Mittelschwaebische Nachrichten
Keine Entschädigung für ungeborenes Kind
Oberlandesgericht entscheidet nach tödlichem Geisterfahrer-Unfall bei Leipheim. Klägerin hat nur noch eine Chance
Augsburg Ein Kind, das beim Unfalltod seines Vaters noch nicht geboren war, hat keinen Anspruch auf Hinterbliebenengeld. Zu diesem Urteil kam die Augsburger Außenstelle des Oberlandesgerichts München. Das Gericht folgte damit dem Antrag der Versicherung eines Geisterfahrers, der bei einem schweren Unfall auf der A8 den damals 36-jährigen Vater, der heute dreijährigen Klägerin getötet hatte.
Zwei wesentliche Gründe nannte der Vorsitzende Richter Hans Uwe Kahl für die Entscheidung seiner Kammer, die damit eine Vorentscheidung des Landgerichts Memmingen aus dem August 2020 abänderte: Zum Ersten habe der Gesetzgeber den Paragrafen 844 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) bei der letzten Neufassung im Jahr 2017 nicht entsprechend angepasst. Dort sei beim Anspruch auf Hinterbliebenengeld nur von „Kind“die Rede, nicht auch vom ungeborenen
Kind (Nasciturus). Zum Zweiten folge die Kammer der Meinung, dass Hinterbliebenengeld eine Art Ausgleich für erlebtes Leid nach einem Unglücksfall ist, wie es nur von bereits geborenen Mitmenschen eines Opfers erlebt werden könne.
Gegen das Urteil ist laut Gericht keine Revision möglich, jedoch eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof. Diesen Weg will Rechtsanwalt Marc Sturm mit seiner Mandantin bestreiten. Nach seinen Worten stünden die Hinterbliebenen mit diesem Urteil „wieder bei null und haben nichts zu verlieren“.
Gefordert wurden bis zu 20000 Euro Hinterbliebenengeld für die Dreijährige. Die Kosten des Verfahrens wurden der dreijährigen Klägerin auferlegt. Abgelehnt hat das Gericht auch die Forderung nach der Erstattung für eine Nachlasspflege in Höhe von über 20000 Euro, die bei der Erbauseinandersetzung erforderlich geworden war. Dafür gebe es keine gesetzliche Grundlage.
Nach einer Geschäftsreise ins Rheinland hatte es der 36-jährige Unternehmer aus Aichach bei seiner Rückkehr im November 2017 auf der Autobahn bereits bis hinter Leipheim (Landkreis Günzburg) geschafft. Dann wendete plötzlich ein 58-jähriger Fahrer sein Fahrzeug
von Günzburg kommend auf der A8 und fuhr in falscher Richtung. Es kam zum Frontalzusammenstoß. Der 36-Jährige starb noch an der Unfallstelle, später erlag auch der Unfallverursacher seinen Verletzungen.
Zum Unverständnis der heute 39-jährigen Lebensgefährtin des Unternehmers – an Weihnachten hätte die Hochzeit sein sollen – erhielten drei Kinder der Betroffenen eine Hinterbliebenengeld-Zahlung von der Haftpflichtversicherung. Sowohl für zwei Söhne aus vorangegangenen Beziehungen des 36-Jährigen als auch für eine Tochter der Mutter von einem anderen Mann gab es zwischen 5000 und 10000 Euro. Aber das zum Zeitpunkt des Unfalls ungeborene, einzige gemeinsame Kind des Paares sollte nach dem Willen der Versicherung leer ausgehen. Es habe keine Beziehung zu seinem Vater entwickeln können, hieß es.
Rechtsanwältin Sibille Bucka, die die beklagte Württembergische
Versicherung vertrat, hatte vor Gericht erklärt, dass es für eine Leistung an die Klägerin keine Rechtsgrundlage gebe, anders als bei anderen Hinterbliebenen, die Zahlungen erhalten hätten. Der Fall des „Nasciturus“– einem gezeugten, aber noch nicht geborenen Kind – sei im Falle von HinterbliebenengeldZahlungen im BGB nicht vergessen, sondern bewusst nicht aufgeführt worden. Die Versicherung lehnte eine Zahlung im Falle der damals ungeborenen Tochter ab.
Die Mutter der klagenden Dreijährigen und ihr Anwalt Marc Sturm hatten sich in der Verhandlung darauf berufen, dass ein ungeborenes Kind in ähnlicher Weise ein „besonderes Näheverhältnis“zu seinem Vater haben könne wie beispielsweise Neugeborene, Behinderte, Autisten oder demente Personen. Als einen Kampf für die Ansprüche „der Schwächsten in unserer Gesellschaft“sehen Rechtsanwalt Sturm und die Klägerin ihr anhaltendes Ringen um Hinterbliebenengeld.