Mittelschwaebische Nachrichten
Die Lehrlinge haben die Wahl
Zum Start in das neue Ausbildungsjahr gibt es trotz Corona-Krise mehr Stellen als Bewerbungen. Welchen Betrieben es in Bayern und Schwaben schwer fällt, Azubis zu finden und was die Gründe dafür sind
Augsburg Das Gefühl im Magen ist flau. Die Hände schwitzen. Der Druck, einen ersten guten Eindruck zu machen, ist hoch, aber da ist auch die Freude auf neue Menschen und neue Aufgaben. Der erste Tag in der Ausbildung ist aufregend. Am 1. September ist es in Bayern soweit. Aber obwohl es für viele in 28 Tagen losgeht, gibt es immer noch viele unbesetzte Ausbildungsstellen. In Bayern und in der Region.
Für das Ausbildungsjahr 2020/21 gibt es deutschlandweit 484.662 gemeldete Ausbildungsplätze und 404.443 Bewerber und Bewerberinnen für eine Lehre. Zum Vorjahr sind das 2,9 Prozent weniger Stellen sowie 7,9 Prozent weniger Interessenten. Auf jeden Bewerber oder jede Bewerberin kommen damit im Durchschnitt 1,2 Stellen. Auf dem Ausbildungsmarkt in Bayern sind die Veränderungen noch stärker. Aktuell gibt es in Bayern 92.458 Ausbildungsstellen, etwa sechs Prozent weniger als 2020. Auf der Suche nach einer Ausbildung sind oder waren 58.692 Personen. Das sind mehr als elf Prozent weniger als im Vorjahr. Eineinhalb Stellen kommen so durchschnittlich auf jede Person, die sich bewirbt. Die Zahl der Ausbildungsstellen sinkt also, die Bewerber werden aber auch immer weniger.
In der Metall- und Elektroindustrie fehlen 2021 auch Azubis. Knapp 1,6 Prozent weniger Ausbildungsverträge wurden im Vergleich zum Vorjahr abgeschlossen. 2020 war die Zahl der Verträge sogar um 13,6 Prozent gesunken. Bertram Brossardt ist Hauptgeschäftsführer der bayerischen Metall- und ElektroArbeitgeberverbände bayme vbm und berichtet: „Die Corona-Pandemie hat Spuren auf dem Ausbildungsmarkt hinterlassen, und auch der Strukturwandel stellt den Ausbildungsmarkt vor Herausforderungen.“Doch er stellte klar: „Die Ausbildungssituation für Jugendliche ist und bleibt in Bayern branchenübergreifend positiv, denn es gibt nach wie vor einen deutlichen Stellenüberhang.“
Etwa 43 Prozent der bayerischen Elektro- und Metallbetriebe schlossen weniger Ausbildungsverträge als im Vorjahr ab, wie die jährliche Umfrage unter den Mitgliedsunternehmen der Arbeitgeberverbände bayme vbm in der Metall- und Elektroindustrie in Bayern zeigt. Als Gründe für die Abnahme der Ausbildungsverträge gaben die Betriebe jedoch nicht hauptsächlich die Pandemie an: Mit jeweils 23 Prozent landeten die „Auswirkung der Corona-Pandemie“sowie die „wirtschaftliche Lage“nur auf Platz vier des Rankings. Als häufigste Ursache für die fehlenden Auszubildenden nannten die Unternehmen, dass sie keine geeigneten Bewerber und Bewerberinnen gefunden haben. Zu wenige Bewerbungen und keine offenen Personalstellen waren der zweit- und dritthäufigste Grund. „Der Azubi-Mangel ist damit grundsätzlich ein strukturelles Problem, das durch die Pandemie deutlicher zutage tritt. Wir gehen aber davon aus, dass das Ausbildungsniveau 2022 im Metall- und Elektrobereich wieder steigen wird“, sagt Brossardt. In der Metall- und Elektroindustrie habe man dieses Jahr auch einen schmalen Rückgang zu verzeichnen, aber man sei sich sicher, dass es – entsprechend den Rückmeldungen aus den Unternehmen – im nächsten Jahr wieder einen Zuwachs geben werde.
Die Azubis zu übernehmen scheint den Unternehmen trotz der Wirtschaftskrise wichtig zu sein. 69 Prozent haben nach ihrer Lehre einen unbefristeten Vertrag unterschrieben. Mehr als 30 Prozent haben einen teilweise oder komplett befristeten Vertrag erhalten. Nicht übernommen wurden knapp neun Prozent der Azubis. Dafür war den Betrieben zufolge nur bei 0,2 Prozent die Corona-Pandemie der Grund. Nicht übernommen wurden die Azubis entweder auf eigenen Wunsch, aufgrund der Leistung oder aus wirtschaftlichen Gründen.
Eine Ausbildung während einer Pandemie war und bleibt besonders. Unternehmen bangten um ihre Existenz, mussten im Lockdown schließen oder arbeiteten teilweise im Homeoffice – als Auszubildender oder Auszubildende kann es so schwieriger werden, etwas zu lernen und Einblicke in den Arbeitsalltag zu erhalten. Mehr als 80 Prozent der Betriebe in der Metall- und Elektroindustrie gaben in der Umfrage der Verbände an, dass sie zumindest eine Maßnahme ergriffen haben, um die Ausbildung während der Pandemie anders zu gestalten. Dazu gehörten digitale Veranstaltungen, Versetzungen in Lehrwerkstätten oder andere Abteilungen, aber es gab auch Schichtmodelle oder vereinzelt Teilzeitausbildungen.
Im Handwerk ist die Lage für Schulabsolventen ebenfalls gut, es gibt noch viele offene Stellen. Aktuell sind in der Lehrstellenbörse der Handwerkskammer Schwaben (HWK) etwa 660 freie Lehrstellen für den Ausbildungsstart 2021, weitere 182 für einen Ausbildungsstart im Jahr 2022 für ganz Schwaben offen. Die HWK, die 130 Handwerksberufe bündelt, erwartet dieses Jahr, dass sich der Beginn vieler Ausbildungen nach hinten verschiebt durch Einschränkungen bei Praktika und Berufsorientierung. Dazu sagt Moni Treutler-Walle, Pressesprecherin der HWK: „Der Ausbildungsmarkt ist noch stark in Bewegung, da die Corona-Pandemie deutliche Spuren hinterlassen hat.“
Bis Ende Juli sind bei der HWK Schwaben 2456 neue Ausbildungsverträge eingegangen, doch da die meisten schwäbischen Handwerksbetriebe erst ab September ihre Ausbildungen beginnen, sind diese Zahlen Treutler-Walle zufolge noch unter Vorbehalt zu werten. Durch die Lockdowns sowie die zahlreichen Einschränkungen fehle vielen Schulabgängern die wichtige Phase der Berufsorientierung.
„Geeignete Azubis zu finden ist derzeit für viele Ausbildungsbetriebe, gleich welcher Branche, eine große Herausforderung“, sagt Treutler-Walle. Pandemie und Lockdowns haben den bestehenden Fachkräftemangel im Handwerk verstärkt, weil es schwierig sei, dass Betriebe und Schulabgänger zueinanderkommen. Durch die Konjunktur im Bauhaupt- und Baunebengewerbe suchen Betriebe nun Maurer, Zimmerer, Anlagenmechaniker Sanitär-Heizung-Klima und Schreiner nach Azubis. Die Fahrradund E-Bike-Branche boomt, sodass es auch mehr Bewerber für die Lehre als Zweiradmechatroniker gibt. Für andere Unternehmen, die bereits vor der Pandemie Schwierigkeiten hatten, Lehrlinge zu finden, wie Bäcker oder Metzger, ist es nun noch schwieriger.
Christian Fischer ist Fachbereichsleiter Ausbildung bei der IHK Schwaben und erklärt, dass in Branchen, die von der Corona-Krise betroffen sind wie Hotellerie, Gastronomie oder Lager und Logistik, sich die Suche nach Auszubildenden für die Unternehmen häufig schwierig gestaltet. Der Ausbildungsexperte sagt: „Bei den jungen Menschen ist eine deutliche Verunsicherung zu spüren.“Allerdings habe sich die Situation wieder mehr stabilisiert.
Die IHK betreut 130 verschiedene Ausbildungsberufe, die knapp 5000 Betriebe anbieten. Aktuell sind in der Lehrstellenbörse für Bayerisch-Schwaben 1.200 offene Lehrstellen eingetragen. Viele Betriebe, wie im Elektrobereich oder dem Industriebau, suchten händeringend nach Fachkräften. Die Chancen für Bewerber und Bewerberinnen seien damit inzwischen sehr gut. In kaufmännischen Berufen, als Mediengestalter oder Bauzeichner, gestaltet es sich für Berufsanfänger schwieriger, da Unternehmen aus vielen Bewerbungen auswählen können.
Die Pandemie erschwerte es Schülern und Schülerinnen, sich darüber klar zu werden, was sie in ihrer Zukunft machen möchten: Berufsmessen fanden digital statt, Azubi-Veranstaltungen an Schulen fielen aus und Praktika waren nur vereinzelt möglich. Christian Fischer von der IHK sagt dazu: „Die Corona-Krise hat die bisherige Praxis der Berufsorientierung komplett auf den Kopf gestellt – sowohl bei Betrieben als auch in Schulen.“
Die HWK-Sprecherin und der Ausbildungsleiter der IHK sind sich einig, dass aktuell Praktika im Unternehmen die besten Einblicke in den späteren Arbeitsalltag geben. Aktuell sind 700 Praktika bei der HWK eingetragen, bei der IHK gibt es auch noch freie Praktikumsstellen. Die HWK empfiehlt, direkt auf die Betriebe zuzugehen und nach einem Praktikum oder nach einer Ausbildung zu fragen. TreutlerWalle sagt: „Gerade Schulabgänger und Schulabgängerinnen, die nach einem anstrengenden Schuljahr noch mit leeren Händen dastehen, haben so noch Chancen.“