Mittelschwaebische Nachrichten
Kann ich mir noch eine Immobilie leisten?
Die Preise für Wohnungen und Häuser sind stark gestiegen. Zusammen mit der Verbraucherzentrale haben wir am Beispiel zweier Paare durchgerechnet, ob bei ihrem Einkommen ein Kauf in Frage kommt
Augsburg In den eigenen vier Wänden zu wohnen, das ist für viele Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ein Lebensziel. In der CoronaKrise ist dieser Traum sogar noch stärker geworden. Die Pandemie hat den Wunsch nach einem Eigenheim gestärkt, berichtet die Landesbausparkasse LBS. 83 Prozent der Menschen seien der Meinung, dass ein schönes Zuhause durch Corona wichtiger denn je ist, fand die LBS in einer Umfrage heraus. Doch es wird schwerer, den Traum zu verwirklichen: Die Preise für Häuser und Wohnungen sind in den letzten Jahren rasant gestiegen. Allein 2020 legte der durchschnittliche Kaufpreis im Freistaat der LBS zufolge um satte elf (!) Prozent zu. Kann ich mir da noch eine Immobilie leisten?, fragen sich viele.
Ob eine Finanzierung funktionieren kann und worauf dabei zu achten ist, das erklärt das Team der Verbraucherzentrale Bayern. Dabei hat unsere Redaktion zusammen mit der Verbraucherzentrale zwei (fiktive) Beispielfälle durchgerechnet.
Das sind die Grundlagen
Ein Haus zu bauen oder zu kaufen, eine Wohnung zu erwerben, das ist für die meisten Menschen die „größte finanzielle Investition im Leben“, weiß man bei der Verbraucherzentrale. Die hohen Kreditsummen sollen zumindest bis zum Ruhestand zurückgezahlt sein, damit es später nicht zu einem bösen Erwachen aus dem Immobilientraum kommt. „Es ist ein No go, die Finanzierungsraten ins Alter mitzunehmen“, sagt Merten Larisch, Projektleiter Altersvorsorge und Geldanlageberatung bei der Verbraucherzentrale Bayern. Das Ziel müsse es sein, im Alter schuldenfrei zu sein.
Vor einem Immobilienkauf sollte zudem jede Interessentin und jeder Interessent prüfen, ob sein Leben im Alter finanzierbar ist und der Lebensstandard gehalten werden kann, rät Larisch. Die schönste Immobilie nutzt wenig, wenn man am Essen knausern muss. Hierfür lässt sich eine Bedarfsplanung für das Alter erstellen. Hier wird ausgerechnet, wie groß die Lücke ist, falls die Rente geringer ausfällt als die zu erwarteten Lebenshaltungskosten im Alter. Dementsprechend zeigt sich, welche Sparrate für die private Altersvorsorge nötig ist. „Es ist wichtig, die Sparrate für die private Altersvorsorge zu kennen, da sie eventuell den Spielraum für die Finanzierungsraten verringert.“
Immobilienkäufer müssen ihren finanziellen Spielraum kennen. Hierfür sollte nach Angaben der Verbraucherzentrale realistisch berechnet werden, wie viel Geld man im Monat zur Verfügung hat. Basis ist das regelmäßige Nettoeinkommen. „Dagegen sind Urlaubs- und Weihnachtsgeld, mögliche Erbschaften, Provisionen und ausgezahlte Überstunden nicht verlässlich planbar und bleiben außen vor“, raten die Verbraucherschützer. Damit sind später maximal Sondertilgungen möglich. Den Einnahmen stehen die Ausgaben des Haushalts gegenüber – für Kleidung, Ernährung, Freizeit, Versicherungen, Kinderbetreuung und anderes mehr. Auch die Sparrate für die Altersvorsorge kommt hier hinzu. Zusätzlich kostet das neue Haus Geld: Neben den üblichen Nebenkosten für Strom und Heizung fallen Steuern, Versicherungen und Instandhaltungskosten an. Das Geld hierfür steht für die Immobilienfinanzierung nicht zur Verfügung. Mehr als 40 Prozent – maximal 45 Prozent – des monatlichen Nettoeinkommens sollte man für Zins und Tilgung nicht ausgeben. Das ist die Größenordnung, die viele Banken akzeptieren. Eine detaillierte Rechnung verrät später mehr.
Wer eine Immobilie kauft, sollte bereits Geld mitbringen. Die ideale Finanzierung setzt ausreichendes Eigenkapital voraus. „Früher hat man als Größe häufig 20 Prozent genannt, heute sind im Minimum 25 Prozent, besser 30 bis 40 Prozent Eigenkapital anzuraten“, sagt Finanz-Experte Larisch. Der Zinssatz auf den Kredit fällt deutlich höher aus, wenn über 80 Prozent des Kaufpreises beliehen werden. Zwar bieten Banken Finanzierungen bei 15 Prozent Eigenkapital an, das ist aber nicht gesund“, meint Larisch. Immobilienkäufer sollten sich zudem robust gegen die Risiken des Lebens absichern, beispielsweise mit einer ausreichenden Berufsunfähigkeitsversicherung. Wer eine Familie hat, braucht im Normalfall auch eine Risikolebensversicherung. Zudem sollten sich Paare darüber verständigen, wie sie im Falle einer Scheidung mit der Immobilie verfahren – auch wenn man darüber nicht gerne nachdenkt. „Es muss immer ein Plan B da sein“, sagt der Fachmann.
In Beratungsgesprächen erstellt die Verbraucherzentrale Finanzpläne für den Immobilienkauf. „Nur bei einem Drittel der Interessentinnen und Interessenten hat es finanzplanerisch Sinn, den Traum vom Immobilienkauf zu verwirklichen“, lautet die Erfahrung von Merten Larisch. Bei einem gesunden Finanzplan habe der Kauf einer selbstgenutzten Immobilie durchaus Vorteile. Man hat damit beispielsweise einen Schutz gegen eine höhere Inflation.
Rund zwei Drittel der Beratungssuchenden würden sich mit dem Immobilienkauf aber inzwischen „ein stellen“, sagt Larisch. Der Kreditzins mag derzeit zwar niedrig sein, gleichzeitig sind Immobilien teuer geworden. „Die Frage ist, ob die Preissteigerungen nicht die Verringerung des Zinssatzes kompensieren“, gibt Larisch zu bedenken. „Den Menschen galoppieren die Preise weg“, sagt er. In Lagen wie München und Augsburg sind die Kaufpreise stark gestiegen, inzwischen zieht auch das Umland der Städte nach.
Was bedeutet dies aber konkret? Wie sehen mögliche Spielräume für die Immobilienfinanzierung aus? Dazu haben wir zusammen mit Merten Larisch zwei fiktive, aber realistische Beispiele durchgerechnet.
Die Fälle gehen von einer jährlichen Rentenanpassung von einem Prozent aus, einer Inflation von zwei Prozent und einer Rendite auf das Ersparte von drei Prozent, wenn das Geld in breit streuende ETFs gesteckt wird.
Fall 1 – die Familie
Anna, 29, und Markus Schmidt, 34, haben zwei Kinder im Alter von fünf und zwei Jahren. Deshalb suchen sie eine eigene, größere Immobilie. In ihrer Dreizimmerwohnung zahlen sie bisher 850 Euro Miete. Er ist Industriemechaniker-Meister und verdient 4000 Euro brutto im Monat, sie arbeitet Teilzeit im Büro und bekommt 1000 Euro brutto. Beide haben zusammen bereits 120000 Euro gespart und zur Seite gelegt. Kann sich die Familie ein Haus oder eine große Wohnung leisten? Hier die Rechnung:
● Die Einkünfte: Netto verdient Markus Schmidt 2850 Euro, Anna Schmidt kommt auf 700 Euro. Daneben erhalten sie Weihnachtsgeld, Kindergeld und Zinseinkünfte. Alles in allem stehen ihnen rund 4100 Euro pro Monat zur Verfügung.
● Die Ausgaben: Hier sollte man eine „ehrliche Rechnung“aufstellen, sagt Finanzexperte Larisch. Häufig neigt man dazu, die Ausgabenposten zu niedrig einzuschätzen. Für die Kaltmiete geben Anna und Markus Schmidt 850 Euro aus, dazu kommen 400 Euro Nebenkosten. Ausgaben für Ernährung, Haushalt, Kleidung, Telefon, Kultur, das Auto, Versicherungen, Urlaub, Kinderbetreuung und anderes mehr kommen hinzu. Haushaltet die Familie sparsam, kommen sie auf Gesamtausgaben von 3370 Euro im Monat. Realistischer sind eher 3600 Euro.
● Die Altersvorsorge: Die Frage ist hier, wie viel Markus und Anna Schmidt im Monat sparen müssen, um im Alter ihren Lebensstandard halten zu können? Wie viel Rente der Paar später bekommen wird, lässt sich gut abschätzen. Reicht diese Rente für beide später aus? Nötig sind zwei Berechnungen: Einmal mit Haus, einmal ohne Haus.
Angenommen, das Paar kauft das Haus, dann fällt auch im Alter die Miete weg. Kosten für die KinderBein betreuung entfallen, ebenfalls der Anteil der Kinder an der Ernährung und den Haushaltsausgaben sowie Berufsunfähigkeits- und Rentenversicherungen. Dafür entstehen neue Ausgaben für den Unterhalt des Hauses, auch die Gesundheitsausgaben sind im Alter höher. Durch die Inflation werden auch die nominalen Lebenshaltungskosten deutlich höher liegen. Unter dem Strich – berechnet die Verbraucherzentrale – müsste das Paar 175 Euro im Monat sparen, um später abgesichert zu sein.
Angenommen, das Paar bleibt zur Miete, dann fallen im Alter weiter die Mietkosten an, dafür gibt es keine Ausgaben für den Unterhalt einer Immobilie. Ihr Erspartes können beide behalten und für das Alter anlegen. In dem Fall errechnet sich eine Sparrate für die Altersvorsorge von 100 Euro im Monat.
● Die Immobilienfinanzierung: Von den Einnahmen in Höhe von 4100 Euro im Monat, werden die Ausgaben (3600 Euro) abgezogen, ebenfalls die Altersvorsorge (175 Euro), die Kosten für den Werterhalt der Immobilie (300 Euro) und die Versicherung und Steuer für die Immobilie (100 Euro). Hinzu kommt die ersparte Miete (850 Euro). Damit ergibt sich ein monatlicher Überschuss von 775 Euro, der für Kreditraten zur Verfügung steht.
Markus und Anna Schmidt wollen die Immobilie in 28 Jahren getilgt haben. Sie wählen für den Kredit anfangs eine Laufzeit von 20 Jahren, Zinssatz 1,3 Prozent. Die Anfangstilgung beträgt rund 3 Prozent. Dafür erhalten sie ein finanzierbares Darlehen von 218000 Euro. Hinzu kommt ihr Eigenkapital von 120 000 Euro. Das ergibt in Summe 338000 Euro. Abgezogen werden die Nebenkosten des Immobilienkaufs. Die Nebenkosten variieren, je nachdem, ob zum Beispiel ein Makler involviert ist. Wir nehmen hier als Beispiel 10 Prozent an.
Damit stehen Anna und Markus Schmidt am Ende 304200 Euro für die Immobilie selbst zur Verfügung.
Bei den heutigen Preisen ist dies nicht wirklich viel. Will das Paar eine teurere Immobilie kaufen, bräuchten sie einen Zuschuss, müssten mehr verdienen oder sich deutlich einschränken.
Fall 2 – das Paar
Thomas und Petra Müller sind beide 44. Er verdient als Verwaltungsangestellter 4200 Euro brutto, sie in einer Arztpraxis 2800 Euro brutto. Beide haben keine Kindern und 220 000 Euro gespart.
Für ihre Altersvorsorge ist bei Thomas und Petra Müller keine große zusätzliche Sparrate mehr fällig, sie beträgt lediglich 67 Euro im Monat. Damit ist auch eine höhere anfängliche Finanzierungsrate darstellbar, nämlich 1063 Euro. Beide haben aber weniger Zeit, den Kredit abzubezahlen, bevor sie in Rente sind.
Das finanzierbare Darlehen beträgt für das Paar in der Rechnung der Verbraucherzentrale rund 300000 Euro. Bei einem Eigenkapital von 220 000 Euro kommen sie auf eine Gesamtsumme von 520000 Euro. Abzüglich der Kaufnebenkosten stehen Thomas und Petra Müller 468000 Euro für den Kaufpreis zur Verfügung.
Der Kauf ist hier realistischer als in unserem ersten Beispiel.
Fazit
„Viele Menschen überschätzen ihre Möglichkeiten im Immobilienkauf wegen des dringenden Wunsches nach einem eigenen Haus oder einer eigenen Wohnung“, sagt Merten Larisch. Nötig sei eine ehrliche Finanzplanung, zudem dürfe man die Werthaltigkeit einer Immobilie gegenüber anderen Anlageklassen zum Beispiel am Aktienmarkt nicht überschätzen. „Wenn es nur darum geht, im Alter ein gutes Auskommen zu haben, kann es durchaus Sinn haben, in Miete zu bleiben und das Geld in ETFs am Aktienmarkt anzulegen“, sagt er.