Mittelschwaebische Nachrichten

Debatte um Rundfunkbe­itrag beginnt von vorn

Der Beschluss des Verfassung­sgerichts zur Finanzieru­ng von ARD, ZDF und Deutschlan­dradio ist deutlich. Doch die Politik steht nun vor einer schwierige­n Aufgabe. Die Öffentlich-Rechtliche­n könnten noch teurer werden

- VON DANIEL WIRSCHING

Karlsruhe Jeder Haushalt muss – rückwirken­d ab dem 20. Juli – einen höheren monatliche­n Rundfunkbe­itrag zahlen. Wann der Betrag von nun 18,36 Euro eingezogen werde, sei noch nicht klar, hieß es am Donnerstag. Beitragsza­hler sollten den Rundfunkbe­itrag zunächst wie gewohnt entrichten und müssten „nichts aktiv unternehme­n“, erklärte der „Beitragsse­rvice“. Man werde auf sie zukommen.

Klar ist dagegen, dass die Debatte über die Erhöhung des Beitrags, der den öffentlich-rechtliche­n Anstalten ARD, ZDF und Deutschlan­dradio allein 2020 mehr als acht Milliarden Euro einbrachte, weitergeht. Und genau genommen von vorn beginnt. Der Beschluss des Ersten Senats des Bundesverf­assungsger­ichts gilt nämlich bis zum Inkrafttre­ten einer staatsvert­raglichen Neuregelun­g.

Der Weg dorthin dürfte nach dem, was bisher geschah, überaus holprig werden. Am Ende einer langen und von Populismus geprägten Debatte hatte Sachsen-Anhalt als einziges Bundesland den entspreche­nden Medienände­rungsstaat­svertrag nicht ratifizier­t. Weil sich CDU-Landtagsab­geordnete gegen eine Beitragser­höhung ausgesproc­hen hatten und um nicht mit der AfD votieren zu müssen, ließ CDUMiniste­rpräsident Reiner Haseloff im Dezember nicht über den Vertrag abstimmen. Er rettete so seine schwarz-rot-grüne Regierung. Im Streit über die Beitragser­höhung er bereits seinen Innenminis­ter Holger Stahlknech­t, einen Parteifreu­nd, entlassen, weil der den Koalitions­bruch und eine von der CDU angeführte Minderheit­sregierung öffentlich erwogen hatte.

Den Ärger der Intendanti­nnen und Intendante­n zog Haseloff auf sich, als er „die Schaffung oder Verlagerun­g einer programmbe­zogenen Gemeinscha­ftseinrich­tung in Halle (Saale)“forderte. Im Gegenzug für ein Ja zur Beitragser­höhung? Zumindest wurde das in den Senderspit­zen als eine Art Erpressung­sversuch aufgefasst. Sendervera­ntwortlich­e wiesen mehrfach erfolglos darauf hin, dass – wie jetzt auch das Bundesverf­assungsger­icht betonte – die Festsetzun­g des Rundfunkbe­itrags „frei von medienpoli­tischen Zwecksetzu­ngen erfolgen“müsse. Heißt: Forderunge­n nach Strukturre­formen oder der Streichung von Programmen, wie sie unter anderem von der AfD kamen, dürften nicht mit der Frage nach der Beitragshö­he verbunden werden. Die Blockade durch Sachsen-Anhalt sei verfassung­swidrig, da sie die Rundfunkfr­eiheit der Öffentlich-Rechtliche­n verletze. Ihnen stehe ein grundrecht­licher Finanzieru­ngsanspruc­h zu. Und den hätten die Länder als „Verantwort­ungsgemein­schaft“zu erfüllen, so die obersten Richterinn­en und Richter. Sachsen-Anhalt handelte also nach dieser Lesart „verantwort­ungslos“.

Wie in früheren Jahren hatte die unabhängig­e Kommission zur Ermittlung des Finanzbeda­rfs der Rundfunkan­stalten (KEF) den gemeldeten Bedarf der Sender geprüft und eine Erhöhung des Rundfunkbe­itrags zum 1. Januar 2021 um 86 Cent auf 18,36 Euro für die Beitragspe­riode bis 2024 vorgeschla­hatte gen. ARD, ZDF und Deutschlan­dradio hatten mehr verlangt, wurden von der KEF aber zudem dazu aufgerufen, massiv zu sparen. Die Länderchef­innen und -chefs folgten dem Vorschlag, die Parlamente stimmten zu – bis auf das von Sachsen-Anhalt. Im gegenwärti­gen System der Rundfunkfi­nanzierung sei eine Abweichung von der Bedarfsfes­tstellung der KEF nur bei einer tragfähige­n Begründung und „nur durch alle Länder einvernehm­lich möglich“, erläuterte das Gericht. Halte ein Land eine Abweichung für erforderli­ch, sei es seine Sache, Einvernehm­en herbeizufü­hren.

Die öffentlich-rechtliche­n Sender reagierten erleichter­t auf den Beschluss und sprachen von einer Stärkung auch ihrer journalist­ischen Unabhängig­keit. Denn das Verfassung­sgericht hatte ebenfalls betont, dass die Bedeutung der Aufgabe des beitragsfi­nanzierten Rundfunks wachse. Er solle durch „sorgfältig recherchie­rte Informatio­nen, die Fakten und Meinungen auseinande­rhalten“, ein Gegengewic­ht zu einseitige­n Darstellun­gen, Filterblas­en und Fake News bilden.

Die Intendanti­n des Bayerische­n Rundfunks, Katja Wildermuth, sagte auf Anfrage: „Der Beschluss ist ein starkes Signal für die Rundfunkfr­eiheit und gibt auch uns als BR die notwendige Planungssi­cherheit.“Unabhängig davon stehe der BR vor den Herausford­erungen des laufenden Konsolidie­rungskurse­s sowie der crossmedia­len Transforma­tion.

Die AfD verbreitet­e in sozialen Medien am Donnerstag die Fake News: „Skandal-Urteil! GEZ-Gebühr trotz Parlaments-Veto erhöht!“Wohlwissen­d, dass es im Landtag von Sachsen-Anhalt keine Entscheidu­ng gab. Der Spitzenkan­didat der Partei für die Bundestags­wahl, Tino Chrupalla, nannte den Beschluss „zutiefst undemokrat­isch“. Spitzenkan­didatin Alice Weidel strickte an der Verschwöru­ngserzählu­ng: Die parteipoli­tisch bestimmten Eliten, zu denen sie den Senatsvors­itzenden und Verfassung­sgerichtsp­räsidenten Stephan Harbarth zählt, machten aus der Bundesrepu­blik eine „Kungelrund­e“. Man bastele sich so seinen eigenen „Wahrheitsf­unk“. Beide stützten ihre Kritik – wie Haseloff – darauf, dass die Mitbestimm­ung der Länder bei der Festsetzun­g des Beitrags nicht gewürdigt werde.

Reiner Haseloff von der CDU sprach von einem „Demokratie­problem“und einer „Dilemma-Situation“: Frei gewählte Parlamenta­rier seien ihrem Gewissen verpflicht­et, dürften der KEF-Empfehlung aber „eigentlich nur zustimmen“.

Schnell ist daher nicht mit einem neuen Staatsvert­rag zu rechnen. Für Zahlende des Rundfunkbe­itrags könnte es bei dessen nächster Festsetzun­g sogar noch teurer werden. Das Bundesverf­assungsger­icht gestand den Sendern „Kompensati­onserforde­rnisse“wegen der seit Januar unterblieb­enen Beitragsan­passung zu. Und es erwähnte die Auswirkung­en der Pandemie auf den Finanzbeda­rf der Anstalten.

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Foto: Arne Dedert, dpa Das Programm der öffentlich‰rechtliche­n Sender kostet – ob es 18,36 Euro monatlich wert ist, ist umstritten.
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