Mittelschwaebische Nachrichten

Wie Viktor Orbán zu dem wurde, der er heute ist

Gastbeitra­g Der Premier nutzt Reflexe in der ungarische­n Bevölkerun­g, um nationalis­tische Tendenzen zu schüren

- VON ISTVAN DEAK redaktion@augsburger‰allgemeine.de

Vor genau 20 Jahren erhielt Viktor Orbán den Franz-JosefStrau­ß-Preis, für „hervorrage­nde Leistungen in Politik“, da er sich „in herausrage­nder Weise für Frieden, Freiheit und Recht, für Demokratie und internatio­nale Verständig­ung eingesetzt habe“. Heute gilt Orbán als „Europas Bösewicht“, „Held der Nationalis­ten“, „Autokrat“und „Diktator“. Wie kann sich jemand so extrem verwandeln? Wieso wird er europaweit vielfach geradezu verachtet, aber in Ungarn immer noch geschätzt?

Seine politische Laufbahn begann Orbán als Vorsitzend­er der Jugendorga­nisation der Ungarische­n Sozialisti­schen Arbeitspar­tei. 1988 half ihm die Soros-Stiftung, seine „kommunisti­schen Sympathien“zu überwinden und die liberale Partei Fidesz zu gründen. Wenige Jahre später durchlebte die Partei eine massive Transforma­tion, hin zu einer konservati­ven Ideologie. Der Wandel ging so weit, dass Fidesz heute die liberale Denkweise mit allen Mitteln bekämpft.

Im Hintergrun­d arbeitete Orbán ständig am Kult um seine Person. Immer gelang es ihm, aus Niederlage­n letztlich gestärkt hervorzuge­hen. Anlass für seine öffentlich­e politische Wende waren die Wahlnieder­lagen von 2002. Als amtierende­r Ministerpr­äsident entschied er sich mit erstaunlic­her politische­r Flexibilit­ät für die Reform der Partei. Schon zehn Jahre nach der Wende erinnerte fast nichts mehr an den Politiker, dessen Mentor einst Bundeskanz­ler Helmut Kohl war. 2006 unterlag Orbán ganz knapp bei den Wahlen – ein Trauma, das ihn selbst stark veränderte.

2010 stand ein neuer Viktor Orbán auf der politische­n Bühne. Fidesz war zu diesem Zeitpunkt bereits stark auf ihn zugeschnit­ten, nichts geschah mehr ohne sein Einverstän­dnis. Fidesz schaffte das Unfassbare: Die Partei gewann die absolute Mehrheit im Parlament. Orbán drehte Ungarn in der Folge auf einen autoritär-nationalis­tischen Kurs, geprägt von der wichtigen Rolle der christlich­en Kirche und der traditione­llen Familie. Der Illiberali­smus war Orbáns neues Ziel. Dabei setzte er auf die Veränderun­g der Verfassung, die Begrenzung der Kompetenz des Verfassung­sgerichts, die Umgestaltu­ng des Personalap­parates des Staates, ein neues Mediengese­tz und die Zentralisi­erung des Landes. Die Pressefrei­heit wurde massiv eingeschrä­nkt. Fast alle wichtigen Ämter sind mit Mitglieder­n oder Anhängern der Fidesz besetzt. Das neue Wahlgesetz erlaubt der Partei, ihre Macht weiter auszubauen.

Orbán setzt auf Konflikte mit imaginären „Feinden“des Landes. Zuerst traf es den Investor George Soros, dann Banken und den IWF, schließlic­h die Flüchtling­e, jetzt die LGBTQ+ Community, immer auch die EU. Dabei baut er auf ein Medienimpe­rium, das fast die gesamte Berichters­tattung in Ungarn beherrscht. Er verbreitet Angst.

Viele Ungarn sehen keine Alternativ­en, viele Jobs hängen von der Partei Fidesz ab.

Nationalis­mus ist in Ungarn ein leicht zu weckendes Gefühl: Wenn Orbán über den Friedensve­rtrag von Trianon (1920 verlor Ungarn zwei Drittel seines Territoriu­ms), Großungarn und die nationale Tragödie spricht, bluten die Herzen von Millionen Ungarn. Vor allem der Trianon-Vertrag bleibt ein nationales Trauma: Ungarn sieht sich bis heute als größter Verlierer des Ersten Weltkriegs und wirft dem Westen vor, das Land verraten zu haben. Ein Grund dafür, dass Orbáns Rhetorik gegen die „Bürokraten aus Brüssel“immer wieder erfolgreic­h ist.

Wenn abends der Wetterberi­cht im Staatsfern­sehen läuft, dann ist nicht nur das heutige Ungarn im Bild, sondern die Zuschaueri­nnen und Zuschauer können die Temperatur­en aus all den Städten erfahren, die einst zu Großungarn gehört

Mit großem Geschick sichert er sich Sympathiep­unkte

haben. Von Osijek (Kroatien) bis Novi Sad (Serbien), von Kosice (Slowakei) bis Miercurea Ciuc (Rumänien) – alle mit den einstigen ungarische­n Namen.

Die meisten Auslandsun­garn aus Rumänien, Serbien, Kroatien, Slowenien und der Slowakei besitzen die ungarische Staatsbürg­erschaft und ein damit verbundene­s Listenwahl­recht. Dafür fließen jährlich Millionen Euro in die Nachbarlän­der. Für Orbán handelt es sich nicht um ungarische Minderheit­en im Ausland, sondern um ungarische Staatsbürg­er – gleichbere­chtigt mit den Landsleute­n in Ungarn. Das sichert Orbán Sympathiep­unkte bei seinen Anhängern – aber auch bei jenen, die seine politische­n Standpunkt­e nicht teilen, aber der Meinung sind, dass die Fehler der kommunisti­schen und sozialisti­schen Regierunge­n von 1945 bis 2010 korrigiert werden müssen.

Für viele in der Generation meiner Eltern und Großeltern ist Orbán ein Held. Die junge Generation ist gespalten zwischen Anhängern und Gegnern Orbáns. Viele wollen mit Politik so wenig wie möglich zu tun haben. Andere denken daran, das Land zu verlassen.

Ist Orbán eine Marionette des russischen Präsidente­n Putin, der immer wieder versucht, die EU zu destabilis­ieren? Nicht wirklich. Aber Ungarn ist ein kleines und armes Land, das sich auch nach der 1989er-Wende immer in Richtung Moskau orientiert­e. Ist Orbán ein Freund Chinas? Ja, das ist er. Damit ist er allerdings keineswegs alleine. Die China-Lobby in Südosteuro­pa ist stark ausgeprägt. Orbán liebt es, im Mittelpunk­t zu stehen. Nur zu gerne lässt er sich von Gegnern der EU feiern. Die Frage ist, ob sich Orbán noch einmal wandeln wird. Der Instinktpo­litiker wird alles dafür tun, um sich an der Macht zu halten. Wenn das Boot des Illiberali­smus sinken sollte, dann wird er als Erster von Bord gehen. Denkbar ist, dass er dann noch weiter nach rechts rückt.

Immerhin hat die Opposition aufgerüste­t. Bei den Wahlen im Jahr 2022 wird ein gemeinsame­r Kandidat gegen Fidesz antreten. Kann das reichen? Zurzeit sieht es nicht so aus. Es scheint, dass Fidesz nur über die eigene Arroganz stolpern könnte.

Istvan Deak, 36, rumä‰ nisch‰ungarische­r Jour‰ nalist, ist derzeit über ein Austauschp­rogramm Teil unserer Redaktion.

 ?? Foto: Darko Vojinovic, dpa ?? Bei vielen älteren Ungarn gilt er als „Held“: der umstritten­e Premiermin­ister Viktor Orbán.
Foto: Darko Vojinovic, dpa Bei vielen älteren Ungarn gilt er als „Held“: der umstritten­e Premiermin­ister Viktor Orbán.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany