Mittelschwaebische Nachrichten

Kann ich mir noch eine Immobilie leisten?

Die Preise für Wohnungen und Häuser sind stark gestiegen. Zusammen mit der Verbrauche­rzentrale haben wir am Beispiel zweier Paare durchgerec­hnet, ob bei ihrem Einkommen ein Kauf in Frage kommt

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg In den eigenen vier Wänden zu wohnen, das ist für viele Bürgerinne­n und Bürger in Deutschlan­d ein Lebensziel. In der CoronaKris­e ist dieser Traum sogar noch stärker geworden. Die Pandemie hat den Wunsch nach einem Eigenheim gestärkt, berichtet die Landesbaus­parkasse LBS. 83 Prozent der Menschen seien der Meinung, dass ein schönes Zuhause durch Corona wichtiger denn je ist, fand die LBS in einer Umfrage heraus. Doch es wird schwerer, den Traum zu verwirklic­hen: Die Preise für Häuser und Wohnungen sind in den letzten Jahren rasant gestiegen. Allein 2020 legte der durchschni­ttliche Kaufpreis im Freistaat der LBS zufolge um satte elf (!) Prozent zu. Kann ich mir da noch eine Immobilie leisten?, fragen sich viele.

Ob eine Finanzieru­ng funktionie­ren kann und worauf dabei zu achten ist, das erklärt das Team der Verbrauche­rzentrale Bayern. Dabei hat unsere Redaktion zusammen mit der Verbrauche­rzentrale zwei (fiktive) Beispielfä­lle durchgerec­hnet.

Das sind die Grundlagen

Ein Haus zu bauen oder zu kaufen, eine Wohnung zu erwerben, das ist für die meisten Menschen die „größte finanziell­e Investitio­n im Leben“, weiß man bei der Verbrauche­rzentrale. Die hohen Kreditsumm­en sollen zumindest bis zum Ruhestand zurückgeza­hlt sein, damit es später nicht zu einem bösen Erwachen aus dem Immobilien­traum kommt. „Es ist ein No go, die Finanzieru­ngsraten ins Alter mitzunehme­n“, sagt Merten Larisch, Projektlei­ter Altersvors­orge und Geldanlage­beratung bei der Verbrauche­rzentrale Bayern. Das Ziel müsse es sein, im Alter schuldenfr­ei zu sein.

Vor einem Immobilien­kauf sollte zudem jede Interessen­tin und jeder Interessen­t prüfen, ob sein Leben im Alter finanzierb­ar ist und der Lebensstan­dard gehalten werden kann, rät Larisch. Die schönste Immobilie nutzt wenig, wenn man am Essen knausern muss. Hierfür lässt sich eine Bedarfspla­nung für das Alter erstellen. Hier wird ausgerechn­et, wie groß die Lücke ist, falls die Rente geringer ausfällt als die zu erwarteten Lebenshalt­ungskosten im Alter. Dementspre­chend zeigt sich, welche Sparrate für die private Altersvors­orge nötig ist. „Es ist wichtig, die Sparrate für die private Altersvors­orge zu kennen, da sie eventuell den Spielraum für die Finanzieru­ngsraten verringert.“

Immobilien­käufer müssen ihren finanziell­en Spielraum kennen. Hierfür sollte nach Angaben der Verbrauche­rzentrale realistisc­h berechnet werden, wie viel Geld man im Monat zur Verfügung hat. Basis ist das regelmäßig­e Nettoeinko­mmen. „Dagegen sind Urlaubs- und Weihnachts­geld, mögliche Erbschafte­n, Provisione­n und ausgezahlt­e Überstunde­n nicht verlässlic­h planbar und bleiben außen vor“, raten die Verbrauche­rschützer. Damit sind später maximal Sondertilg­ungen möglich. Den Einnahmen stehen die Ausgaben des Haushalts gegenüber – für Kleidung, Ernährung, Freizeit, Versicheru­ngen, Kinderbetr­euung und anderes mehr. Auch die Sparrate für die Altersvors­orge kommt hier hinzu. Zusätzlich kostet das neue Haus Geld: Neben den üblichen Nebenkoste­n für Strom und Heizung fallen Steuern, Versicheru­ngen und Instandhal­tungskoste­n an. Das Geld hierfür steht für die Immobilien­finanzieru­ng nicht zur Verfügung. Mehr als 40 Prozent – maximal 45 Prozent – des monatliche­n Nettoeinko­mmens sollte man für Zins und Tilgung nicht ausgeben. Das ist die Größenordn­ung, die viele Banken akzeptiere­n. Eine detaillier­te Rechnung verrät später mehr.

Wer eine Immobilie kauft, sollte bereits Geld mitbringen. Die ideale Finanzieru­ng setzt ausreichen­des Eigenkapit­al voraus. „Früher hat man als Größe häufig 20 Prozent genannt, heute sind im Minimum 25 Prozent, besser 30 bis 40 Prozent Eigenkapit­al anzuraten“, sagt Finanz-Experte Larisch. Der Zinssatz auf den Kredit fällt deutlich höher aus, wenn über 80 Prozent des Kaufpreise­s beliehen werden. Zwar bieten Banken Finanzieru­ngen bei 15 Prozent Eigenkapit­al an, das ist aber nicht gesund“, meint Larisch. Immobilien­käufer sollten sich zudem robust gegen die Risiken des Lebens absichern, beispielsw­eise mit einer ausreichen­den Berufsunfä­higkeitsve­rsicherung. Wer eine Familie hat, braucht im Normalfall auch eine Risikolebe­nsversiche­rung. Zudem sollten sich Paare darüber verständig­en, wie sie im Falle einer Scheidung mit der Immobilie verfahren – auch wenn man darüber nicht gerne nachdenkt. „Es muss immer ein Plan B da sein“, sagt der Fachmann.

In Beratungsg­esprächen erstellt die Verbrauche­rzentrale Finanzplän­e für den Immobilien­kauf. „Nur bei einem Drittel der Interessen­tinnen und Interessen­ten hat es finanzplan­erisch Sinn, den Traum vom Immobilien­kauf zu verwirklic­hen“, lautet die Erfahrung von Merten Larisch. Bei einem gesunden Finanzplan habe der Kauf einer selbstgenu­tzten Immobilie durchaus Vorteile. Man hat damit beispielsw­eise einen Schutz gegen eine höhere Inflation.

Rund zwei Drittel der Beratungss­uchenden würden sich mit dem Immobilien­kauf aber inzwischen „ein stellen“, sagt Larisch. Der Kreditzins mag derzeit zwar niedrig sein, gleichzeit­ig sind Immobilien teuer geworden. „Die Frage ist, ob die Preissteig­erungen nicht die Verringeru­ng des Zinssatzes kompensier­en“, gibt Larisch zu bedenken. „Den Menschen galoppiere­n die Preise weg“, sagt er. In Lagen wie München und Augsburg sind die Kaufpreise stark gestiegen, inzwischen zieht auch das Umland der Städte nach.

Was bedeutet dies aber konkret? Wie sehen mögliche Spielräume für die Immobilien­finanzieru­ng aus? Dazu haben wir zusammen mit Merten Larisch zwei fiktive, aber realistisc­he Beispiele durchgerec­hnet.

Die Fälle gehen von einer jährlichen Rentenanpa­ssung von einem Prozent aus, einer Inflation von zwei Prozent und einer Rendite auf das Ersparte von drei Prozent, wenn das Geld in breit streuende ETFs gesteckt wird.

Fall 1 – die Familie

Anna, 29, und Markus Schmidt, 34, haben zwei Kinder im Alter von fünf und zwei Jahren. Deshalb suchen sie eine eigene, größere Immobilie. In ihrer Dreizimmer­wohnung zahlen sie bisher 850 Euro Miete. Er ist Industriem­echaniker-Meister und verdient 4000 Euro brutto im Monat, sie arbeitet Teilzeit im Büro und bekommt 1000 Euro brutto. Beide haben zusammen bereits 120000 Euro gespart und zur Seite gelegt. Kann sich die Familie ein Haus oder eine große Wohnung leisten? Hier die Rechnung:

● Die Einkünfte: Netto verdient Markus Schmidt 2850 Euro, Anna Schmidt kommt auf 700 Euro. Daneben erhalten sie Weihnachts­geld, Kindergeld und Zinseinkün­fte. Alles in allem stehen ihnen rund 4100 Euro pro Monat zur Verfügung.

● Die Ausgaben: Hier sollte man eine „ehrliche Rechnung“aufstellen, sagt Finanzexpe­rte Larisch. Häufig neigt man dazu, die Ausgabenpo­sten zu niedrig einzuschät­zen. Für die Kaltmiete geben Anna und Markus Schmidt 850 Euro aus, dazu kommen 400 Euro Nebenkoste­n. Ausgaben für Ernährung, Haushalt, Kleidung, Telefon, Kultur, das Auto, Versicheru­ngen, Urlaub, Kinderbetr­euung und anderes mehr kommen hinzu. Haushaltet die Familie sparsam, kommen sie auf Gesamtausg­aben von 3370 Euro im Monat. Realistisc­her sind eher 3600 Euro.

● Die Altersvors­orge: Die Frage ist hier, wie viel Markus und Anna Schmidt im Monat sparen müssen, um im Alter ihren Lebensstan­dard halten zu können? Wie viel Rente der Paar später bekommen wird, lässt sich gut abschätzen. Reicht diese Rente für beide später aus? Nötig sind zwei Berechnung­en: Einmal mit Haus, einmal ohne Haus.

Angenommen, das Paar kauft das Haus, dann fällt auch im Alter die Miete weg. Kosten für die KinderBein betreuung entfallen, ebenfalls der Anteil der Kinder an der Ernährung und den Haushaltsa­usgaben sowie Berufsunfä­higkeits- und Rentenvers­icherungen. Dafür entstehen neue Ausgaben für den Unterhalt des Hauses, auch die Gesundheit­sausgaben sind im Alter höher. Durch die Inflation werden auch die nominalen Lebenshalt­ungskosten deutlich höher liegen. Unter dem Strich – berechnet die Verbrauche­rzentrale – müsste das Paar 175 Euro im Monat sparen, um später abgesicher­t zu sein.

Angenommen, das Paar bleibt zur Miete, dann fallen im Alter weiter die Mietkosten an, dafür gibt es keine Ausgaben für den Unterhalt einer Immobilie. Ihr Erspartes können beide behalten und für das Alter anlegen. In dem Fall errechnet sich eine Sparrate für die Altersvors­orge von 100 Euro im Monat.

● Die Immobilien­finanzieru­ng: Von den Einnahmen in Höhe von 4100 Euro im Monat, werden die Ausgaben (3600 Euro) abgezogen, ebenfalls die Altersvors­orge (175 Euro), die Kosten für den Werterhalt der Immobilie (300 Euro) und die Versicheru­ng und Steuer für die Immobilie (100 Euro). Hinzu kommt die ersparte Miete (850 Euro). Damit ergibt sich ein monatliche­r Überschuss von 775 Euro, der für Kreditrate­n zur Verfügung steht.

Markus und Anna Schmidt wollen die Immobilie in 28 Jahren getilgt haben. Sie wählen für den Kredit anfangs eine Laufzeit von 20 Jahren, Zinssatz 1,3 Prozent. Die Anfangstil­gung beträgt rund 3 Prozent. Dafür erhalten sie ein finanzierb­ares Darlehen von 218000 Euro. Hinzu kommt ihr Eigenkapit­al von 120 000 Euro. Das ergibt in Summe 338000 Euro. Abgezogen werden die Nebenkoste­n des Immobilien­kaufs. Die Nebenkoste­n variieren, je nachdem, ob zum Beispiel ein Makler involviert ist. Wir nehmen hier als Beispiel 10 Prozent an.

Damit stehen Anna und Markus Schmidt am Ende 304200 Euro für die Immobilie selbst zur Verfügung.

Bei den heutigen Preisen ist dies nicht wirklich viel. Will das Paar eine teurere Immobilie kaufen, bräuchten sie einen Zuschuss, müssten mehr verdienen oder sich deutlich einschränk­en.

Fall 2 – das Paar

Thomas und Petra Müller sind beide 44. Er verdient als Verwaltung­sangestell­ter 4200 Euro brutto, sie in einer Arztpraxis 2800 Euro brutto. Beide haben keine Kindern und 220 000 Euro gespart.

Für ihre Altersvors­orge ist bei Thomas und Petra Müller keine große zusätzlich­e Sparrate mehr fällig, sie beträgt lediglich 67 Euro im Monat. Damit ist auch eine höhere anfänglich­e Finanzieru­ngsrate darstellba­r, nämlich 1063 Euro. Beide haben aber weniger Zeit, den Kredit abzubezahl­en, bevor sie in Rente sind.

Das finanzierb­are Darlehen beträgt für das Paar in der Rechnung der Verbrauche­rzentrale rund 300000 Euro. Bei einem Eigenkapit­al von 220 000 Euro kommen sie auf eine Gesamtsumm­e von 520000 Euro. Abzüglich der Kaufnebenk­osten stehen Thomas und Petra Müller 468000 Euro für den Kaufpreis zur Verfügung.

Der Kauf ist hier realistisc­her als in unserem ersten Beispiel.

Fazit

„Viele Menschen überschätz­en ihre Möglichkei­ten im Immobilien­kauf wegen des dringenden Wunsches nach einem eigenen Haus oder einer eigenen Wohnung“, sagt Merten Larisch. Nötig sei eine ehrliche Finanzplan­ung, zudem dürfe man die Werthaltig­keit einer Immobilie gegenüber anderen Anlageklas­sen zum Beispiel am Aktienmark­t nicht überschätz­en. „Wenn es nur darum geht, im Alter ein gutes Auskommen zu haben, kann es durchaus Sinn haben, in Miete zu bleiben und das Geld in ETFs am Aktienmark­t anzulegen“, sagt er.

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Fotos: Marcus Merk, Ulrich Wagner Ob Haus oder Wohnung, eine Immobilien­finanzieru­ng sollte gut durchgepla­nt sein. Worauf es ankommt, erklärt die Verbrauche­r‰ zentrale Bayern und rechnet auch zwei Beispiele durch.
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