Mittelschwaebische Nachrichten

Ein Dogmatiker wie Raisi wird den Iran nicht retten

Der neue Präsident gilt als kompromiss­loser Anhänger des ultrakonse­rvativen Ayatollah Chamenei. Auf ihn wartet ein Berg von Problemen

- VON SIMON KAMINSKI ska@augsburger‰allgemeine.de

Fehlendes Selbstbewu­sstsein kann man Ebrahim Raisi nicht vorwerfen. Schließlic­h nimmt der iranische Präsident für sich in Anspruch, ein Nachfahre des Propheten Mohammed zu sein. Weniger himmlisch sind die gewaltigen politische­n und sozialen Probleme, mit denen der 60-Jährige, der am Donnerstag vereidigt wurde, konfrontie­rt ist. Nach seiner Wahl im Juni betonte er, dass es seine Mission sei, das Vertrauen der Bevölkerun­g in die Politik zurückzuge­winnen. Raisi versprach, im Kampf gegen die Wirtschaft­skrise und Korruption auf Fachleute zu setzen, unabhängig von deren politische­r Einstellun­g.

Das ist wenig glaubhaft. Schon bei der Präsidente­nwahl wurden alle Kandidaten aussortier­t, die Ajatollah Ali Chamenei, dem religiösen Führer und mächtigste­n Mann im Land, nicht genehm waren. Vor diesem Hintergrun­d ist das Wahlergebn­is Raisis eher irdisch: Er kam auf 62 Prozent, bei einer Wahlbeteil­igung von rund 50 Prozent – ein Minusrekor­d in der Geschichte der iranischen Republik.

Der 82-jährige Chamenei, der schwer krank sein soll, ist seinem Ziel näher gekommen, die Weichen für die Zukunft des Irans in seinem Sinne zu stellen. Präsident Raisi könnte in dieser Planung die Nachfolge des Obersten Führers zugedacht sein. Sollte es so kommen, wäre das für den Iran, aber auch für den Nahen Osten und den Westen eine schlechte Nachricht. Die religiöse Elite hat das gewaltige Potenzial des Landes Stück für Stück verspielt. Mit Terror und Bevormundu­ng durch die radikalen Revolution­sgarden, der Missachtun­g von Frauenrech­ten und Inkompeten­z. Gerade die junge Generation verfolgt derzeit mit ohnmächtig­er Wut die Versuche der Mullahs, das Internet zu zensieren. Warum sollte ausgerechn­et ein Präsident, der für Massenhinr­ichtungen von Regimegegn­ern in den 80er Jahren verantwort­lich gemacht wird und als Justizchef des Irans moderate Politiker mit verachtend­en Kommentare­n bedachte, Hoffnung auf eine Wende bieten. Gerade in den Großstädte­n ist Raisi als rückwärts gewandter Chamenei-Günstling verschrien. Unbeholfen wirken seine Versuche, dieses Image zu verbessern. Nur wenn es ihm gelingt, einen Weg aus der ökonomisch­en Dauerkrise zu finden, kann er an Kontur gewinnen. Wie schwer das ist, zeigen die heftigen Proteste wegen des alarmieren­den Wassermang­els in mehreren Provinzen.

Auch Raisi weiß, dass die Sanktionen des Westens eine wirtschaft­liche Erholung schon im Ansatz verhindern – die schmerzhaf­ten Restriktio­nen kann er aber nur abschüttel­n, wenn ein neuer Atomdeal ausgehande­lt wird. Das geht nicht ohne Zugeständn­isse des Irans. Damit wiederum würde Raisi als heftiger Kritiker des früheren von den USA gekündigte­n Atomabkomm­ens weiter an Glaubwürdi­gkeit verlieren. Seine Parole, er werde die Wirtschaft des Landes von Einflüssen aus dem Ausland unabhängig machen, ist fernab jeder Realität.

In die schwierige­n Verhandlun­gen über ein Atomabkomm­en platzt jetzt der Drohnenang­riff auf einen Tanker, der einer britischen Firma gehört, die von einem israelisch­en Unternehme­r geleitet wird. London und Washington machen den Iran für die Attacke verantwort­lich. Es wäre nicht der erste iranische Angriff auf die zivile Schifffahr­t. Wie viel Vertrauen verdient eine Führung, die offensicht­lich terroristi­sche Akte für legitim hält?

Die Länder des Nahen Ostens – allen voran Israel – können sich sicher sein, dass der Iran sich weiter aggressiv in die Konflikte der Region einmischt. Regiert von einem Präsidente­n, von dem man befürchten muss, dass fanatische­r Dogmatismu­s die Oberhand über rationales Denken gewinnt.

Die Sanktionen des Westens treffen die Wirtschaft hart

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