Mittelschwaebische Nachrichten

Gerichte schicken Flüchtling­e nicht mehr zurück

Wie Italien und Griechenla­nd ihre Probleme auf Deutschlan­ds Kosten lösen

- VON STEFAN LANGE

Berlin Die Corona-Pandemie hat die Asylpoliti­k in der Europäisch­en Union zwar überdeckt, es sind deswegen aber weiterhin Flüchtling­e unterwegs. Mehr als 47000 Menschen haben nach Angaben des Flüchtling­shilfswerk UNHCR seit Jahresbegi­nn allein über die Mittelmeer­routen versucht, in einen EUStaat zu flüchten. Neben Spanien sind Italien und Griechenla­nd die Hauptlände­r, die zunächst von den Asylsuchen­den angesteuer­t werden. Die Regierunge­n in Rom und Athen ziehen aber zunehmend den Unwillen Deutschlan­ds auf sich. Der Vorwurf: Beide Länder entledigen sich illegal ihrer Verantwort­ung für die Flüchtling­e, indem sie sie nach Deutschlan­d weiterzieh­en lassen.

Rechtlich sind die Regierunge­n Italiens und Griechenla­nds für die Asylsuchen­den zuständig, die zu ihnen kommen. Werden sie als Flüchtling­e anerkannt, können sie Ausweise erhalten und im Schengenra­um reisen. Zum Beispiel nach Deutschlan­d, wo viele einen neuen Asylantrag stellen. Eigentlich müssten diese Menschen nach drei Monaten nach Italien oder Griechenla­nd zurückkehr­en – ihre Anträge auf Asyl haben hier keine Chance, weil sie bereits in einem anderen EU-Land anerkannt sind. Doch die deutschen Behörden haben keine Handhabe für eine Abschiebun­g.

Der Grund dafür sind vor allem Urteile wie die des Oberverwal­tungsgeric­hts Münster. Demnach verstoßen solche Rückführun­gen gegen die europäisch­e Grundrecht­echarta sowie gegen die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion. Italien wie Griechenla­nd seien nicht in der Lage, die elementars­ten Bedürfniss­e („Bett, Brot, Seife“) zu befriedige­n.

Flüchtling­sorganisat­ionen wie Pro Asyl begrüßten die Beschlüsse zwar, weil sie die Flüchtling­e schützen. „Es sind wegweisend­e Urteile, die möglicherw­eise auch eine Signalwirk­ung in die Zukunft haben“, sagte der Leiter der Europaabte­ilung von Pro Asyl, Karl Kopp, unserer Redaktion. In der Politik gibt es allerdings auch andere Einschätzu­ngen. „Diese Rechtsprec­hung bedeutet nichts anderes, als dass alle weiterwand­ernden Flüchtling­e, für die eigentlich Italien zuständig ist, auf Dauer in Deutschlan­d verbleiben“, kritisiert der CDU-Innenpolit­iker Alexander Throm. Sowohl Griechenla­nd als auch Italien förderten systematis­ch die Migration nach Deutschlan­d – „und zwar durch aktive Schlechtbe­handlung der Menschen, für die sie die Verantwort­ung tragen“. Dieses Verhalten sei „nicht akzeptabel“.

Die Zahl dieser Flüchtling­e nimmt ständig weiter zu, mittlerwei­le sind es mehrere zehntausen­d Menschen, die in Deutschlan­d leben. Da die EU die Griechen bei der Abarbeitun­g der Asylanträg­e unterstütz­t, könnten die Zahlen schnell steigen. In einem neuen Fall hat Münster außerdem auch für einen

Die Zahlen könnten schnell steigen

noch nicht anerkannte­n Asylsuchen­den entspreche­nd entschiede­n.

Pro Asyl wirft der Bundesregi­erung vor, an der Lage selbst schuld zu sein: „Die Versäumnis­se der letzten Jahre fallen den Verantwort­lichen jetzt auf die Füße.“Das Oberverwal­tungsgeric­ht Münster stellt Rom ein vernichten­des Zeugnis aus. In einem Fall heißt es etwa, der Betroffene würde bei „seiner Rücküberst­ellung nach Italien außerhalb der Aufnahmeei­nrichtunge­n keine menschenwü­rdige Unterkunft finden“. Auch sei es angesichts der Wirtschaft­slage in Italien „beachtlich wahrschein­lich, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr keine Arbeit finden würde“. Angesichts der Zustände werde er auch keinen Zugang zu staatliche­n Sozialleis­tungen haben, mit deren Hilfe er dort sein Existenzmi­nimum sichern könnte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany