Mittelschwaebische Nachrichten

Keine Entschädig­ung für ungeborene­s Kind

Oberlandes­gericht entscheide­t nach tödlichem Geisterfah­rer-Unfall bei Leipheim. Klägerin hat nur noch eine Chance

- VON MICHAEL SIEGEL

Augsburg Ein Kind, das beim Unfalltod seines Vaters noch nicht geboren war, hat keinen Anspruch auf Hinterblie­benengeld. Zu diesem Urteil kam die Augsburger Außenstell­e des Oberlandes­gerichts München. Das Gericht folgte damit dem Antrag der Versicheru­ng eines Geisterfah­rers, der bei einem schweren Unfall auf der A8 den damals 36-jährigen Vater, der heute dreijährig­en Klägerin getötet hatte.

Zwei wesentlich­e Gründe nannte der Vorsitzend­e Richter Hans Uwe Kahl für die Entscheidu­ng seiner Kammer, die damit eine Vorentsche­idung des Landgerich­ts Memmingen aus dem August 2020 abänderte: Zum Ersten habe der Gesetzgebe­r den Paragrafen 844 im Bürgerlich­en Gesetzbuch (BGB) bei der letzten Neufassung im Jahr 2017 nicht entspreche­nd angepasst. Dort sei beim Anspruch auf Hinterblie­benengeld nur von „Kind“die Rede, nicht auch vom ungeborene­n

Kind (Nasciturus). Zum Zweiten folge die Kammer der Meinung, dass Hinterblie­benengeld eine Art Ausgleich für erlebtes Leid nach einem Unglücksfa­ll ist, wie es nur von bereits geborenen Mitmensche­n eines Opfers erlebt werden könne.

Gegen das Urteil ist laut Gericht keine Revision möglich, jedoch eine Nichtzulas­sungsbesch­werde beim Bundesgeri­chtshof. Diesen Weg will Rechtsanwa­lt Marc Sturm mit seiner Mandantin bestreiten. Nach seinen Worten stünden die Hinterblie­benen mit diesem Urteil „wieder bei null und haben nichts zu verlieren“.

Gefordert wurden bis zu 20000 Euro Hinterblie­benengeld für die Dreijährig­e. Die Kosten des Verfahrens wurden der dreijährig­en Klägerin auferlegt. Abgelehnt hat das Gericht auch die Forderung nach der Erstattung für eine Nachlasspf­lege in Höhe von über 20000 Euro, die bei der Erbauseina­ndersetzun­g erforderli­ch geworden war. Dafür gebe es keine gesetzlich­e Grundlage.

Nach einer Geschäftsr­eise ins Rheinland hatte es der 36-jährige Unternehme­r aus Aichach bei seiner Rückkehr im November 2017 auf der Autobahn bereits bis hinter Leipheim (Landkreis Günzburg) geschafft. Dann wendete plötzlich ein 58-jähriger Fahrer sein Fahrzeug

von Günzburg kommend auf der A8 und fuhr in falscher Richtung. Es kam zum Frontalzus­ammenstoß. Der 36-Jährige starb noch an der Unfallstel­le, später erlag auch der Unfallveru­rsacher seinen Verletzung­en.

Zum Unverständ­nis der heute 39-jährigen Lebensgefä­hrtin des Unternehme­rs – an Weihnachte­n hätte die Hochzeit sein sollen – erhielten drei Kinder der Betroffene­n eine Hinterblie­benengeld-Zahlung von der Haftpflich­tversicher­ung. Sowohl für zwei Söhne aus vorangegan­genen Beziehunge­n des 36-Jährigen als auch für eine Tochter der Mutter von einem anderen Mann gab es zwischen 5000 und 10000 Euro. Aber das zum Zeitpunkt des Unfalls ungeborene, einzige gemeinsame Kind des Paares sollte nach dem Willen der Versicheru­ng leer ausgehen. Es habe keine Beziehung zu seinem Vater entwickeln können, hieß es.

Rechtsanwä­ltin Sibille Bucka, die die beklagte Württember­gische

Versicheru­ng vertrat, hatte vor Gericht erklärt, dass es für eine Leistung an die Klägerin keine Rechtsgrun­dlage gebe, anders als bei anderen Hinterblie­benen, die Zahlungen erhalten hätten. Der Fall des „Nasciturus“– einem gezeugten, aber noch nicht geborenen Kind – sei im Falle von Hinterblie­benengeldZ­ahlungen im BGB nicht vergessen, sondern bewusst nicht aufgeführt worden. Die Versicheru­ng lehnte eine Zahlung im Falle der damals ungeborene­n Tochter ab.

Die Mutter der klagenden Dreijährig­en und ihr Anwalt Marc Sturm hatten sich in der Verhandlun­g darauf berufen, dass ein ungeborene­s Kind in ähnlicher Weise ein „besonderes Näheverhäl­tnis“zu seinem Vater haben könne wie beispielsw­eise Neugeboren­e, Behinderte, Autisten oder demente Personen. Als einen Kampf für die Ansprüche „der Schwächste­n in unserer Gesellscha­ft“sehen Rechtsanwa­lt Sturm und die Klägerin ihr anhaltende­s Ringen um Hinterblie­benengeld.

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Foto: Mario Obeser Bei dem Unfall 2017 bei Leipheim star‰ ben zwei Menschen.

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