein sanfter Wind streicht vom Meer herüber und verschafft Linderung in der schwülen Hitze der Nacht. Am frühen Abend hat es geregnet. Die Luftfeucht­igkeit ist fast mit Händen zu greifen. Natürlich dröhnt laute Musik in den schwarzen Himmel. Julius Thole und Clemens Wickler stehen unten im Sand. Ihnen gegenüber das US-Duo Jacob Gibb und Tri Bourne. Achtelfina­le. Es geht um viel.

Während der Ballwechse­l schweigt die Musik, bis in die obersten Reihen der leeren Ränge ist zu hören, was sich die Spieler zurufen. Alles unterlegt vom ewigen und allgegenwä­rtigen Gesang der Zikaden. Auf den großen Videowände­n werden Menschen eingeblend­et, die zuhause vor ihren Rechnern sitzen und in die Kameras winken. Das wirkt an diesem Abend gleichzeit­ig komisch und traurig. Was wäre das hier nur geworden, wenn …?

„Es ist so bitter, dass die Zuschauer nicht dabei sein können und alles miterleben dürfen. Da kriege ich schon wieder Gänsehaut“, sagte die Olympiasie­gerin Laura Ludwig in Tokio. „Rio ist immer in meinem Kopf und wird immer in meinem Herzen bleiben, weil es ein Riesenerle­bnis war und mich immer noch pusht.“Wie kaum eine andere Sportart leidet Beachvolle­yball darunter, dass es in Tokio ohne Zuschauer auskommen muss.

Die größte Party war immer dort, wo die Sportler durch den Sand hechten. Diese goldene Regel galt seit 1992, als Beachvolle­yball in Barcelona erstmals bei Olympia als Demonstrat­ionssporta­rt zu sehen war. Medaillen werden seit 1996 vergeben. Anfangs hatten es Puristen eher kritisch gesehen, dass dieser lärmende Zirkus nun olympisch sein sollte. In Deutschlan­d hatten sich anfangs nur wenige für die Volleyball­variante interessie­rt. Das änderte sich schlagarti­g, als sich Julius Brink und Jonas Reckermann 2012 in London daran machten, durch das olympische Turnier zu marschiere­n. Mit jedem Sieg stieg das öffentlich­e Interesse hierzuland­e.

Als das deutsche Duo im Finale gegen die Brasiliane­r Emanuel Rego und Alison Cerutti spielte, saßen Millionen Menschen mitten in der

Nacht vor dem Fernseher und sorgten für die Top-Einschaltq­uote der gesamten Spiele. Brink und Reckermann holten Gold. Vier Jahre später taten es ihnen Ludwig und Kira Walkenhors­t in Rio nach. Und diesmal saßen noch einmal 500.000 Zuschauer mehr vor den Geräten und fieberten mit.

Es ist diese Mischung aus Athletik und Gefühl, aus Strategie und Intuition, die Beachvolle­yball so spektakulä­r und fesselnd macht. Jeder, der schon einmal am Strand joggen war, weiß, wie anstrengen­d das auf Sand ist. Beachvolle­yball ist aber auch der Sport, in dem es lange eine Vorschrift dafür gab, wie breit der Rand der Bikinihose­n der Frauen sein darf. „Vor ein paar Jahren wurde ich von einem Offizielle­n gebeten, meine lange Hose, in der ich wegen Muskelbesc­hwerden spielen wollte, auszuziehe­n. Es sei ein TV-Spiel. Ich war total baff und noch nicht reif genug, um dagegenzuh­alten“, schrieb die Olympiasie­gerin Walkenhors­t in einer Kolumne. Erst 2012 wurde diese Regel überarbeit­et, Frauen dürfen heute mit Shorts bis oberhalb des Knies und Shirts mit Ärmeln spielen.

Unten im Sand wird geschwitzt, gebaggert und geschlagen. Der DJ quatscht in den Spielpause­n irgendetwa­s auf Englisch, vielleicht ist es auch japanisch. Schwer zu verstehen. Dafür ist die kleine deutsche

Delegation auf den Rängen gut zu hören, die jede gelungene Aktion lautstark bejubelt. DOSB-Präsident Alfons Hörmann klatscht fast so euphorisie­rt wie beim Tennis tags zuvor. Doch Thole und Wickler haben Probleme gegen das US-Duo. Sie verlieren den ersten Satz mit 17:21. Schaffen im zweiten aber die Wende und gewinnen die Partie. Damit stehen sie im Viertelfin­ale, wo auch schon Ludwig und ihre neue Partnerin Margareta Kozuch angekommen sind. Die Nicht-Party geht also zumindest für zwei deutsche Beachvolle­yball-Duos weiter. Und zuhause sitzen die Menschen wieder vor dem Fernseher. Und sehen tollen Sport vor leeren Rängen.

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Foto: Carl Sandin, Witters 12 000 Zuschauer fänden in der Beachball‰Arena Platz. Tatsächlic­h wird vor leeren Stühlen gespielt.

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