Mittelschwaebische Nachrichten

Zweitstimm­e Grün? Nicht im Saarland

Nach einer beispiello­sen Serie von Pannen und Fehleinsch­ätzungen wird die Landeslist­e der Saar-Grünen nicht zur Bundestags­wahl zugelassen. Ein Problem dabei: Das Frauenstat­ut

- VON RUDI WAIS

Augsburg/Saarbrücke­n Die Geschichte des grünen Pannen-Wahlkampfe­s ist um eine skurrile Episode reicher: Nach der verkorkste­n Aufstellun­g ihrer Landeslist­e für die Bundestags­wahl kann im Saarland am 26. September niemand mit der Zweitstimm­e für die Grünen stimmen. Eine entspreche­nde Entscheidu­ng der Landeswahl­leiterin hat der Bundeswahl­ausschuss am Donnerstag bestätigt. Sehenden Auges, rügte Bundeswahl­leiter Georg Thiel, habe sich die Partei in diese Situation hinein manövriert. Wer die Delegierte­n eines kompletten Ortsverban­des nicht zur Aufstellun­g einer Liste zulasse, verstoße gegen den Kernbestan­d einer demokratis­chen Wahl.

Angeblich nicht stimmberec­htigte Delegierte, dutzende von ausgeschlo­ssenen Delegierte­n und mittendrin das grüne Frauenstat­ut: Das Chaos an der Saar beginnt mit einem

Landespart­eitag am 20. Juni, bei dem die Landesvors­itzende Tina Schöpfer bei der Wahl der Spitzenkan­didatin dreimal krachend durchfällt. Anschließe­nd öffnen die Grünen den eigentlich für eine Frau reserviert­en Listenplat­z eins auch für die Kandidatur eines Mannes. Dabei setzt sich der frühere Landesvors­itzende Hubert Ulrich klar gegen die Kandidatin der grünen Jugend, Jeanne Dillschnei­der, durch.

Nach den grünen Statuten allerdings kann ein Mann nur Spitzenkan­didat werden, wenn keine Frau eine Mehrheit bekommt – oder wenn keine Frau kandidiert. Danach also hätte Ulrich gar nicht erst gegen Dillschnei­der antreten dürfen. Nun aber, da er bereits gewählt ist, wird die Sache komplizier­t. Sie hätte sich ein anderes Ergebnis gewünscht, lässt Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock ausrichten, setzt ihren Parteigesc­häftsführe­r Michael Kellner auf das Thema an und erhöht den Druck aus Berlin. Die Juristen in der Parteizent­rale haben tagelang Schwerstar­beit zu leisten.

Dass ausgerechn­et die Grünen die Frauenquot­e ignorieren, will Baerbock sich im Wahlkampf nicht auch noch vorwerfen lassen. Am Ende erklärt ein Schiedsger­icht der Partei das Verfahren zur Wahl von Ulrich für ungültig – mit Verweis auf das Frauenstat­ut und einige angeblich nicht stimmberec­htigte Mitglieder, die unter den Delegierte­n gewesen seien. Doch auch der erst einberufen­e, dann wieder abgesagte und dann doch wieder einberufen­e neue Parteitag schafft in dem tief zerstritte­nen Landesverb­and keine Klarheit.

Dort kandidiert Ulrich zwar nicht mehr und Jeanne Dillschnei­der wird auch gewählt – die 49 Delegierte­n aus Ulrichs Ortsverein Saarlouis aber, einem der größten im Saarland, sind von der Abstimmung ausgeschlo­ssen, weil es angeblich Fehler bei deren Nominierun­g gegeben hat. Monika Zöllner, die Landeswahl­leiterin, lässt die Liste der Partei daraufhin nicht zur Bundestags­wahl zu. Ihre Begründung: Ein „schwerer Wahlfehler“und „eine Verletzung des Demokratie­prinzips“– ausgerechn­et bei den Grünen, die so stolz sind auf ihre Basisdemok­ratie, bei einer wichtigen

Entscheidu­ng aber ein Drittel der Delegierte­n außen vor lassen. Das hat jetzt Folgen für die Bundespart­ei, der in der Endabrechn­ung wichtige Stimmen fehlen könnten: In der Regel steuern die Saar-Grünen einen knappen Prozentpun­kt zum Bundeserge­bnis ihrer Partei bei.

Joachim Behnke, Professor für politische Wissenscha­ften an der Zeppelin-Universitä­t Friedrichs­hafen, ist selbst Mitglied der Grünen, in diesem Falle aber einer ihrer schärfsten Kritiker. Das grüne Frauenstat­ut, klagt er im Spiegel, „zielt keineswegs auf Gleichbere­chtigung oder Gleichstel­lung ab, sondern bevorzugt seinerseit­s Frauen systematis­ch“. Es stelle so eine „Diskrimini­erung erster Ordnung“dar. Sein Ratschlag an die Kollegen an der Saar und in Berlin: „Manchmal wäre es doch besser, sich die wichtigste demokratis­che Tugend, Niederlage­n einfach zu akzeptiere­n, stärker zu Herzen zu nehmen.“

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Foto: O. Dietze, dpa Chaos an der Basis: Die Saar‰Grünen bleiben außen vor.

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