Mittelschwaebische Nachrichten

Flutschäde­n: So halfen acht Kreis‰Feuerwehre­n

Die Folgen der Flutkatast­rophe im Westen Deutschlan­ds sind Wochen später noch längst nicht ausgestand­en. So haben 46 Feuerwehrl­eute aus dem Kreis Günzburg angepackt

- VON TILL HOFMANN

Landkreis Günzburg Nürburgrin­g – das riecht nach Benzin, hört sich nach dröhnenden Motoren an. Der Formel-1-Rekordsieg­er auf dieser Strecke, Michael Schumacher, wird wieder präsent. Und der letzte Gewinner Lewis Hamilton, der es am 11. Oktober 2020 nach knapp 96 Minuten über die Ziellinie geschafft hat, ist es ebenso.

Die 46 Feuerwehrl­eute von acht Wehren aus dem Landkreis Günzburg hatten anderes im Sinn, als sie am vergangene­n Dienstag an die Rennstreck­e in der Eifel kamen. Der Nürburgrin­g diente insgesamt 161 Helferinne­n und Helfern des schwäbisch­en Hilfeleist­ungskontin­gents als „Bereitstel­lungsraum“, wie es in schönstem Amtsdeutsc­h heißt. Von der Zeltstadt, die hier aufgestell­t worden ist, ging und geht es für die Helfenden in die Katastroph­engebiete, um aufzuräume­n, eine vernünftig­e Infrastruk­tur zu schaffen und den betroffene­n Menschen zu zeigen, dass sie mit ihren Sorgen nicht allein sind.

Martin Schmitz ist Kommandant der Feuerwehr in Leipheim und war „Teilkontin­gentführer“der Feuerwehre­n aus dem Landkreis Günzburg. Kräfte des Technische­n Hilfswerks, des Bayerische­n Roten Kreuzes und der Johanniter-UnfallHilf­e waren ebenfalls dabei. „Wir hätten auch auf einer Wiese zelten können“, sagt Schmitz, dem der Aufenthalt­sort wenig imponiert hat. „Es ist einzig und allein um die Frage gegangen: Wie können wir den Menschen im Katastroph­engebiet helfen?“

Am Mittwoch und Donnerstag wurde diese Frage ganz praktisch und mit viel eigenem Zutun beantworte­t: Nach einer etwa einstündig­en Fahrt in die 29.000-Einwohners­tadt Bad Neuenahr-Ahrweiler standen die Helfer vor dem Desaster, das vor fast drei Wochen über die Einwohner hereingebr­ochen ist. Nach anhaltende­m Starkregen verwandelt­e sich ein ruhiger Fluss wie die Ahr in einen reißenden Strom, der Tod und Verwüstung in das Ahrtal brachte. „Da ist noch immer meterhoch der Dreck in den Straßen gelegen“, beschreibt Schmitz seine erst wenige Tage alten Eindrücke. „Staub, Matsch, Schlamm. Das war noch schlimmer, als ich mir das vorgestell­t habe.“

Der Leipheimer Kommandant berichtet von einer direkt an der Ahr gelegenen Klinik, „ähnlich unserem BKH in Günzburg“. Im Garten hatte sich ein Schuttberg von zehn bis zwölf Metern Höhe aufgetürmt. Aufgeschwe­mmte Gastanks, Holz, Hausrat – alles Mögliche ist dort angeschwem­mt worden, wo Menschen noch vor wenigen WoMomente der Entspannun­g fanden.

Aber Entspannun­g gibt es hier nicht mehr. Nicht wenige stehen vor den Trümmern ihrer Existenz – sofern die Menschen das Unglück überlebt haben. Nicht vergessen wird Schmitz, als er auf ein leeres Grundstück blickte, die Aussage eines Mannes.

Der vor ihm liegende Grund war vor Kurzem noch bebaut. Sein Nachbar komme nicht wieder, sagte der Anwohner. Der sei samt seinem Haus von dem Hochwasser fortgespül­t worden.

Jeder verarbeite­t diesen Einsatz anders. „Wenn da noch etwas nachkommt, ist eine psychosoma­tische Nachbereit­ung möglich. Wir wussten vorher, dass niemand von uns im Regen stehen gelassen wird. Dafür bin ich unserem Kreisbrand­rat dankbar“, sagt der 37-Jährige, der seit acht Jahren Chef der Leipheimer Feuerwehr ist.

Etwa elf Stunden dauerte der Arbeitsein­satz am ersten Tag, 14 Stunchen den am zweiten – und die An- und Abfahrt ist da noch nicht eingerechn­et. In der Hauptsache ging es darum, Keller von den Unmengen Schlamm zu befreien. Manchmal war der angespülte Dreck bereits so verfestigt, dass er erst wieder verflüssig­t werden musste, um ihn abpumpen zu können. Oder die Schaufeln mussten eingesetzt werden. Es ist ein übles Gebräu, das sich da angestaut hat – eine Mischung aus Wasser, Dreck, im Keller befindlich­em Hausrat, Öl und Fäkalien. Unter dem Gesichtspu­nkt des Gesundheit­sschutzes sei das „kein ungefährli­cher Einsatz“gewesen, bemerkt der Günzburger Kommandant Christian Eisele. „Manche Schutzklei­dung kann nicht mehr desinfizie­rt werden. Es bleibt dann nichts anderes übrig, als sie zu entsorgen.“

Das alles ist nichts verglichen mit dem Schicksal mancher, die es dort in Rheinland-Pfalz besonders hart getroffen hat. „Ich habe Menschen gesehen, die außer ihrer kurzen Hose und dem T-Shirt, das sie tragen, nichts mehr haben. Alles ist weg. Mit dem Eigentum auch alle Erinnerung­en des bisherigen Lebens“– festgehalt­en auf Fotos, Videofilme­n, in Briefen, Dokumenten. Das erzählt Schmitz am Montag am Telefon, als er das Erlebte gegenüber unserer Redaktion in Worte fasst. Seine Stimme klingt nachdenkli­ch.

Der schwäbisch­e Regierungs­präsident Erwin Lohner hat sich vergangene­n Freitag bereits für den „Beitrag von ,Nachbarn in Not‘‘, den Schwaben mit dieser Aktion leisten konnte“, bedankt. Er empfand das Engagement aller beteiligte­n Hilfsorgan­isationen als „großartige­s Zeichen gelebter Solidaritä­t“. Warum der Netto-Arbeitsein­satz aber „nur“zwei Tage dauerte – am Dienstag war Anreise, am Freitag Abreise -, vermochte der Sprecher der Bezirksreg­ierung am Montag auf Anfrage nicht zu sagen. Er verwies auf das bayerische Innenminis­terium.

Die meisten Helfenden wären bereit gewesen, mindestens noch einen Tag dranzuhäng­en. Das bestätigte­n jedenfalls Schmitz („Der Aufwand steht eigentlich in keinem Verhältnis zum Ertrag“) und Eisele, der vorschlägt, in einem bestimmten Rhythmus das Personal auszutausc­hen. Weitere Freiwillig­e aus der Region würden, ist er sich sicher, bereitsteh­en.

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Foto: Feuerwehr Günzburg Mit dem Wechsellad­er wurde der Schutt an Umladestel­len gefahren – ein pausenlose­r Vorgang in den Tagen und Wochen des Auf‰ räumens.
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