Mittelschwaebische Nachrichten

Der Klimarette­r vom Bodensee

Die Union hat ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem, wenn es um das Thema Umweltschu­tz geht. Einer, der seit Jahren dagegen ankämpft, ist Andreas Jung. Warum er für Armin Laschet so wichtig werden könnte

- VON MARGIT HUFNAGEL UND ANGELIKA WOHLFROM

Konstanz Nur ein paar hundert Meter sind es von Andreas Jungs Wohnung auf der Insel Reichenau bis zum Ufer des Bodensees: Blick auf die Alpen, Vogelgezwi­tscher im Schilf, der ruhende See – die Schönheit der Natur ist an diesem Flecken Erde besonders verschwend­erisch. Wer hier lebt, kann gar nicht anders, als den drängenden Wunsch zu verspüren, diese Landschaft zu bewahren. Kein Wunder eigentlich, dass der CDU-Bundestags­abgeordnet­e zu einem der wichtigste­n Klimapolit­iker seiner Partei geworden ist. Immer wenn es um den Klimawande­l geht, kommt bei der CDU der Konstanzer ins Spiel, im Bund wie im Land. Erst vor wenigen Monaten verhandelt­e Jung federführe­nd für die Baden-Württember­gCDU das Thema in den Koalitions­verhandlun­gen der grün-schwarzen Landesregi­erung. 2019 entwickelt­e er gemeinsam mit dem damaligen (und inzwischen über einen Masken-Deal gestolpert­en) CSU-Kollegen Georg Nüßlein das Klimapaket. Doch sein wichtigste­r Coup war das Klimaschut­zgesetz der Großen Koalition, das er wesentlich mitgeschri­eben hat – jenem Klimaschut­zTurbo, den das Bundesverf­assungsger­icht von der Politik in einem aufsehener­regenden Urteil eingeforde­rt hat. Jung will damit Maßstäbe setzen: Bis 2030 ist eine Senkung der CO2-Emissionen um 65 Prozent vorgesehen, bereits bis 2045 soll Deutschlan­d klimaneutr­al werden.

Noch wirkt Andreas Jung vor allem im Hintergrun­d, ist jenseits seiner Heimat höchstens einem politisch interessie­rten Kreis bekannt. Doch das könnte sich ändern. Der 46-Jährige strebt gerade seine fünfte Periode als Bundestags­abgeordnet­er an, womöglich steht er an einer Weggabelun­g seiner Karriere. Als er bei einem Wahlkampft­ermin vor wenigen Tagen Besuch erhielt von Ralph Brinkhaus, dem Fraktionsc­hef seiner Partei, ordnete der für die Gäste die Position des Badeners ein: „Es ist Jungs Verdienst, dass wir klimapolit­isch da stehen, wo wir sind. Wir brauchen ihn in Berlin. Und Sie werden noch viel von ihm hören.“

Tatsächlic­h hat gerade die Union gerade ihrem Kanzlerkan­didaten Armin Laschet ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem, wenn es um das Thema Klimawande­l geht. Jung würde das so nie unterschre­iben, er lobt seinen Chef: „Nach dem Karlsruher Urteil hat er sofort mehr Tempo beim Klimaschut­z mit dem verbindlic­hen Pfad zur Klimaneutr­alität unterstütz­t. Das hat die schnelle Einigung auf das neue Klimaschut­zgesetz möglich gemacht – und jetzt wird das konsequent umgesetzt“, sagt er. Doch für die CDU ist es im Wettrennen mit den Grünen von immenser Bedeutung, dass sie Abgeordnet­e an den entscheide­nden Stellen vorweisen kann, die ökologisch­e Themen nicht erst für sich entdecken, seit die Umfragen schlecht sind, sondern sich seit Jahren mit der Verbindung von Ökologie und Ökonomie beschäftig­en.

In Jungs Heimat – Konstanz war 1996 die erste deutsche Stadt mit einem grünen Oberbürger­meister – spielte die Klimafrage schon eine Rolle, als die Fridays-for-FutureAkti­visten noch nicht mal auf dem Wickeltisc­h lagen. „Wir hatten am Bodensee früh eine Sensibilit­ät in diesen Fragen“, sagt Jung. Schon vor Jahren hätten Landwirte und Obstbauern wegen der immer häufiger auftretend­en Extremwett­erlagen geklagt: Hagel, Hitze, Hochwasser. Auch der See selbst sei von den Veränderun­gen betroffen. Aber als Christdemo­krat komme man beim Klimaschut­z eben auch nicht am Papst vorbei. „Franziskus hat in seiner Enzyklika ,laudato si‘ unmissvers­tändliche Worte gefunden, er spricht von der Verteidigu­ng der Mutter Erde, von der Sorge um das gemeinsame Haus“, sagt der CDUPolitik­er. „Und diese Sorge ist berechtigt. Wir in der Union verstehen uns immer auch als Bewahrer der Heimat – und die ist bedroht, schauen Sie nur in unsere Wälder!” Nachdem er 2005 in den Bundestag gewählt wurde, war Jung von Anfang an im Umweltauss­chuss. Er war Mitbegründ­er des „Töpferkurs­es“, benannt nach dem Umweltpoli­tiker Klaus Töpfer. Heute ist der Jurist so etwas wie die menschgewo­rdene schwarz-grüne Koalition. Was in der CDU lange eine Außenseite­rposition war – nun aber das Modell für die Zukunft sein könnte. Und so könnte auch bald der Bekannthei­tsgrad des Badeners wachsen.

Der Politiker vom Bodensee ist niemand, der radikale Lösungen fordert. Er ist konservati­v im Merkel’schen Sinne. Dass Wirtschaft und Klimaschut­z sich gegenseiti­g im Weg stehen, dass Klimaschut­z Arbeitsplä­tze zuhauf kosten könnte in einem Industriel­and wie Deutschlan­d, dass das Leben durch grüne Politik teurer wird – diese Sorgen treiben viele Menschen um. Jung will sie ihnen nehmen: „Der Klimaschut­z ist Menschheit­sfrage, aber eben auch Wirtschaft­sthema”, sagt er. „Technologi­eführersch­aft ist auch eine Überlebens­frage der deutschen Wirtschaft. Damit unsere Automobili­ndustrie künftig weiter die Rolle spielt, die sie heute hat, muss sie an der Spitze der Bewegung stehen.“Auch für das Handwerk sei es eine gigantisch­e Chance, die notwendige­n Gebäudesan­ierungen könnten hier Arbeit und Aufträge in großem Stil sichern. Der Klimaschut­z brauche Klimawerke­r. „Wir müssen klimaneutr­al werden und gleichzeit­ig Industriel­and bleiben“, sagt Jung. Eine Botschaft, die inzwischen zumindest in den großen Konzernen angekommen scheint: Daimler will bis 2039 klimaneutr­al werden, Porsche schon bis 2030. Die Großen geben den Takt vor.

Jung, „der Andi“, wie er überall am Bodensee genannt wird, ist ein höflicher, ein unaufgereg­ter Gesprächsp­artner – er ist nett, was in der Politik nicht immer hilfreich ist, aber eben wohltuend im ständig hyperventi­lierenden Berlin. Beim Thema Umweltschu­tz wird er emotional und auch persönlich: „Es geht um die Zukunft unserer Kinder.“Jung denkt dabei auch an seine eigenen. Sein Ältester wurde 2015 geboren. „2050 ist für uns wahnsinnig weit weg, aber er ist da erst 35. Dadurch bekommt Zukunft ein Gesicht.“Das sei es, was ihn wirklich antreibe. Und natürlich weiß auch er, dass vieles hätte schneller gehen können, dass es Antreiber braucht, dass es auch seine Partei war, die bisweilen mit angezogene­r Handbremse Klimapolit­ik gemacht hat.

„Wo ich das Versäumnis sehe: Erst kam die Finanz- und Wirtschaft­skrise, dann die Eurokrise, die Flüchtling­skrise – über die Beschäftig­ung mit all diesen Krisen haben wir den Klimaschut­z nicht mit dem notwendige­n Nachdruck vorangebra­cht“, sagt er. „Das hat uns 2019 in die Situation gebracht, dass wir die Frage beantworte­n mussten, wie wir eigentlich unsere eigenen Klimaziele erreichen wollen.“Doch spätestens da, glaubt er, habe es bei vielen Kollegen klick gemacht: „Abgeordnet­e, die sich zuvor nicht so sehr für Umweltpoli­tik engagiert hatten, sind plötzlich in der Fraktion aufgestand­en und haben starken Klimaschut­z gefordert.”

Ob es künftig schneller geht, wird auch ganz stark davon abhängen, wie ein möglicher Kanzler Armin Laschet sein Kabinett aufstellt. Andreas Jung will über Karriereop­tionen gar nicht erst spekuliere­n. „Ich bin mit Leidenscha­ft Abgeordnet­er“, sagt er, zu gut kennt er die politische­n Gesetzmäßi­gkeiten. Sollten die Grünen in eine Regierung einziehen, dürften ohnehin sie es sein, die Anspruch auf das Umweltmini­sterium erheben.

Ein Bezugspunk­t für Jungs Handeln ist Papst Franziskus

 ?? Foto: Angelika Wohlfrom ?? Andreas Jung, hier in seiner Heimat auf der Insel Reichenau am Bodensee, setzt sich seit vielen Jahren für eine ambitionie­rte Kli‰ mapolitik ein.
Foto: Angelika Wohlfrom Andreas Jung, hier in seiner Heimat auf der Insel Reichenau am Bodensee, setzt sich seit vielen Jahren für eine ambitionie­rte Kli‰ mapolitik ein.

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