Mittelschwaebische Nachrichten
Ein Mann wie ein Vulkan
Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger hat sich mit Ministerpräsident Markus Söder einen heftigen Schlagabtausch geliefert. Jetzt schweigt er wieder – bis zur nächsten Eruption
München Es ist, wie es schon öfter war zwischen CSU und Freien Wählern: Einer sagt was. Ein anderer erwidert. Helle Empörung. Noch hellere Empörung. Scharfe Drohung. Und dann – Stille. Das heißt allerdings nicht, dass es vorbei ist. Der Mann, der regelmäßig im Mittelpunkt des Spektakels steht, gleicht einem aktiven Vulkan, der die meiste Zeit des Jahres ruhig vor sich hin brodelt, plötzlich Feuer spuckt und dann, wenn die Rauchschwaden sich verzogen haben, wieder trügerische Ruhe vermittelt, als wäre nichts gewesen: Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler im Freistaat wie im Bund, bayerischer Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident.
An diesem Dienstag will Aiwanger im Streit mit Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder nicht mehr nachlegen. Er hatte sich, wie berichtet, wegen seiner zur Schau getragenen Impfskepsis Söders Kritik eingefangen und darauf mit ungehemmter Wucht erwidert. Die Drohung von CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer, wonach für die CSU in Bayern auch andere Koalitionspartner als die Freien Wähler denkbar seien, hat den Streit in der Öffentlichkeit beendet – zumindest bis zum nächsten Vulkanausbruch.
Nach allem, was hintenrum so erzählt wird, hat Hubert Aiwanger sich aus den eigenen Reihen einiges anhören müssen. Die überwältigende Mehrheit der Mitglieder der Landtagsfraktion der Freien Wähler hat sich impfen lassen. Einige seiner Kollegen widersprechen ihm offen. „Ich halte seine Denkweise für falsch“, sagte der Ansbacher FWAbgeordnete Peter Bauer den Nürnberger Nachrichten. Der parlamentarische Geschäftsführer der Freien Wähler, der schwäbische Abgeordnete Fabian Mehring, sagte unserer Redaktion, man dürfe das, was im Kampf gegen Corona in Bayern erreicht worden sei, „nicht aus politischem Kalkül aufs Spiel setzen – weder durch zwanghaften Impfmissionarismus noch durch unbegründete Zweifel an der Wissenschaft.“Mehring sagte, er rate allen Beteiligten, einen kühlen Kopf zu bewahren, weniger an Umfragen und mehr an die Menschen zu denken und rhetorisch abzurüsten.
Aiwanger hat fürs Erste wieder abgerüstet. Doch er ist nicht dafür bekannt, auf Ratschläge zu hören – auch nicht, wenn sie von Parteifreunden kommen. Ein langjähriger Weggefährte attestiert ihm die „Mentalität eines Großbauern“. Aiwanger lasse sich nicht reinreden. Er allein bestimme, wo es lang geht. Sein Austausch mit seiner Landtagsfraktion sei „nahe null“. Sein politisches Auftreten sei von Bauchgefühlen geleitet.
Doch es gibt halt auch diese Vorgeschichte: Aiwanger sei es gewesen, der die Freien Wähler vor 13 Jahren quasi im Alleingang und gegen vielfältige Widerstände aus den eigenen Reihen in den Landtag geführt habe. Seine Leidenschaft und sein politischer Instinkt seien entscheidend gewesen für diesen Erfolg. Jetzt habe er sich in den Kopf gesetzt, die Freien in den Bundestag zu führen. Dafür sei ihm jedes Mittel recht. Widersprüche blende er komplett aus.
Es ist noch keine zwei Wochen her, dass Aiwanger beteuerte, er habe wegen seiner Impfskepsis keine negativen Rückmeldungen aus Wirtschaft oder Gastronomie erhalten. Mittlerweile deutet vieles darauf hin, dass er diese Kritik nur einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Ende Juli jedenfalls brach sie öffentlich über ihn herein. Der Bundesverband mittelständischer Wirtschaft kritisierte seinen „Anti-Wirtschaftskurs“scharf: „Aiwangers Kampagne, die klar auf die Zielgruppe der Impfgegner und -skeptiker abzielt, und ihm so den Einzug in den Bundestag ermöglichen soll, steht nicht nur in krassem Widerspruch zu allen medizinischen Erkenntnissen. Sie ignoriert auch völlig die wirtschaftlichen Gefahren einer neuen Verschärfung der Corona-Krise.“Die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft und der DGB Bayern stellten sich mit einem gemeinsamen Aufruf gegen die grassierende Impfskepsis. Und sogar Angela Inselkammer, die Chefin des bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes, die von Aiwanger in der Corona-Krise massiv umworben worden war, ging im Interview mit unserer Zeitung zu ihm auf Distanz. Sie sagte, sie „finde es schwierig, wenn Vorbilder sich nicht impfen lassen“.
In der CSU sieht man Aiwanger naturgemäß noch weitaus kritischer.
Er sei ein „maximaler Populist“, kümmere sich mehr um die Landwirtschaft als um seine eigentliche Aufgabe, die bayerische Wirtschaft, verspreche den Leuten das Blaue vom Himmel und versuche nun sogar bei Querdenkern zu punkten. Dass eine Mehrheit der Deutschen es falsch findet, dass Aiwanger sich kritisch über Corona-Impfungen äußert, macht der politischen Konkurrenz im konservativ-bürgerlichen Lager keine Hoffnung. Wenn immer noch mehr als ein Viertel der Befragten seine Impf-Kritik nachvollziehen könne, dann reiche ihm das, um der CSU bei der Bundestagswahl wertvolle Prozentpunkte abzujagen.
Aiwanger soll, wie Teilnehmer einer Besprechung berichten, am Dienstag einen „eher strapazierten Eindruck“gemacht haben. Auf Anfrage unserer Redaktion wollte er sich zu den drohenden Worten von CSU-Fraktionschef Kreuzer nicht weiter äußern. Jede Antwort von ihm könnte als „nachlegen“interpretiert werden. Der Vulkan ist wieder ruhig. Im Moment.
In der CSU sagen sie, er sei ein „maximaler Populist“