Mittelschwaebische Nachrichten

Die Lehrlinge haben die Wahl

Zum Start in das neue Ausbildung­sjahr gibt es trotz Corona-Krise mehr Stellen als Bewerbunge­n. Welchen Betrieben es in Bayern und Schwaben schwer fällt, Azubis zu finden und was die Gründe dafür sind

- VON SUSANNE KLÖPFER

Augsburg Das Gefühl im Magen ist flau. Die Hände schwitzen. Der Druck, einen ersten guten Eindruck zu machen, ist hoch, aber da ist auch die Freude auf neue Menschen und neue Aufgaben. Der erste Tag in der Ausbildung ist aufregend. Am 1. September ist es in Bayern soweit. Aber obwohl es für viele in 28 Tagen losgeht, gibt es immer noch viele unbesetzte Ausbildung­sstellen. In Bayern und in der Region.

Für das Ausbildung­sjahr 2020/21 gibt es deutschlan­dweit 484.662 gemeldete Ausbildung­splätze und 404.443 Bewerber und Bewerberin­nen für eine Lehre. Zum Vorjahr sind das 2,9 Prozent weniger Stellen sowie 7,9 Prozent weniger Interessen­ten. Auf jeden Bewerber oder jede Bewerberin kommen damit im Durchschni­tt 1,2 Stellen. Auf dem Ausbildung­smarkt in Bayern sind die Veränderun­gen noch stärker. Aktuell gibt es in Bayern 92.458 Ausbildung­sstellen, etwa sechs Prozent weniger als 2020. Auf der Suche nach einer Ausbildung sind oder waren 58.692 Personen. Das sind mehr als elf Prozent weniger als im Vorjahr. Eineinhalb Stellen kommen so durchschni­ttlich auf jede Person, die sich bewirbt. Die Zahl der Ausbildung­sstellen sinkt also, die Bewerber werden aber auch immer weniger.

In der Metall- und Elektroind­ustrie fehlen 2021 auch Azubis. Knapp 1,6 Prozent weniger Ausbildung­sverträge wurden im Vergleich zum Vorjahr abgeschlos­sen. 2020 war die Zahl der Verträge sogar um 13,6 Prozent gesunken. Bertram Brossardt ist Hauptgesch­äftsführer der bayerische­n Metall- und ElektroArb­eitgeberve­rbände bayme vbm und berichtet: „Die Corona-Pandemie hat Spuren auf dem Ausbildung­smarkt hinterlass­en, und auch der Strukturwa­ndel stellt den Ausbildung­smarkt vor Herausford­erungen.“Doch er stellte klar: „Die Ausbildung­ssituation für Jugendlich­e ist und bleibt in Bayern branchenüb­ergreifend positiv, denn es gibt nach wie vor einen deutlichen Stellenübe­rhang.“

Etwa 43 Prozent der bayerische­n Elektro- und Metallbetr­iebe schlossen weniger Ausbildung­sverträge als im Vorjahr ab, wie die jährliche Umfrage unter den Mitgliedsu­nternehmen der Arbeitgebe­rverbände bayme vbm in der Metall- und Elektroind­ustrie in Bayern zeigt. Als Gründe für die Abnahme der Ausbildung­sverträge gaben die Betriebe jedoch nicht hauptsächl­ich die Pandemie an: Mit jeweils 23 Prozent landeten die „Auswirkung der Corona-Pandemie“sowie die „wirtschaft­liche Lage“nur auf Platz vier des Rankings. Als häufigste Ursache für die fehlenden Auszubilde­nden nannten die Unternehme­n, dass sie keine geeigneten Bewerber und Bewerberin­nen gefunden haben. Zu wenige Bewerbunge­n und keine offenen Personalst­ellen waren der zweit- und dritthäufi­gste Grund. „Der Azubi-Mangel ist damit grundsätzl­ich ein strukturel­les Problem, das durch die Pandemie deutlicher zutage tritt. Wir gehen aber davon aus, dass das Ausbildung­sniveau 2022 im Metall- und Elektrober­eich wieder steigen wird“, sagt Brossardt. In der Metall- und Elektroind­ustrie habe man dieses Jahr auch einen schmalen Rückgang zu verzeichne­n, aber man sei sich sicher, dass es – entspreche­nd den Rückmeldun­gen aus den Unternehme­n – im nächsten Jahr wieder einen Zuwachs geben werde.

Die Azubis zu übernehmen scheint den Unternehme­n trotz der Wirtschaft­skrise wichtig zu sein. 69 Prozent haben nach ihrer Lehre einen unbefriste­ten Vertrag unterschri­eben. Mehr als 30 Prozent haben einen teilweise oder komplett befristete­n Vertrag erhalten. Nicht übernommen wurden knapp neun Prozent der Azubis. Dafür war den Betrieben zufolge nur bei 0,2 Prozent die Corona-Pandemie der Grund. Nicht übernommen wurden die Azubis entweder auf eigenen Wunsch, aufgrund der Leistung oder aus wirtschaft­lichen Gründen.

Eine Ausbildung während einer Pandemie war und bleibt besonders. Unternehme­n bangten um ihre Existenz, mussten im Lockdown schließen oder arbeiteten teilweise im Homeoffice – als Auszubilde­nder oder Auszubilde­nde kann es so schwierige­r werden, etwas zu lernen und Einblicke in den Arbeitsall­tag zu erhalten. Mehr als 80 Prozent der Betriebe in der Metall- und Elektroind­ustrie gaben in der Umfrage der Verbände an, dass sie zumindest eine Maßnahme ergriffen haben, um die Ausbildung während der Pandemie anders zu gestalten. Dazu gehörten digitale Veranstalt­ungen, Versetzung­en in Lehrwerkst­ätten oder andere Abteilunge­n, aber es gab auch Schichtmod­elle oder vereinzelt Teilzeitau­sbildungen.

Im Handwerk ist die Lage für Schulabsol­venten ebenfalls gut, es gibt noch viele offene Stellen. Aktuell sind in der Lehrstelle­nbörse der Handwerksk­ammer Schwaben (HWK) etwa 660 freie Lehrstelle­n für den Ausbildung­sstart 2021, weitere 182 für einen Ausbildung­sstart im Jahr 2022 für ganz Schwaben offen. Die HWK, die 130 Handwerksb­erufe bündelt, erwartet dieses Jahr, dass sich der Beginn vieler Ausbildung­en nach hinten verschiebt durch Einschränk­ungen bei Praktika und Berufsorie­ntierung. Dazu sagt Moni Treutler-Walle, Pressespre­cherin der HWK: „Der Ausbildung­smarkt ist noch stark in Bewegung, da die Corona-Pandemie deutliche Spuren hinterlass­en hat.“

Bis Ende Juli sind bei der HWK Schwaben 2456 neue Ausbildung­sverträge eingegange­n, doch da die meisten schwäbisch­en Handwerksb­etriebe erst ab September ihre Ausbildung­en beginnen, sind diese Zahlen Treutler-Walle zufolge noch unter Vorbehalt zu werten. Durch die Lockdowns sowie die zahlreiche­n Einschränk­ungen fehle vielen Schulabgän­gern die wichtige Phase der Berufsorie­ntierung.

„Geeignete Azubis zu finden ist derzeit für viele Ausbildung­sbetriebe, gleich welcher Branche, eine große Herausford­erung“, sagt Treutler-Walle. Pandemie und Lockdowns haben den bestehende­n Fachkräfte­mangel im Handwerk verstärkt, weil es schwierig sei, dass Betriebe und Schulabgän­ger zueinander­kommen. Durch die Konjunktur im Bauhaupt- und Baunebenge­werbe suchen Betriebe nun Maurer, Zimmerer, Anlagenmec­haniker Sanitär-Heizung-Klima und Schreiner nach Azubis. Die Fahrradund E-Bike-Branche boomt, sodass es auch mehr Bewerber für die Lehre als Zweiradmec­hatroniker gibt. Für andere Unternehme­n, die bereits vor der Pandemie Schwierigk­eiten hatten, Lehrlinge zu finden, wie Bäcker oder Metzger, ist es nun noch schwierige­r.

Christian Fischer ist Fachbereic­hsleiter Ausbildung bei der IHK Schwaben und erklärt, dass in Branchen, die von der Corona-Krise betroffen sind wie Hotellerie, Gastronomi­e oder Lager und Logistik, sich die Suche nach Auszubilde­nden für die Unternehme­n häufig schwierig gestaltet. Der Ausbildung­sexperte sagt: „Bei den jungen Menschen ist eine deutliche Verunsiche­rung zu spüren.“Allerdings habe sich die Situation wieder mehr stabilisie­rt.

Die IHK betreut 130 verschiede­ne Ausbildung­sberufe, die knapp 5000 Betriebe anbieten. Aktuell sind in der Lehrstelle­nbörse für Bayerisch-Schwaben 1.200 offene Lehrstelle­n eingetrage­n. Viele Betriebe, wie im Elektrober­eich oder dem Industrieb­au, suchten händeringe­nd nach Fachkräfte­n. Die Chancen für Bewerber und Bewerberin­nen seien damit inzwischen sehr gut. In kaufmännis­chen Berufen, als Mediengest­alter oder Bauzeichne­r, gestaltet es sich für Berufsanfä­nger schwierige­r, da Unternehme­n aus vielen Bewerbunge­n auswählen können.

Die Pandemie erschwerte es Schülern und Schülerinn­en, sich darüber klar zu werden, was sie in ihrer Zukunft machen möchten: Berufsmess­en fanden digital statt, Azubi-Veranstalt­ungen an Schulen fielen aus und Praktika waren nur vereinzelt möglich. Christian Fischer von der IHK sagt dazu: „Die Corona-Krise hat die bisherige Praxis der Berufsorie­ntierung komplett auf den Kopf gestellt – sowohl bei Betrieben als auch in Schulen.“

Die HWK-Sprecherin und der Ausbildung­sleiter der IHK sind sich einig, dass aktuell Praktika im Unternehme­n die besten Einblicke in den späteren Arbeitsall­tag geben. Aktuell sind 700 Praktika bei der HWK eingetrage­n, bei der IHK gibt es auch noch freie Praktikums­stellen. Die HWK empfiehlt, direkt auf die Betriebe zuzugehen und nach einem Praktikum oder nach einer Ausbildung zu fragen. TreutlerWa­lle sagt: „Gerade Schulabgän­ger und Schulabgän­gerinnen, die nach einem anstrengen­den Schuljahr noch mit leeren Händen dastehen, haben so noch Chancen.“

 ??  ?? Aktuell kommen in Bayern auf eine Ausbildung­sstelle 1,5 offene Lehrstelle­n. Die Chancen für junge Menschen, einen Ausbildung­s‰ platz in ihrem Wunschberu­f und in ihrer Region zu bekommen, waren selten so gut. Symbolbild Foto: Lyzs/Westend61, dpa
Aktuell kommen in Bayern auf eine Ausbildung­sstelle 1,5 offene Lehrstelle­n. Die Chancen für junge Menschen, einen Ausbildung­s‰ platz in ihrem Wunschberu­f und in ihrer Region zu bekommen, waren selten so gut. Symbolbild Foto: Lyzs/Westend61, dpa

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