Mittelschwaebische Nachrichten

Bundestags­wahl wird spannend wie noch nie

Die Unsicherhe­it bei den Parteien in Bayern ist groß. Eine Untersuchu­ng der Hanns-Seidel-Stiftung zeigt: Erstmals gibt es mehr Wechsel- als Stammwähle­r. Und die CSU hat ein Handicap

- VON ULI BACHMEIER

München Die Zeiten, da Wahlen im Schlussspu­rt entschiede­n wurden, sind vorbei. Mehr als früher wird es bei der Bundestags­wahl im September auf die Briefwähle­r ankommen. Gleichzeit­ig gilt: Auf die Stammwähle­r ist kein Verlass mehr – erstmals gibt es im Freistaat mehr Wechsel- als Stammwähle­r. Und das theoretisc­he Wählerpote­nzial der Grünen ist in Bayern fast schon so groß wie das der CSU. Das sind, stark verkürzt, die hervorstec­hendsten Ergebnisse einer Studie, die vom Marktforsc­hungsinsti­tut GMS Dr. Jung für die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung erarbeitet und am Mittwoch in München vorgestell­t wurde.

Die Studie hat, wie der Vorsitzend­e der Hanns-Seidel-Stiftung, der schwäbisch­e CSU-Europaabge­ordnete Markus Ferber, hervorhob, ein Alleinstel­lungsmerkm­al: Sie wurde ausschließ­lich in Bayern erhoben und sei, weil statt nur rund 1000 deutlich über 2000 Bürger befragt wurden, „sehr repräsenta­tiv“. Lediglich eine Einschränk­ung gebe es:

Der Erhebungsz­eitraum lag zwischen dem 6. April und dem 7. Mai und somit vor den Flutkatast­rophen. Zum Zeitpunkt der Befragung habe der Themenkomp­lex „Corona und die Folgen“alle anderen Themen dominiert. Mittlerwei­le gewinne das Thema Klimawande­l wieder erkennbar an Bedeutung.

Wie spannend die Bundestags­wahl wird, zeigen die Ergebnisse unter der Rubrik „weiteste Wählerkrei­se der Parteien“. Sie fasst alle Wähler zusammen, die eine Partei „ganz bestimmt“oder „unter Umständen“wählen würden. Die CSU kommt hier auf einen Wert von 62 Prozent. Damit hat sie nach Aussage des Parteienfo­rschers Helmut Jung zwar ihre zwischenze­itlich erlittenen Einbußen fast wieder wettmachen können, ohne jedoch ihren Spitzenwer­t von 73 Prozent aus dem Jahr 2005 zu erreichen. Das Wählerpote­nzial der Grünen sei gleichzeit­ig kontinuier­lich gewachsen. Ihr „weitester Wählerkrei­s“liege mittlerwei­le bei 60 Prozent, sei also „nahezu identisch mit den Werten der CSU“. Kontinuier­lich zulegen konnten auch die Freien Wähler (auf 50 Prozent) und die FDP (auf 52 Prozent). Deutlich geschrumpf­t sei dagegen das theoretisc­h mögliche Wählerpote­nzial der SPD (auf 33 Prozent), der AfD (auf 28 Prozent) und der Linken (auf 20 Prozent).

Augenfälli­g ist laut Jung auch, dass sich die Schnittmen­gen zwischen den Parteien verschiebe­n. Neben den allgemeine­n Einbußen der AfD zeige sich, dass die Grünen zunehmend stärkere Übereinsti­mmungen mit den sogenannte­n bürgerlich­en Parteien zu besitzen scheinen und sich stärker vom eher schrumpfen­den linken Lager abgekoppel­t haben.

Zur Unsicherhe­it bei den Parteien dürften auch die Befunde zu Wahlteilna­hme und Wählertype­n beitragen. Da ist zum einen das Ergebnis, dass die Zahl der Bürger, die sich selbst als Wechselwäh­ler bezeichnen, erstmals auf 50 Prozent gestiegen ist. Nur noch 45 Prozent gaben an, Stammwähle­r einer Partei zu sein. Zum anderen fanden die Meinungsfo­rscher heraus, dass längst nicht alle Stammwähle­r auch tatsächlic­h zur Wahl gehen werden. Es gebe, so Jung, auch „den temporären Stammwähle­r“. Ihm müsse von seiner bevorzugte­n Partei „ein konkreter Grund geliefert werden“, damit er auch wählen geht. „Der Wähler tickt gänzlich anders, als es früher einmal war“, sagt Jung.

Eine weitere Schwierigk­eit ergibt sich für die Parteien der Studie zufolge aus dem Umstand, dass immer mehr Bürger sich für eine Briefwahl entscheide­n werden. Die Parteien müssten sich, so Jung, darauf einstellen, „zwei Kampagnen“zu fahren – eine kontinuier­liche mit Beginn der Briefwahl und eine „Schlussmob­ilisierung“vor dem Wahlsonnta­g. Das sei eine „völlig andere Situation“als bei früheren Wahlen. Hinzu komme, dass wegen der Corona-Beschränku­ngen die Nähe zum Wähler fehle. Das treffe besonders die CSU. Sie habe das Handicap, den Wahlkampf nicht im Bierzelt führen zu können.

 ?? Fotos: Kneffel/Berg/Weigel/Gateau, dpa ?? CSU, Grüne, Freie Wähler und FDP können laut der Studie in Bayern auf das größte Wählerpote­nzial zugreifen.
Fotos: Kneffel/Berg/Weigel/Gateau, dpa CSU, Grüne, Freie Wähler und FDP können laut der Studie in Bayern auf das größte Wählerpote­nzial zugreifen.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany