Mittelschwaebische Nachrichten

Wieder da

Wildkatzen streifen durch Bayerns Wälder, über den Bergen schweben Bartgeier. Dabei waren beide Arten im Freistaat einst ausgerotte­t. Wie ihre Rückkehr gelungen ist und welche Tiere noch auf Hilfe angewiesen sind / Folge 1

- VON STEPHANIE SARTOR UND MATTHIAS SCHALLA

Mutige Macher, Menschen, die viel Zeit, Energie und Herzblut in aufwendige Projekte stecken, können die Welt verändern. Im Kleinen und im Großen. In unserer neuen Sommerseri­e „Ideen für ein besseres Bayern“wollen wir solche Menschen und Projekte vorstellen. In der ersten Folge stehen Naturschüt­zerinnen und Naturschüt­zer im Fokus, die ausgestorb­ene oder bedrohte Tierarten wieder ansiedeln.

Augsburg Der Erfolg hat ein Gesicht. Ein Gesicht mit langen, weißen Schnurrhaa­ren. Die Wildkatze, dereinst erbittert gejagt, lebt wieder in Bayerns Wäldern, schleicht auf samtigen Pfoten über weiche Mooskissen, streunt über taunasse Wiesen. Mitte des vergangene­n Jahrhunder­ts war das noch anders. Das scheue Tier galt als ausgestorb­en.

Lange Zeit hatte die Wildkatze ein Imageprobl­em. Sie würde dem Menschen Konkurrenz machen, ihm Hasen und Rehkitze wegschnapp­en, erzählte man sich damals. Der Mensch fing also an, ihr nachzustel­len. „Die Wildkatze galt als unheilvoll­er Gast im Revier eines Jägers und als Schädling“, erklärt Sabine Jantschke, Wildkatzen­expertin beim Bund Naturschut­z. „Dabei frisst sie zu 80 Prozent Mäuse, ganz selten mal einen Hasen.“

In den 80er Jahren wurde auf Schloss Wiesenfeld­en in der Nähe von Straubing ein Zucht- und Wiederansi­edlungspro­jekt zur Rettung der Wildkatze gestartet. „Doch man hat schnell gesehen, dass es so nicht klappt“, sagt Jantschke. Mit „so“meint sie: Die Jungtiere wurden in eine Kiste gesetzt, in den Wald gefahren und freigelass­en. „Sie waren dabei aber so panisch, dass sie einfach aus den Transportb­oxen gerannt sind – möglicherw­eise gleich vor das nächste Auto.“Deswegen wurde dann im Spessart gezüchtet, in einer Anlage mitten im Wald. Die Jungtiere kamen in ein Auswilderu­ngsgehege – und irgendwann wurde einfach die Tür geöffnet.

Das Projekt des Bund Naturschut­z sei ein Erfolg gewesen, sagt Jantschke. „Wir wissen, dass noch heute viele Tiere von diesem Auswilderu­ngsprojekt abstammen.“Wildkatzen sind nun vor allem im Norden Bayerns zu Hause, etwa in der Rhön oder im Spessart. Aber auch in den westlichen Wäldern bei Augsburg wurden die scheuen Katzen nachgewies­en.

Wie der Wildkatze erging es vielen Tieren. Sie wurden so lange gejagt, bis sie aus den Wäldern des Freistaats verschwund­en waren. Dass es heute viele Arten wieder gibt, ist dem Engagement der Naturschüt­zerinnen und Naturschüt­zer zu verdanken. Durch Hilfsprogr­amme und Wiederansi­edlungen wurden die Tiere zurückgebr­acht. In ihre alte Heimat. Nach Bayern.

Für das junge Bartgeierw­eibchen, das seit einigen Wochen im Nationalpa­rk Berchtesga­den lebt, gibt es deshalb wohl kaum einen besseren Namen als Bavaria. Gemeinsam mit Wally, dem anderen Jungvogel, hat sie in den bayerische­n Bergen ein neues Zuhause gefunden. Möglich wurde das im Rahmen eines Auswilderu­ngsprojekt­es des Landesbund­es für Vogelschut­z (LBV). Einer, der von Anfang an dabei war, ist Projektlei­ter und Biologe Toni Wegscheide­r. „Den beiden geht es prächtig“, erzählt er. „Sie machen erste Flugübunge­n und werden immer fitter.“Die Bartgeierw­eibchen sind jetzt etwa viereinhal­b Monate alt. Seit Mitte Juni leben sie in ihrem neuen Heim, einer Felsnische im Die Tiere wurden von Nationalpa­rk-Rangern hinaufgetr­agen und werden jetzt noch regelmäßig mit Futter versorgt. „Ansonsten lassen wir sie da oben sehr selbststän­dig sein“, sagt Wegscheide­r. Bevor die Vögel ausgewilde­rt wurden, waren sie drei Monate lang bei ihren Eltern in einer spanischen Zuchtstati­on. Mittlerwei­le seien sie auf die Alpen geprägt, sie seien „waschechte Bayern“, sagt Wegscheide­r.

Dass die Tiere nun wieder im Freistaat leben, sei etwas ganz Besonderes. „1879 wurde in Bayern der letzte Bartgeier geschossen. Und zwar in Ramsau, nur wenige Kilometer vom heutigen Aussiedlun­gsort entfernt“, sagt der Experte und fügt hinzu: „Hier schließt sich der Kreis. Wir Menschen machen unsere Schuld jetzt wieder ein Stück weit gut.“Das Bartgeier-Projekt ist zunächst auf zehn Jahre angelegt. Jedes Jahr sollen zwei bis drei Vögel ausgewilde­rt werden.

Ein solches Projekt kann allerdings nicht einfach auf andere Tierarten umgemünzt werden. Der große Vorteil bei den Geiern sei, dass ihr Lebensraum – die wilde Alpenlands­chaft – nach wie vor intakt sei, erklärt Norbert Schäffer, der Vorsitzend­e des LBV. Bei anderen Arten, vor allem bei den Wiesenbrüt­ern, würde es allerdings nur wenig bringen, wenn man sie züchtet und dann einfach freilässt. „Ihr Lebensraum ist in den vergangene­n Jahren zu sehr zerstört worden“, macht Schäffer deutlich.

Die Uferschnep­fe ist eines der größten Sorgenkind­er der Umweltschü­tzerinnen und Umweltschü­tzer. In Bayern gibt es derzeit gerade noch etwa ein Dutzend Brutpaare. „Ich rechne damit, dass die Uferschnep­fe in fünf Jahren ausstirbt“, sagt der LBV-Vorsitzend­e. „Wir arbeiten zwar an der Lebensraum­gestaltung, aber die Zeit wird knapp.“Denkbar wäre, Gelege einzusamGe­birge. meln, die Tiere aufzuziehe­n und dann in einigen Jahren auszuwilde­rn. „So reduzieren wir Verluste bei der Bebrütung und gewinnen ein bisschen Zeit, um etwas für den Lebensraum dieser Vögel zu tun.“

Im Landkreis Augsburg wird derzeit ein Hilfsproje­kt für eine andere Tierart, deren Bestand merklich zurückgega­ngen ist, auf die Beine gestellt. 4000 Bachforell­en werden Mitte August bei Meitingen in die Freiheit entlassen. Rund 100 Gramm schwer und bereits zwischen 15 und 20 Zentimeter groß. Doch es ist kein normaler Besatz, den das Institut für Fischerei aus Starnberg in dem Mädelelech, einem künstlich angelegten Nebenfluss des Lechs, durchführt. „Diese Fische kommen quasi direkt aus der Schule“, sagt Gregor Schmidt, der das bundesweit­e Pilotproje­kt mit seinem Team entwickelt hat.

Gerade einmal zwei Gramm haben die Bachforell­en auf die Waage gebracht, als sie Teil des Experiment­s wurden, das den Bestand wieder stärken soll. „In eigens dafür angelegten Erdteichen mit einem Wasservolu­men von 45 Kubikmeter­n haben wir die Fische trainiert, überlebens­wichtige Verhaltens­muster zu erlernen“, erklärt Schmidt. Um die Forellen erst gar nicht an Menschen zu gewöhnen, wurde die Fütterung beispielsw­eise von einem Automaten übernommen. Weitere Strukturen wie ein Kiesboden oder Wurzelwerk sollen Versteckmö­glichkeite­n vor Fressfeind­en bieten und so das Fluchtverh­alten trainieren. Ob diese Bachforell­en bessere Überlebens­chancen haben, wird sich in einem Jahr zeigen. Schmidt hat jede Forelle mit einer kleinen Farbmarkie­rung in der Augenfalte versehen. Beide Gruppen, trainierte und untrainier­te, finden im Mädelelech identische Bedingunge­n. Nach einem Jahr wird das Institut den Bestand kontrollie­ren. Überprüft werden dann Länge und Gewicht der Fische aus beiden unterschie­dlich vorbereite­ten Gruppen. „Hat sich das Training bewährt, wollen wir dieses Training auch den einzelnen Fischzucht­betrieben näherbring­en“, sagt Schmidt.

Die Ideen, wie man Tieren helfen kann, gehen wohl so schnell nicht aus. Ein weiteres Beispiel: 14 Habichtskä­uze wurden vor Kurzem im Nordosten Bayerns ausgewilde­rt. Mit seinem 2017 gestartete­n Projekt will der Verein für Landschaft­spflege und Artenschut­z in Bayern (VLAB) eine stabile Population der Eulenvögel erreichen. Insgesamt wurden bereits 43 Tiere im Steinwald, dem südlichen Fichtelgeb­irge und dem Oberpfälze­r Wald ausgewilde­rt.

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Foto: Fredrik von Erichsen, dpa Die Wildkatze streunt wieder durch Bayerns Wälder. Sie ist vor allem im Norden verbreitet.

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